Am 26. Oktober passierten wir Schauyang, wo ich das Unglückstier Franz wieder einmal beschlagen lassen mußte. Schauyang ist eine Stadt mit Kavallerie-Garnison; hinter der Stadt fing der steinige Weg von neuem an. Ich schloß mit dem Polizeioffizier des Bezirkes Freundschaft, indem ich nämlich einen Pony, der ihm weggelaufen war, wieder einfing. Er wollte mir sofort Kavalleristen zur Begleitung mitgeben, was ich jedoch dankend ablehnte. Im Gespräch erzählte er mir, daß am Abend vorher ein Leopard mehrere Schafe aus einer Herde gerissen hatte. Ich nahm mir vor, morgen früh zu sehen, ob ihm vielleicht beizukommen sei; leider hatte ich zu wenig Zeit, um mehrere Tage für die Jagd auf das scheue Tier zu verwenden. Die Wege wurden immer schlechter, der Verkehr immer stärker, und da ich wegen Unterkunft Sorge bekam, schickte ich den Mafu so schnell wie möglich voraus, um ein Zimmer für uns zu besorgen. Ich hatte recht, denn wir erhielten gerade noch im letzten Gasthaus ein kleines Zimmerchen. Noch am Abend versuchte ich, im Ort Leute zu finden, die mich auf den Leoparden bringen sollten; aber, wie stets, konnte keiner Auskunft geben. Am 27. Oktober morgens, schon ganz früh, setzte ich mich mit dem Hirten der Herde, die der Leopard angegriffen hatte, in Verbindung, jedoch auch dieser hatte keine Ahnung über den Verbleib des Tieres, so daß ich lieber weitermarschierte, da die Zeit drängte.
Es ging kurze Zeit im Flußbett des Tau-ho entlang und dann rechts in die Berge, und zwar über einen Paß, dessen letzter Aufstieg ganz mit großen Granitquadern belegt ist. Gegen Mittag passierten wir Pingtingtschau, eine ziemlich große, sehr schmutzige Stadt mit auffallend vielen alten Ehrenbogen. Die nächsten beiden Tage, den 28. und 29. Oktober, gings weiter auf der Hauptstraße durch gebirgige Gegend. Die ganze Bevölkerung lebt hier nur vom Verkehr, der allerdings sehr rege ist. Wir kamen durch Kukwan an der großen Mauer. Sie ist hier sehr gut erhalten, hat ein doppeltes Tor und auf den Bergen außerdem noch vereinzelte Warttürme. Am 30. Oktober traten wir aus dem Gebirge heraus in die Ebene. In den Dörfern sieht man noch französische Ortsbezeichnungen, die aus der Okkupationszeit herstammen. Wir setzten in einer großen Fähre über den San-kan-ho, der von unzähligen Wildgänsen belebt ist; abends gelangten wir bis Tschöntingfu, einer großen Stadt mit hübschen Tempeln und mehreren Pagoden. Mein Mafu war abends großes Titou, d. h. Rasieren und Zopfflechten, machen gegangen, was ungefähr 2½ Stunden dauerte, so daß ich es schon mit der Angst bekam, er wäre eingesteckt worden. Am 31. Oktober früh beim Abmarsch goß mir ein altes Weib schmutziges Wasser vor die Füße, was mein Mafu als ein sehr schlechtes Omen bezeichnete.
Die Chinesen hatten heute Allerseelentag, überall sah man sie außerhalb die Gräber und Grabsteine in Ordnung bringen und Papierdarstellungen an den Gräbern verbrennen. Die Gegend hat vollkommen unsern Heide-Charakter. Der Verkehr war gering, da die neue Eisenbahn doch viel weggenommen hat; jeder des Weges Kommende fühlte sich bemüßigt, mich zu fragen, warum ich nicht die Eisenbahn benutzte, und begriff es nicht, wie man zu seinem Vergnügen im Lande spazieren reiten könne. Am Abend sahen wir in Hsinlo eine große Prozession nach dem Tempel gehen, die für Abgeschiedene und Kranke beten wollte. Alle Teilnehmer trugen Papierlaternen, außerdem begleitete eine entsetzliche Musik den langen Zug, fernerhin sah man Götzenbilder und Baldachine. Ab und zu wurden Papierdarstellungen von Geldstücken verbrannt.
