Der Kollektivismus und die soziale Monarchie. Josef von Neupauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Josef von Neupauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066112875
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konnte. Das Volk wird demnach nicht verpflichtet werden können, Abgeordnete zu wählen und ihnen die gesetzgebende Gewalt zu übertragen. Die Regel wird die Volksabstimmung sein, welche allerdings auch darauf gerichtet sein kann, für einen bestimmten Fall oder für eine bestimmte Zeit Vertreter zu wählen, welche als Vollmachtsträger zu betrachten sind. So könnten auch zur Vorberatung der jährlichen Beschlüsse über Produktion und Verteilung, oder neuer Gesetze Deputierte gewählt werden mit Vorbehalt der Volksabstimmung zur Ratifizierung ihres Operates.

      Im Kollektivstaate ist die Trennung der gesetzgebenden und der ausübenden Gewalt viel notwendiger, als im heutigen Staate, wo die Gegenstände der staatlichen Kompetenz viel weniger ausgedehnt sind, und wo die gesetzgebenden Körper nur über dasjenige entscheiden, was die Besitzenden ihnen überlassen. Im Kollektivstaate würde das Volk die ganze Zeit mit gesetzgeberischen und Verwaltungsakten zubringen müssen, wenn es der Verwaltung keine ausübende Gewalt einräumen wollte. Aber nicht die Notwendigkeit oder das Verlangen, die Volkssouveränität zu beschränken, sondern die Macht der Tatsachen zwingt dazu, der Verwaltung ausgedehnte Befugnisse einzuräumen. Das Volk schreibt nur allgemeine Grundsätze vor, deren Anwendung der Staatsverwaltung übertragen ist. In Betreff des Volkshaushaltes bestimmt das Volk nur, was und in welcher Ausdehnung es produziert werden soll und nach welchen Grundsätzen die Verteilung von Arbeit und Gütern erfolgt. Die Durchführung der Beschlüsse ist die Aufgabe der Staatsverwaltung. Wie die mit diesen Geschäften betrauten Personen bestellt werden, ist selbst wieder Gegenstand der Gesetzgebung und davon wird in V, 1, gehandelt.

      Wenn ein Analogon der heutigen Budgetierung im Kollektivstaate fortbestünde, so würden jährlich Beschlüsse gefaßt über den Staatshaushalt in dem Sinne, daß für das kommende Jahr bestimmt würde, was und in welcher Ausdehnung es produziert und wie die Güter verteilt werden sollen. Man kann sich aber auch recht wohl denken, daß man von solchen jährlichen Festsetzungen der ganzen Staatswirtschaft absehen und ohne Festsetzung von Terminen oder Zeitabschnitten nach Bedarf Beschlüsse über Abänderung der Produktion und Verteilung fassen würde. Ein einzelner Verteilungsbeschluß wird in einer Note zu VIII, 4, zur Anschauung gebracht, wo es sich um die Verteilung von Druckpapier zu verschiedenen Zwecken handelt.

      Außer den Beschlüssen über den Volkshaushalt gibt es noch andere Gegenstände der Gesetzgebung. So über Beschränkungen der Einzelnen auch in anderen Dingen als in Beziehung auf Arbeit und Güter. Besonders sind Gegenstand der Gesetzgebung die Ehe, das Recht der Zeugung, die Erziehung und das Familienrecht, der außereheliche Geschlechtsverkehr, das Strafrecht, die Disziplin und auch sonst alles, was das Volk in den Kreis seiner Gesetzgebung ziehen will.

      Auch für diese Gesetzgebungsgegenstände kann der Staatsverwaltung ein sehr weitgehendes Verordnungsrecht eingeräumt werden, aber selbstverständlich mit dem Rechte des Widerrufes durch Volksbeschlüsse und der Einschränkung in Beziehung auf eine Reihe von bestimmten Gegenständen.

