Fürst Andree war an diesen Tage Adjutant vom Tag und beständig beim Oberkommandierenden. Um sechs Uhr abends fuhr Kutusow in das Hauptquartier der Kaiser und ging nach kurzem Gespräch mit Kaiser Alexander zum Oberhofmarschall Grafen Tolstoi. Bolkonsky benutzte diese Zeit, um den General Fürsten Dolgorukow zu besuchen.
»Guten Tag, mein Lieber«, sagte Dolgorukow, der mit Bilibin beim Tee saß, »morgen gibt’s einen Festtag! Wie geht’s Ihrem Alten? Schlecht bei Laune?«
»Nicht gerade bei schlechter Laune, aber er wünscht, daß man auf ihn hört.«
»Man hat ihn ja gehört im Kriegsrat und wird ihn auch ferner anhören, wenn er vernünftig spricht, aber immer zögern und warten, das ist nicht möglich.«
»Nun, Sie haben Bonaparte gesehen«, sagte Fürst Andree, »welchen Eindruck machte er auf Sie?«
»Ja, ich habe ihn gesehen und mich überzeugt, daß er nichts so sehr fürchtet als eine Hauptschlacht«, sagte Dolgorukow, augenscheinlich geschmeichelt durch die allgemeine Neugierde nach seiner Sendung ins französische Lager. »Wenn er sich nicht vor der Schlacht fürchtete«, wiederholte er, »warum hätte er dann eine Begegnung mit dem Kaiser gewünscht, um Verhandlungen anzuknüpfen, und warum wäre er dann zurückgegangen? Glauben Sie mir, er fürchtet sich, sage ich Ihnen!«
»Nun aber erzählen Sie, wie ist er?« fragte Fürst Andree.
»Er ist ein kleiner Mann in einem grauen Mantel, welcher es sehr gern hört, wenn man ihn Majestät nennt. Aber zu seinem Verdruß habe ich ihn mit gar keinem Titel angeredet, er ist ein Mensch, weiter nichts! Bei all meiner Verehrung für den alten Kutusow würde ich es doch für erbärmlich halten, wenn wir durch unser immerwährendes Warten Bonaparte Gelegenheit geben würden, zu entkommen, während wir ihn jetzt wirklich in unseren Händen haben. Nein, man darf Suwórow und seinen Grundsatz nicht vergessen, niemals der Angegriffene zu sein, sondern selbst anzugreifen.«
»Aber in welcher Position greifen wir ihn an? Ich war heute bei dem Vorposten und konnte nicht herausfinden, wo eigentlich seine Hauptmacht steht«, sagte Fürst Andree. Er wünschte sehr, Dolgorukow den von ihm selbst entworfenen Angriffsplan mitzuteilen.
»Ach, das ist ganz gleichgültig«, erwiderte rasch Dolgorukow, indem er eine Karte auf dem Tisch ausbreitete, »alle Möglichkeiten sind vorgesehen. Wenn er bei Brünn steht …«
Dolgorukow erklärte hastig und undeutlich den Plan der Flankenbewegung Weyrothers.
Fürst Andree machte Einwendungen und begann seinen Plan zu entwickeln, aber Dolgorukow hörte nur sehr zerstreut zu.
»Heute findet bei Kutusow ein Kriegsrat statt«, erwiderte er ihm, »dort können Sie das alles vortragen.«
»Das werde ich auch tun«, bemerkte Fürst Andree.
»Um was sorgen Sie, meine Herren?« sagte Bilibin spöttisch. »Ob der nächste Tag Sieg oder Niederlage bringt, der Ruhm der russischen Waffen ist gesichert. Außer eurem Kutusow ist nicht ein einziger Heerführer da. Unsere Generale sind General Wimpffen, Graf Langeron, Fürst Lichtenstein, Hohenlohe und noch Prischprschiprsch, wie alle diese polnischen Namen heißen.«
»Schweigen Sie, böse Zunge!« erwiderte Dolgorukow. »Es ist nicht wahr, wir haben jetzt noch zwei Russen, Miloradowitsch und Dochturow und wir hätten auch noch einen dritten, Graf Araktschejew, aber der hat schwache Nerven.«
Nach Hause zurückgekehrt, konnte Fürst Andree sich nicht enthalten, den schweigsamen Kutusow, der neben ihm saß, zu fragen, was er von der morgigen Schlacht denke.
