»Das stimmt«, gab Stefanie vergnügt zu. »Mein Chef hat sich quasi entschuldigt – … auf seine Art, meine ich, und im Hotel lief heute alles wie am Schnürchen. Übrigens will ich morgen Frau Roth besuchen.«
»Morgen?« rief er aus. »Ausgerechnet morgen, wenn ich meinen freien Tag habe, Frau Wagner? Das haben Sie sich aber ganz schlecht ausgesucht – ich wollte Sie doch ein wenig herumführen!«
Er sah so enttäuscht aus, daß sie hastig sagte: »Vielleicht klappt es ja auch nicht, dann gehe ich übermorgen. Mal sehen, wie es mit meiner Arbeit auskommt.«
In Wirklichkeit war sie fest entschlossen, den geplanten Besuch bei Alida Roth am nächsten Tag zu machen. Es war ihr gar nicht so unlieb, daß Marc Weyrich dann nicht in der Klinik sein würde, denn sie hatte ihrem Nachbarn ja verschwiegen, daß sie den Chef der Notaufnahme kannte. Und erst recht natürlich, daß sie am nächsten Abend mit ihm zum Abendessen verabredet war.
Warum sagte sie ihm das eigentlich nicht einfach? fragte sie sich selbst verwundert. Es ist schließlich nichts dabei, er kann es ruhig wissen. Aber sie schwieg trotzdem. Irgendwie gefiel es ihr besser, wenn ihre Bekanntschaft mit Dr. Adrian Winter ihr Geheimnis blieb.
»Begleiten Sie mich doch lieber in den Zoo!« bat Marc in diesem Augenblick. »Nachdem ich mich ausgeschlafen habe, will ich nämlich dorthin – ich kenne ihn bisher nicht.«
»Das geht nicht, Herr Weyrich«, sagte Stefanie. »Mein Besuch bei Frau Roth ist ja sozusagen dienstlich – ich gehe als Vertreterin des Hotels. Sie ist eine unserer Stammgäste, es gehört zum guten Ton, jedenfalls nach dem Verständnis unseres Hauses, daß man sich in einem solchen Fall im Krankenhaus blicken läßt. Daß ich das, ganz privat, ohnehin getan hätte, weil ich Frau Roth gern habe, ist eine andere Sache. Aber ich kann nicht mitten am Tag mit Ihnen in den Zoo spazieren.«
»Schade!« sagte er. »Sie hätten mich herumführen können, wir hätten bestimmt eine Menge Spaß gehabt.«
»Ein anderes Mal, ja?« Sie lächelte ihn an. »Und jetzt würde ich Ihnen raten, sofort ins Bett zu gehen – sonst fange ich an, mich zu fragen, ob ich Sie langweile.«
»Weil ich dauernd gähne? Entschuldigen Sie bitte – ich bin wirklich schrecklich müde. Also, gute Nacht, Frau Wagner.«
»Gute Nacht, Herr Weyrich.«
Als Stefanie später im Bett lag, überlegte sie, was sie am kommenden Abend, für das Essen mit Dr. Winter, anziehen sollte. Elegant sollte es schon sein, dachte sie, aber auch nicht so sehr, daß es kühl und abweisend wirkte.
Sie mußte über sich selbst lachen und drehte sich auf die Seite. Bald darauf schlief sie mit einem Lächeln auf den Lippen ein.
*
»Du bist ja völlig durcheinander«, stellte Andrea fest.
Janine war erst spät nach Hause gekommen, aber ihre Freundin war zu ihrer großen Erleichterung noch wach gewesen, so daß sie ihr von ihrem letzten Gespräch mit Alida Roth noch hatte erzählen können.
»Kein Wunder, wenn Frau Roth solche Sachen sagt«, fuhr Andrea fort. »Aber du darfst das nicht so nah an dich heranlassen, Janine. Die Frau versucht dich zu provozieren, das ist dir hoffentlich klar?«
»Ich weiß nicht, ob sie das versucht. Sie ist einfach so verdammt unglücklich, Andrea!«
»Das berechtigt sie aber noch nicht dazu, dich anzugreifen«, stellte Andrea fest.
»Jedesmal, wenn ich sie ansehe, habe ich das Gefühl, in einen Spiegel zu sehen«, fuhr Janine fort, als habe Andrea überhaupt nichts gesagt. »In einen Spiegel, der mich in dreißig Jahren zeigt – das ist wirklich gespenstisch.«
»Auch wenn ihr euch ähnlich seht – du wirst in dreißig Jahren nicht so aussehen wie Frau Roth!« Andreas Stimme klang eindringlich, sie fing allmählich an, sich Sorgen um Janine zu machen, die sich ihrer Ansicht nach viel zu sehr mit der ihr anvertrauten Person identifizierte.
