JUDAS GOAT. Greg F. Gifune. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Greg F. Gifune
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958353336
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      Die Beschreibung war tatsächlich angemessen. Das Zimmer war klein und kastenförmig, mit niedriger Decke, billigem Teppich und preisgünstigen Holzpaneelen an den Wänden. Ein Fernseher, der wie ein Modell aus den Siebzigerjahren aussah, war mit einem Tisch verschraubt. Während dieser an der einen Wand stand, war ein wackeliges Bett an die andere Wand geschoben worden. Auf einem Nachttisch aus Spanholz standen eine Lampe und ein Telefon. Das ebenfalls altmodische Badezimmer war allerdings aufgeräumt und sauber.

      Bei dem einzigen Spiegel im Zimmer handelte es sich um einen Ankleidespiegel. Da er mit dem Rücken an der Tür befestigt war, war es unmöglich, in diese Richtung zu schauen, ohne sich selbst zu sehen. Zuerst hatte er eine Weile dort gestanden und sein Spiegelbild betrachtet, als hätte er es noch nie zuvor gesehen, aber das hatte überhaupt nichts mit Narzissmus zu tun. Sein Spiegelbild bereitete ihm im Gegenteil eher Sorgen. Er schaltete den Fernseher an, zog seine Schuhe aus und legte sich auf das Bett. Die Matratze war zwar dünn, aber ausreichend. Auch wenn sie nicht superbequem war, fühlte es sich dennoch gut an, sich nach so vielen Stunden im Auto ausstrecken und erholen zu können.

      Ein örtlicher Sender zeigte gerade den Klassiker The African Queen, den er sich eine Zeit lang ansah. Aber schon bald ließ er seine Gedanken schweifen; sein Blick wanderte zur Decke und zu allen Rissen und Linien, die durch den Putz über seinem Kopf verliefen.

      Er rollte sich schließlich vom Bett, ging zur Tür und klappte sein Handy auf. Nachdem er einen Knopf gedrückt hatte, wurde er mit seinem Anrufbeantworter verbunden. Nach einer zweiten Auswahl hörte er die Nachricht seiner Mutter ab, die sie ihm hinterlassen hatte. Obwohl er sie bereits einmal gehört hatte, hatte er das Bedürfnis, sie sich noch einmal anzuhören.

      »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein Schatz; hier spricht Mama.«

      Lenny lächelte. Er liebte die Art, mit der seine Mutter sich immer am Telefon auswies, wenn sie ihm eine Nachricht hinterließ. Als ob er sonst nicht gewusst hätte, wer sie war.

      »Leider habe ich dich nicht erreicht. Hast du die Karte erhalten, die ich dir geschickt habe? Ich bin sicher, dass du und Tabitha den ganzen Tag verplant habt. Ich wollte dir nur kurz sagen, dass ich dich liebe. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«

      Er spielte die Nachricht noch einmal ab, während sich seine Augen mit Tränen füllten.

      Ihr würde es gut gehen, versicherte er sich selbst. Außerdem war es besser, sie in dem Glauben zu lassen, dass er gerade irgendwo auswärts feierte.

      Er klappte das Handy zu und zog den Vorhang so weit zurück, dass er aus dem Fenster auf den Parkplatz schauen konnte. Der Imbiss hatte noch immer geöffnet, war aber jetzt fast leer. Scheinwerfer ließen den Highway hinter sich und verschwanden, sodass die Straße erneut in der Dunkelheit lag.

      Das Klingeln des Telefons schreckte ihn aus dem Schlaf. Er prüfte die Anruferkennung auf seinem Handy. Es war Tabitha. Oh Gott. Da es kurz vor dem Morgengrauen war, war sie bestimmt in schlechter Verfassung. »Hallo Tab.«

      Ein gedämpftes Husten erklang, dann sagte sie: »Lenny?«

      »Ja, geht‘s dir gut?«

      Er vernahm schweres Atmen und etwas, das wie ein leises Schluchzen klang. »Tab, alles in Ordnung mit dir?«

      »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein Liebling«, nuschelte sie sehr undeutlich und verwaschen. »Herzlichen …«

      »Du musst jetzt schlafen gehen, okay?«

      »Herzlichen Glückwunsch, ich …«

      »Okay, es wird jetzt Zeit für dich, dich auszuruhen. Am Morgen wird es dir bestimmt besser gehen.«

