Im Sattel durch Zentralasien: 6000 Kilometer in 176 Tagen. Erich von Salzmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erich von Salzmann
Издательство: Bookwire
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Жанр произведения: Путеводители
Год издания: 0
isbn: 4064066115265
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ist einer der Hauptwallfahrtsorte der Mongolen; es wird zu jeder Jahreszeit von diesen besucht. Sie beklagen sich meist sehr darüber, daß sie von den Chinesen, deren Land sie zu passieren gezwungen sind, rücksichtslos ausgebeutet werden. Natürlich müssen sie in allen Herbergen Pferdefutter und womöglich noch fürs Tränken zahlen, was draußen in ihrer freien Steppe nichts kostet. Viele alte Leute nehmen ihre letzten Kräfte zusammen, um noch nach Wutaischan zu wandern, hier zu sterben und dann in der geheiligten Erde begraben zu werden. Andere vermachen ihr ganzes Vermögen den Tempeln, um dort leben zu können und so nach dem Tode einen höheren Grad von Glückseligkeit zu erlangen.

      Am 13. Oktober morgens regnete es zur Abwechslung wieder einmal. Ich schickte meinen Mafu mit Visitenkarte und Paß zur Polizei, um bei dem Ta-lama einen Besuch machen zu können, mußte mich jedoch gedulden, da es den ganzen Vormittag regnete und schneite und außerdem der Polizeipräfekt ein Langschläfer zu sein schien, der mich ziemlich lange auf seine Karte warten ließ. Gegen drei Uhr nachmittags hörte es auf zu schneien; der Schnee war jedoch liegen geblieben und die Berge ringsum ganz weiß. Die Wolken fingen an zu treiben, und bisweilen hatte man schon Durchblicke. Ich machte mich sofort auf den Weg zu der vorher erwähnten, hochgelegenen Haupttempelgruppe, an deren Eingang ich gleich von einer ganzen Schar Lamas in Empfang genommen wurde. Bereitwilligst wurde mir alles geöffnet und gezeigt. Um alle Tempel herum standen Schiefertafeln mit dankender Erwähnung von Geld spendenden Gläubigen, meistens von Mongolen. Auch hier ist das Tempelinnere außerordentlich prunkvoll, und man sieht wundervolle alte Bronzen und Cloisonnées. Die Priesterwohnungen sind teils recht üppig, teils gleichen sie geradezu Schweineställen.

      Schließlich wurde ich noch vom Ta-lama in seiner recht schönen Wohnung empfangen, jedoch Seine Herrlichkeit schien schlechter Laune zu sein, denn trotz meiner vorherigen Anmeldung durch Karte wurde mir nicht einmal Tee angeboten. Der Ta-lama war ein fetter kleiner Mann, in einem dick wattierten, gelben, gesteppten Anzug. Ich beschränkte meine Aufwartung auf nur wenige Minuten und ging dann weiter durch endlose, unendlich schmutzige Gänge, an denen die Lamas in jedem Alter wohnen. Auch Tempelschüler sah ich, die alle, im Gegensatz zu den Priestern, ein frisches und gesundes Aussehen hatten. In einer ziemlich hoch gelegenen Bergspalte wurde mir noch das nie schmelzende Eis gezeigt, das Wunder bewirken und jede Krankheit heilen soll.

      Am 14. Oktober morgens hatten wir eine ganz infame Kälte, die Berge ringsum waren mit Schnee bedeckt und unten alles fest gefroren. Ich bezahlte meine recht hohe Rechnung und marschierte durch die Stadt ab. Auch weiterhin liegen an den Hängen überall Tempel und Grabsteinpagoden. Der Anstieg zum Tse-ko-ling-Paß ist sehr steil, und da das Packtier infolge des Glatteises mehrfach versagte, wurde ein mehrmaliger Halt notwendig. Bald waren wir im Schnee und erreichten gegen 11½ Uhr die Paßhöhe, auf der eine hohe Pagode erbaut ist. Auch der Abstieg war sehr steil, und recht allmählich erreichten wir ein steiniges Flußtal, in dessen Grunde ein infolge des Regens ziemlich wasserreicher Bach floß. Wir passierten wenige kleine Dörfer. Bewunderungswürdig ist es, mit welcher Geduld jedes Fleckchen Erde bis hoch hinauf ausgenutzt ist. Die Felsen traten immer näher zusammen und der Weg wurde immer schlechter. Schließlich marschierten wir eigentlich ununterbrochen im Bache. Bei einer besonders schlechten Passage sprang mir mein Pony aufs rechte Bein und trat mir den Absatz herunter. Ich mußte ihn abschneiden, was für das Fortkommen recht störend war. Die Sonne war hinter den hohen Bergen längst verschwunden und vergoldete nur noch die schneebedeckten hohen Kuppen, und noch immer war das ersehnte Yie-tou nicht in Sicht. Wir marschierten so schnell wir konnten, ohne Rücksicht auf Bach und Steine, so daß wir bald bis über die Knie durchnäßt waren; bald trat die Dämmerung ein, und der Vollmond leuchtete uns auf unserm ferneren Wege. Endlich gegen 6 Uhr waren wir an einer Talverbreiterung angelangt und hatten vor uns Yie-tou, das im Mondschein ein entzückendes Bild bot. Die ganze Nacht über war ein ewiges Kommen und Gehen von Maultieren und Eseltreibern mit ihren schellenbehangenen Schutzbefohlenen.