Am 1. November ging es durch ebenso langweilige, öde Gegend; wir trafen viel Kavalleristen-Patrouillen, sie hielten gerade eine große Razzia auf Räuber ab. Auch in dieser Gegend sah man überall noch an Häusern die Spuren der französischen Einquartierungen. Abends gelangten wir bis Wangtu, und da wir uns mehrfach verritten hatten, trafen wir erst bei Dunkelheit ein; die Pferde waren ganz besonders müde, alle Gasthäuser waren voll von hier gerade zusammengezogener Kavallerie, und kein Stall mehr frei. Unter dem üblichen Gelächter mußten wir mehrfach abziehen. Endlich ließ mir ein mitleidiger Offizier ein kleines Zimmerchen von Kavalleristen räumen und in seinen Ställen Platz für meine Pferde machen. Den ganzen Abend hörte man Signale und Getrommel auf den Straßen; von halbe Stunde zu halbe Stunde ritten Nachtpatrouillen ab. Die Soldaten waren etwas neugierig, aber überall freundlich, einige halfen mir sofort, während sonst der Chinese immer herumsteht, alles sehen, aber nie helfen will. Derselbe Offizier, der uns Platz gemacht hatte, besorgte uns aufs liebenswürdigste auch Futter; später in der Unterhaltung erzählte er, daß er bei Tientsin einen schweren Schuß durch das Bein bekommen hätte. Mehrfach in der Nacht kam ein revidierender Offizier, um, mit der Peitsche in der Hand, nachzusehen, ob die Patrouillenreiter rechtzeitig sattelten. Die hier zusammengezogene Kavallerie hat vor einigen Tagen ganz in der Nähe ein Gefecht mit Räubern gehabt und dabei mehrere Leute und Pferde verloren. Ihre Ponies sahen gut aus, waren aber meinem Geschmack nach alle etwas sehr dickgefüttert, jedoch war kaum ein einziger gedrückter darunter.
Am 2. November, einem Sonntage, gelangten wir endlich nach Pautingfu, das im Innern gerade auf Befehl Yuan-schi-kais nach europäischem Muster gepflastert wurde. Man sah auffallend viel Soldaten auf den Straßen. Wie stets in großen Städten, waren alle Gasthäuser voll besetzt, und erst nach langem, langem Suchen gelang es uns, unterzukommen. Die Ställe waren natürlich wieder miserabel, außerdem wollte der Geschäftsführer mich gleich gehörig übers Ohr hauen und mit meinem Mafu paktieren; letzterer war anständig genug, sofort abzuwinken. Abends hatte ich Besuch von einem Englisch sprechenden Chinesen, der sich mir als Besitzer des Gasthauses vorstellte. Wie sich nachher herausstellte, war es ein Schwindler, der durch anscheinende Bekanntschaft mit dem reisenden Europäer irgendwo anders Kapital herausschlagen wollte. Pautingfu macht, wie ich am nächsten Tage feststellte, immer noch denselben sauberen Eindruck, wie zu Zeiten der Okkupation; man sieht, daß die Chinesen auch darin etwas gelernt haben. Ein neuer kaiserlicher Palast ist im Bau und sieht seiner baldigen Vollendung entgegen. Wer weiß, ob nicht die Kaiserin-Witwe eines Tages ihren gesamten Hofstaat aus Peking hierher verlegen wird.
Nachdem ich schon um 3 Uhr morgens durch Signale geweckt worden war, marschierten wir am 4. November durchs Osttor weiter. Gleich vor der Stadt lagen viele Soldatenlager; der Vizekönig Yuan-schi-kai hat hier 4 Schwadronen Kavallerie, 5 Batterien und 20 Kompagnien, jede zu 500 Mann, vereinigt; eine Batterie exerzierte am Geschütz, auf dem großen Exerzierplatz übte die Infanterie. Hornisten bliesen ihre meist deutschen Signale, kurzum, es war ein Bild, genau wie bei uns in einer größeren Garnison. In der Mitte des großen Exerzierplatzes ist ein Podium für den besichtigenden General errichtet. Die Kompagnien waren gerade mit dem Dienst fertig und rückten nach den Quartieren. Vier Trommler und vier Hornisten bliesen