      »Nur … herzlichen Glückwunsch, okay?«

      »Ja, danke.«

      »Wo bist du denn?«

      »In einem Motel in New Hampshire.«

      »Bist du mit diesem Mädchen zusammen? Mit dieser Freundin, die du hattest, die …«

      »Sheena? Um Himmels willen, sie ist doch tot.«

      »Ich kenne dich. Ich weiß genau, was du gerade machst, du verdammter Lügner!«

      Lenny rieb sich seine Augen und hoffte, dass dies seinen Kopfschmerzen Einhalt gebieten würde, da er bereits ein Hämmern in seinen Schläfen spürte. »Wenn du so weiter trinkst, wie …«

      »Fick dich doch!«

      »Okay, das mache ich. Leg jetzt auf und geh schlafen.«

      »Ich kann aber nicht schlafen«, sagte sie nun mit ruhigerer aber noch immer zitternder Stimme.

      »Mach das Licht aus und leg deinen Kopf auf das Kopfkissen. Ich rufe dich morgen wieder an.«

      »Ich habe aber Angst. Ich habe Albträume, Lenny!«

      »Es gibt nichts, wovor du dich fürchten musst.«

      »In den Träumen geht es aber um dich. Sie machen mir Angst.«

      »Es sind nur Träume.«

      »In diesen Träumen bist du tot, Lenny!« Sie begann zu weinen. »Du blutest darin.«

      Ein eiskalter Finger kitzelte daraufhin seinen Nacken. »Du hattest lediglich einen Albtraum, das ist alles.«

      »Du hast geblutet.«

      »Ich blute nicht. Geh jetzt schlafen.«

      Sie schniefte und hustete noch einmal. »Ich liebe dich.«

      »Das weiß ich.«

      »Liebst du mich auch noch?«

      Er räusperte sich und zwang sich zum Schlucken. »Ja.«

      »Ehrlich?«

      »Ja, ehrlich.«

      »Lenny, kommst du bald wieder zurück?«

      Er stellte sich vor, wie sie im Bett saß, kaum bei Bewusstsein und das Telefon mit größter Anstrengung an ihr Ohr haltend. Leere Wodkaflaschen würden herumliegen, der Aschenbecher auf dem Nachttisch quoll über von Zigarettenstummeln; ihr Lidstrich war über ihre Wangen verschmiert und ihr Haar vollkommen strubbelig. Auf ihrem Knie war diese schreckliche Narbe zu sehen. »Ja«, sagte er, wobei er sich auf die Unterlippe biss, als würde ihn dies befreien, sollte sich seine Antwort als eine Lüge erweisen. »Aber nicht in den nächsten paar Tagen. Ich rufe dich morgen an. Leg jetzt auf und geh schlafen.«

      Tabitha murmelte noch etwas Dummes, und das Gespräch war beendet.

      Er legte das Handy auf den Nachttisch und drehte sich zum Bett um.

      Etwas Dunkles huschte plötzlich in seinem Augenwinkel vorbei. Erschrocken wirbelte Lenny herum, seine Hände defensiv erhoben. Er rechnete damit, einen Einbrecher dort stehen zu sehen, aber es war lediglich sein eigenes Bild im Spiegel an der Rückseite der Tür, das ihn schweigend aus dem Schatten heraus anstarrte.

      Für einen Augenblick wurde seine Aufmerksamkeit von dem Spiegelbild gefesselt, dann schaute er wieder weg.

      ***

      Nichts machte einen Sinn. Alles war in der Vergangenheit verwurzelt und verzerrt. Schmutzig und verwahrlost konnte er ihre Gegenwart bei ihm im Zimmer spüren. Da Sehen und Hören nicht zeitgleich abliefen, richtete er seine Augen angestrengt durch die Dunkelheit zu den unbekannten Mustern, die an der Decke und am Boden entlangglitten.

      Von Grauen und Schrecken ergriffen, schnürten sie ihm wie einem hilflosen Kind die Luft ab. Da ist etwas, ich … ich kann … etwas sehen … das sich bewegt. Sein Mund öffnete sich, aber er konnte nicht sprechen. Hilfe … was ist das … was … was ist das? Traumbilder von Sheena durchbrachen auf einmal die Dunkelheit und wanden sich durch sein Gedächtnis wie ein mitreißender Film – glühend, mörderisch, auftauchend und wieder verschwindend; psychedelische Träume, die durch die Wärme einer Glühbirne zerfielen. Mit einem Stapel Bücher in ihrem Schoß auf alten Betonstufen sitzend, drehte sie ihren