      Am 15. Oktober gings weiter nach Nankau, das das breite Quertal abschließt. Ich mußte dorthin, um meine Stiefel reparieren zu lassen, und, o Schreck, wir konstatierten bei dieser Gelegenheit, daß wir uns stark vermarschiert hatten und statt am Westrande am Nordrande des Wu tai schan, östlich von Taitschau, angelangt waren. Wir waren also hinter Wutaischan über den falschen Paß gegangen. Zu ändern war das natürlich nicht mehr, ich konnte nur feststellen, daß die Karte wieder einmal falsch gezeichnet war.

      Am 16. Oktober marschierten wir auf dem alten Wege nach Yie-tou zurück und bogen von dort in ein anderes Quertal ab. Wir passierten einen Paß, dessen letzter Anstieg sehr steil mit Felssteinen gepflastert ist; die Krönung des Passes ist ein Tempel, durch den man mitten hindurchreitet. Der Abstieg ist ebenso wie der Aufstieg. Ein Pony verlor sein Eisen, so daß wir ihn nur noch führen konnten, da er stark lahmte. Wieder zogen wir von Dorf zu Dorf, ohne ein Gasthaus finden zu können; endlich kamen wir gegen Abend in Jin-tsia-pu, einem kleinen Neste, bei einem alten Mann unter. Die Leute sind hier ganz unglaublich neugierig; trotz mehrfachen Hinausbringens der ganzen Gesellschaft war binnen kürzester Zeit das ganze Zimmer wieder voll. Es schleicht sich immer einer nach dem andern herein und baut sich auf, um mich mit möglichstem Stumpfsinn anzustarren; jede Bewegung wird beobachtet und bekrittelt und alles befühlt. Vorgestern sollen übrigens drei deutsche Offiziere auf dem Wegs nach Wutaischan hier durchgekommen sein. Am 17., als ich mich gerade erheben wollte, fand ich schon wieder den ganzen Hof voller Neugieriger. In Ermanglung von etwas anderm goß ich mit meinem Waschwasser um mich, was unbedingt zur Abkühlung der Neugierigen beitrug, denn wenigstens für die Zeit des Anziehens hatte ich die Gesellschaft in respektvoller Entfernung. Nachher gab es ein großes Theater, als der Gasthausbesitzer kein Silber wechseln wollte; er spekulierte jedenfalls auf das gezeigte Zweitaelstück. Als ich dieses jedoch ruhig einsteckte und Miene machte, ohne Bezahlung abzuziehen, war sofort kleines Geld da.

      Nach Passieren weiterer drei Dörfer fanden wir endlich einen Schmied, der den lahmen Pony, der bisher stets deutsche Eisen getragen hatte, nun auf chinesische Art beschlug. Nach chinesischer Sitte schlug er ihm vorn die Zehe ab, außerdem schien er ihn vernagelt zu haben, denn das Tier ging schließlich noch lahmer als es schon vorher gewesen war. Der alte Meister beschlug es nun noch einmal selbst und behauptete, die Lahmheit würde sich nach kurzer Zeit verlieren. Er behielt Recht, denn nach weiteren drei Kilometern war tatsächlich die Lahmheit weg.

      Nach 2½ stündigem Marsch über mehrere Gebirgsketten kamen wir in Wutai Hsien an, das einen merkwürdig sauberen Eindruck machte. Hier wollte uns wieder mal kein Gasthaus aufnehmen, bis schließlich ein Mann uns half, der die vor zwei Tagen hier weilenden deutschen Offiziere gesehen hatte und dem Gastwirt versicherte, daß die Deutschen anständige Menschen wären. Am Abend würdigte mich ein Pekinger Kaufmann der Ehre, mich anpumpen zu wollen, jedoch mit krassem Mißerfolg.

      Am 18. Oktober ging es weiter durch fruchtbare Täler über mehrere Pässe nach Tung-ye-tschönn. Wir kreuzten den ungefähr hundert Meter breiten, ganz flachen Hu-to-ho, der zur Bewässerung in unzählige kleine Rinnen abgeleitet wird. Es ging noch über einen letzten Paß, und die ersten Karren zeigten uns an, daß die Ebene vor uns lag. Die Tragetiere mit ihren buntbeputzten Trensen und Halftern verschwanden, ebenso die Steinhäuser, und bald hatten wir den Anblick der üblichen schmierigen Nester mit ihren Lehmbuden. Auch hier war überall die Menge sehr neugierig und nur durch energisches Gießen mit Wasser vom Leibe zu halten. In den Feldern standen merkwürdig viele Peifangs (Grabsteine); sie haben alle dieselbe Form: ein hohes Rechteck mit am Kopf gegeneinander gewandten Drachen mit offenen Rachen. Ich schoß auf 110 Schritte einen großen Bussard. Gegen 5 Uhr waren wir in Tinghsiang, wo die auf der Karte verzeichnete christliche Mission nicht vorhanden ist.

      Am nächsten Morgen hatten wir beim Aufstehen ganz dicken Nebel, aber trotzdem marschierte ich gegen 8 Uhr ab, die Richtung nach dem Kompaß nehmend. Wir sahen in den Feldern sehr viele Wildgänse, an die man im Nebel auf ganz kurze Distanz herankam, wobei ich einmal eine schoß. Gegen 11 Uhr verschwand der Nebel, und wir stellten fest, daß wir auf dem richtigen Wege waren. Bald lag Hsintschau vor uns. Wir mußten durch die ganze Stadt hindurch, in deren Hauptstraße eine ganze Menge Verbrecher im Holzkragen, mit Halsring und mit vier Meter langer, schwerer, eiserner Kette auffiel. Es war Markttag und die Straßen sehr belebt; das Volk nahm jedoch kaum Notiz von mir, und nur einige Straßenjungen liefen hinter uns her. Ich ritt zur Mission, in der ich jedoch nur einen chinesischen Pater antraf. Nach zweistündiger