      Da die Volksabstimmung nur mit »Ja« oder »Nein« erfolgen kann, ist es notwendig, Vorlagen zu machen, auf welche sich die Volksabstimmung bezieht. Diese Vorlagen einzubringen, ist die Aufgabe der Staatsverwaltung. Das Volk kann aber nicht darauf beschränkt werden, bloß über das abzustimmen, was die Staatsverwaltung vorschlägt, weil das einer Konfiskation der Volkssouveränität zugunsten der Staatsverwaltung gleichkäme. Es muß also ein genau definiertes Recht der Einbringung von freien Anträgen oder von Abänderungsanträgen eingeräumt werden. Beschränkt muß dieses Recht der Einzelnen werden, weil sonst die Abstimmungen ins ungemessene gingen. Demgemäß wird einmal nicht bloß der Staatsverwaltung, wie auch dem Volksbeamtentum, wovon in V, 1, die Rede ist, die Pflicht, beziehungsweise das Recht übertragen werden, Gesetzesvorschläge und Abänderungsanträge einzubringen, sondern auch eine gewisse Anzahl von Kreisen, Bezirken oder Gemeinden, welche sich auf Abänderung eines Gesetzes- oder Abänderungsvorschlages einigen, wird dieses Recht zustehen. Hat also die Staatsverwaltung ihre Vorlagen für den Jahreshaushalt oder ein Gesetz veröffentlicht, so kann jeder beantragen, daß diese oder jene von der Staatsverwaltung in Antrag gebrachte oder bisher nach den Gesetzen geübte Produktion oder Verteilung eingeschränkt oder erweitert werde, zur Abstimmung kann ein solcher Antrag aber nur gelangen, wenn entweder die Staatsverwaltung, oder das Volksbeamtentum, oder etwa zwei Kreise oder tausend Gemeinden dem Antrage beitreten. Da alle solche Anträge veröffentlicht werden, so steht es nämlich jeder Gemeinde zu, darüber probeweise abzustimmen und den Antrag, wie man sich heute ausdrücken würde, zu unterstützen, und wird ein Antrag genügend unterstützt, so wird darüber allgemein abzustimmen sein. Wie leicht ein Gemeindebeschluß zustande kommt, wird weiter unten, Alinea »Die Gemeinden sind«, gezeigt werden.

      Die Vorlagen der Staatsverwaltung werden vom Ministerium beraten und beschlossen. Die untergeordnete Beamtenschaft hat das Recht, über eine Anfrage der Regierung oder aus eigenem Entschlusse Anträge zu stellen, über welche das Ministerium zu beraten hat, die aber auch, wenn sie nicht als Regierungsanträge eingebracht werden, jeder Beamte und jede Beamtenkorporation einzubringen berechtigt ist, insofern sie die erforderliche Unterstützung finden. Hat das Volk Beschlüsse gefaßt, wonach bestimmte Entscheidungen über Fragen des Volkshaushaltes oder der Gesetzgebung nicht im ganzen Staat einheitlich geregelt werden, sondern nur mit Gültigkeit innerhalb einer Provinz, eines Kreises oder für einen Bezirk oder eine Gemeinde beschlossen werden sollen, so hat die Bevölkerung jenes Gebietes darüber zu entscheiden, für welche das Gesetz oder die Maßregel Gültigkeit haben soll. Doch muß ein allgemeiner Volksbeschluß immer die Kraft haben, solche Gesetze oder Volksbeschlüsse kleinerer Gebiete aufzuheben, weil sonst der Staat nach und nach in Gemeinden zerfiele und der Besitz des gesamten Volkes zum Gemeindebesitze gemacht werden könnte. Dadurch würde man sich dem Individualismus wieder nähern.

      Die Verfassung wird bestimmen, wie lange vor dem Tage einer Abstimmung Vorlagen der Regierung veröffentlicht werden müssen. Die Veröffentlichung von Vorlagen für eine allgemeine Abstimmung geschieht durch das Reichsblatt. Kann eine Provinz oder ein Kreis für deren Gebiet ein Spezialgesetz beschließen, so geschieht die Veröffentlichung der Vorlage durch das Provinzblatt beziehungsweise das Kreisblatt. Der Kundmachung der Vorlagen wird der Tag der Abstimmung beizufügen sein. Die Vorlagen werden der Gegenstand der Erörterung in den Blättern sein und Für und Wider in dem der Staatsverwaltung und dem den Volksorganen vorbehaltenen Teile der Blätter, siehe VI, 7, Alinea: »Die genannten amtlichen Blätter«, besprochen werden. Gemeinden und Bezirke können Redner beauftragen, die Vorlage zu prüfen und in den Versammlungen der Gemeinde oder des Bezirkes darüber zu referieren. In den Gemeinden können die Versammlungen täglich abgehalten werden, für den ganzen Bezirk aber an jedem Sonntage. Die stimmfähigen Mitglieder der Gemeinde werden sich in Sektionen teilen, in welchen alle Vorlagen beraten werden, damit jeder Stimmberechtigte auch an der Beratung teilnehmen und in engerem Kreise zu Worte kommen kann. Probeabstimmungen werden der endgültigen Abstimmung vorhergehen und das Ergebnis der Probeabstimmung wird zu veröffentlichen sein.