»Wer weiß?« fragte Janine abwesend. »Ich habe ein paar alte Fotos von ihr gesehen, Andrea. Sie war unglaublich schön und hat in die Kamera gestrahlt. Damals hätte sie sicher auch nur müde gelächelt, wenn jemand ihr vorhergesagt hätte, daß sie einmal trinken und Kokain schnupfen wird, ums ich zu betäuben. Das ganze Leben lag vor ihr, und sie sah so aus, als betrachte sie es als Wundertüte, die nur freudige Überraschungen bereithält.«
Sie sah Andrea direkt in die Augen. »So wie ich, verstehst du? Aber im Umgang mit ihr wird mir erst klar, wie man werden kann, wenn nichts so läuft, wie man das gern möchte. Und vieles davon geschieht einfach, man kann gar nichts dagegen tun. Es sind ja nicht immer nur die eigenen Fehler, die einen auf die schiefe Bahn bringen, falls man das so sagen kann.«
Andrea nickte nachdenklich. »Ich verstehe, was du meinst. Weißt du etwas über ihr Leben? Was sie so unglücklich macht?«
»Fast nichts«, antwortetet Janine. »Die Ehe mit dem Reeder Roth soll unglücklich gewesen sein, sie hat wohl schon getrunken, als er noch lebte.«
»Ja, das habe ich auch irgendwo gelesen«, meinte Andrea. »Kinder hat sie nicht, oder ?«
»Nein. Mir kommt es so vor, als hätte sie überhaupt keine Angehörigen«, meinte Janine. »Keiner ruft sie an und fragt nach ihr – nur eine Frau aus dem Hotel King’s Palace, wo sie abgestiegen ist hier in Berlin. Es ist eine so schrecklich traurige Angelegenheit, diese reiche Frau zu sehen, wie sie eigentlich nur eines im Sinn hat – zu sterben, ohne direkt Selbstmord zu begehen.«
»Wenn dich das so belastet, solltest du vielleicht darum bitten, daß sich von jetzt an jemand anders um Frau Roth kümmert«, schlug Andrea vor.
Aber nun schüttelte Janine den Kopf, und ihre Erwiderung fiel so heftig aus, daß Andrea ihre Freundin erneut verwundert, aber auch sorgenvoll betrachtetet.
»Auf keinen Fall! Frau Roth braucht mich, auch wenn sie so biestig ist!«, sagte Janine. »Ich weiß ganz genau, daß sie mich insgeheim mag – und ich mag sie auch, trotz allem.«
»Merkwürdig«, murmelte Andrea.
»Ja«, gab Janine zu, »merkwürdig ist das, aber so sind meine Gefühle nun einmal.«
»Und Dr. Weyrich?«
»Das habe ich dir noch gar nicht erzählt«, sagte Janine langsam. »Sie hat sofort gewußt, was ich für ihn empfinde und mich danach gefragt.«
»Sie hat es gewußt?«, fragte Andrea erstaunt. »Wie denn das?«
Janine zuckte die Schulter. »Ich weiß es nicht, Andrea. Sie muß eine sehr ausgeprägte Beobachtungsgabe haben. Sie hat mich gefragt, ob er weiß, was ich für ihn empfinde.«
»Das wird ja immer merkwürdiger mit dieser Frau«, murmelte Andrea.
Janine nickte.
Danach schwiegen sie beide. Als sie wieder sprachen, wandten sie sich anderen Themen zu, als sei es zu gefährlich, noch länger über Alida Roth reden. Und das war es ja vielleicht auch.
*
Stefanie war am nächsten Morgen sehr früh im Büro, obwohl sie es am Abend zuvor erst recht spät verlassen hatte. Aber die Vorfreude auf ihr Treffen mit Adrian Winter hatte sie zeitig aufwachen lassen, und sie war umgehend aus dem Bett gesprungen. Singend hatte sie unter der Dusche gestanden und über sich selbst den Kopf geschüttelt, weil sie wegen dieser Verabredung so aus dem Häuschen war. »Gut, daß das keiner weiß«, murmelte sie vor sich hin, als sie sich abtrocknete. »Ich führe mich ja auf wie ein Teenager!«
Eine Stunde später saß sie im Büro, und ihre gute Laune hielt an. Die Arbeit ging ihr locker von der Hand, sie löste ein Problem nach dem anderen, ohne daß es ihr erkennbare Schwierigkeiten bereitete.
Und dann sagte ihre Sekretärin: »Da ist ein Dr.