Kutusow blickte streng seinen Adjutanten an. »Ich glaube, die Schlacht wird verloren werden«, antwortete er, »und ich habe den Grafen Tolstoi gebeten, dem Kaiser dies mitzuteilen. Was denkst du, was er mir geantwortet hat? ›Ach, lieber General, ich habe für Reis und Koteletten zu sorgen und Sie für das Kriegswesen.‹ Das gab er mir zur Antwort.«
50
Um zehn Uhr abends kam Weyrother mit seinen Plänen zu Kutusow, wo der Kriegsrat stattfinden sollte. Alle Generale waren eingeladen worden und mit Ausnahme des Fürsten Bagration, der sich entschuldigen ließ, waren alle zur bestimmten Stunde erschienen. Weyrother war der Leiter der beabsichtigten Schlacht und stand mit seiner Lebhaftigkeit in scharfem Kontrast zu dem mürrischen und schläfrigen Kutusow, welcher nur widerwillig die Rolle des Vorsitzenden des Kriegsrats spielte. Weyrother fühlte sich augenscheinlich an der Spitze der Bewegung, welche bereits unüberwindlich geworden war. An diesem Abend war er zweimal bei den Vorposten und zweimal bei den beiden Kaisern gewesen, um denselben Mitteilung zu machen, dann hatte er auf seiner Kanzlei eine deutsche Disposition diktiert und jetzt kam er erschöpft zu Kutusow. Kutusow bewohnte ein kleines Schloß bei Ostralitza. In dem großen Salon, welcher zum Kabinett des Oberkommandeurs gemacht worden war, versammelten sich die Mitglieder des Kriegsrats. Sie tranken Tee. Fürst Andree brachte die Meldung, daß Fürst Bagration nicht kommen könne und benutzte die Erlaubnis Kutusows, an dem Kriegsrat teilzunehmen, indem er im Zimmer blieb. Kutusow saß mit aufgeknöpfter Uniform in einem Lehnstuhl, er hatte die Hand aufgestützt und schlief beinahe. »Es ist spät, meine Herren«, sagte er und nickte Weyrother zu.
Wenn die Mitglieder des Kriegsrats glaubten, Kutusow stelle sich nur schlafend, so wurden sie bald eines anderen belehrt, als er bei der Vorlesung der Schriftstücke schnarchte. Weyrother ergriff ein Papier und las mit lauter eintöniger Stimme die Disposition zur bevorstehenden Schlacht vor, unter dem Titel: Disposition zum Angriff der feindlichen Stellungen bei Kopelnitza und Sokolnitza am 20. November 1805.
Die Generale schienen nur widerwillig hinzuhören. Nach der Vorlesung des Schriftstückes, welche mehr als eine Stunde dauerte, bemerkte Langeron, indem er seine Tabaksdose in den Händen drehte, wie schwer es sei, eine solche Disposition auszuführen, wo die Stellung des Feindes unbekannt sei, da der Feind sich in Bewegung befinde. Diese Einwendungen Langerons waren begründet, hatten aber augenscheinlich vor allem den Zweck, dem General Weyrother, der so selbstgefällig sein Werk vorlas, begreiflich zu machen, daß er nicht mit Dummköpfen zu tun habe, sondern mit Leuten, die ihn in kriegerischen Dingen noch belehren könnten. Als die eintönige Stimme Weyrothers schwieg, öffnete Kutusow die Augen, wie ein Müller beim Stillstehen seiner Mühle erwacht. Er horchte auf Langerons Bemerkung, und seine Miene schien zu sagen: »Seid ihr immer noch bei diesen Dummheiten?« Dann schloß er wieder die Augen und ließ den Kopf noch tiefer sinken. Weyrother antwortete auf jede Einwendung Langerons mit einem hochmütigen Lächeln. »Wenn er uns angreifen könnte, so hätte er es heute getan«, sagte er.
»Sie glauben wahrscheinlich, es fehle ihm an Streitkräften?« fragte Langeron.
»Wenn er vierzigtausend Mann hat, ist es viel«, erwiderte Weyrother.
»Dann geht er seinem Untergang entgegen, wenn er unsern Angriff erwartet«, erwiderte Langeron mit ironischem Lächeln. Er blickte den neben ihm sitzenden General Miloradowitsch an, der aber jetzt an andere Dinge zu denken schien.
»Ma foi«, sagte er, »morgen werden wir das auf dem Schlachtfeld sehen.«
»Der Feind hat seine Lagerfeuer ausgelöscht und man hört unaufhörliches Geräusch in seinem Lager«, sagte Weyrother. »Was bedeutet das? Entweder er zieht sich zurück, was uns sehr unangenehm wäre, oder er wechselt seine Stellung. Doch dies würde uns viel Mühe ersparen, und die Disposition bleibt in allen Einzelheiten unverändert.«
»Inwiefern?« sagte Fürst Andree, welcher schon lange eine Gelegenheit erwartet hatte, um seine Zweifel auszudrücken. In diesem Augenblick erwachte Kutusow, hustete und blickte um sich.
»Meine Herren, die Disposition kann man nicht bis morgen, oder vielmehr bis heute – denn es ist schon bald ein Uhr – abändern. Sie haben alles gehört, und wir werden alle unsere Pflicht erfüllen, aber vor einer Schlacht ist nichts wichtiger … als … gut