Um das Jahr 1080 übernahmen die Christen auf der iberischen Halbinsel die römische Form der Liturgie. Bis dahin hatten sie den Gottesdienst nach dem so genannten mozarabischen Ritus gefeiert, der zahlreiche Elemente der arabischen Kultur in den Gottesdienst aufgenommen hatte. Im Jahr 1089 traf der Bischof von Vic (Katalonien) in Rom ein, um dort die Privilegien der Kirche von Tarragona bestätigen zu lassen. In diesem Vorgang lässt sich der Wandel deutlich erkennen. Die Reise des Bischofs von Vic zeigt eine neue Ausrichtung. Es war eine Ausrichtung mit Folgen. Denn Tarragona befand sich noch in moslemischer Hand. Und der Papst rief nun die christlichen Herren der Kirchenprovinz Tarragona und der Nachbarprovinzen dazu auf, alle Kräfte auf die Rückgewinnung der Stadt auszurichten, damit man dort einen Bischofssitz haben könne. Tarragona könne dann ein christliches Zeugnis gegen die Sarazenen ablegen.
Der päpstliche Aufruf zur Rückgewinnung Tarragonas ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil der Papst hier bereits jenen Ablass (remissio peccatorum) in Aussicht stellt, der dann beim Aufruf zum ersten Kreuzzug sechs Jahre später erneut gepredigt wurde. Der Papst forderte zur Buße auf, wobei klar war, dass dies eine kämpferische Bußleistung sein würde. In diesem Zusammenhang wurde Jerusalem als Pilgerziel genannt, indem der Papst all jene, die nach Jerusalem oder zu anderen Orten pilgerten, aufforderte, nach Tarragona zu ziehen. Damit waren wesentliche Elemente des Kreuzzugsaufrufs 1095 bereits einige Jahre zuvor in Hinblick auf die christliche Rückgewinnung Tarragonas aus der Hand der Sarazenen formuliert worden. Die Vereinheitlichung des christlichen Horizontes ging auf diese Weise einher mit einer zunehmenden Konfrontation mit jenen, die die römische Kurie als Gegner ausgemacht hatte.
Aus der Konfrontation von Gregor VII. und Heinrich IV. folgte ein Bruch zwischen dem Kaiser und dem Papst, der zu dem Zeitpunkt, an dem Urban II. zum bewaffneten Zug in das Heilige Land aufrief, noch nicht überwunden war. Es ist unter Historikern umstritten, wie sehr der Konflikt zwischen dem 1105 von seinem Sohn abgesetzten Heinrich IV. und den Päpsten dazu geführt hat, dass der Kaiser den Kreuzzug nicht anführte. Die »Regierungspraxis« dieser Epoche bestand in der Tat in persönlichen Akten eines anwesenden Königs, eine »Verwaltung« gab es noch nicht. Es sprach also einiges dafür, dass der König in seinem Reich anwesend war – insbesondere dann, wenn seine Herrschaft so umstritten war, wie die Heinrichs IV. Eine Doktrin, die es dem König versagt hätte, sein Reich längere Zeit zu verlassen, gab es jedoch nicht. Und die langen Aufenthalte ottonischer Herrscher in Italien nach 962 (Kaiserkrönung Ottos I.) hatten praktisch auch dazu geführt, dass die Herrscher den Regierungsgeschäften nördlich der Alpen in der Zeit ihrer Abwesenheit fern standen. Dadurch war das Reich nicht in Anarchie verfallen.
In den Jahren des Aufrufs zum ersten Kreuzzug gab es neben Papst Urban II. (seit 1088) einen weiteren Papst, den Heinrich IV. eingesetzt hatte. In den zwei Jahren vor dem Aufruf zum Kreuzzug war zunächst Heinrichs Sohn, dann auch seine Ehefrau, von ihm abgefallen, und sie hatten sich Urban II. angeschlossen. Der Widerstand in seiner Familie und unter den Fürsten kostete Heinrich schließlich seinen Thron, und die Jahre des ersten Kreuzzugs waren für ihn Jahre scharfer Auseinandersetzung mit diesen Gegnern. Daher kam der Kaiser als Kopf eines solchen Zuges kaum in Betracht. Tatsächlich lag die Leitung des Unternehmens bei Männern aus dem höheren Adel. In der Mobilisierung dieser Männer hatte das Reformpapsttum bereits einige Erfahrung. Es waren weniger die Könige als vielmehr bedeutende Adlige gewesen, die die Reform der Kirche unterstützt hatten, und es war durchaus schlüssig, die Organisation des ersten Kreuzzugs entsprechend auszurichten. Dabei waren solche Männer natürlich nicht immer einfach im Umgang.
Du hast klug, wie es sich ziemt, gehandelt, als Du uns und den Römern den Erfolg des Kriegszuges und den Preis des errungenen Sieges mitteiltest, damit das, was Du nach dem Wunsch der Freunde ruhmvoll gewonnen hattest, Dir durch ihre Glückwünsche zu etwas noch Ruhmvollerem und Glücklicherem gemacht werde. Indessen musst Du Dir denjenigen tief ins Gedächtnis prägen, durch dessen Gunst und Hilfe ohne Zweifel Deine Angelegenheiten gedeihen (Brief Gregors VII. Nr. 119). So begann ein Schreiben Gregors VII. an den Normannenherzog Robert Guiskard um das Jahr 1081. Robert sollte im Namen Gottes und auf Geheiß des Papstes die Feinde der Kirche erfolgreich bekämpfen. Dem Normannenherzog Wilhelm, der 1066 England eroberte, hatte der Papst eine Fahne des Hl. Petrus übersandt, die die Normannen auf ihrem Zug mit sich führten. Es war allerdings nicht immer einfach, diese Krieger zu kontrollieren. Die Normannen verfügten neben ihrer Waffenstärke über ein erhebliches Maß an Eigensinn, und so kam es durchaus vor, dass der Papst, wenngleich ohne Erfolg, auch gegen seine Vasallen im Süden bewaffnete Unterstützung mobilisieren musste. Allerdings war solcher Eigensinn bewaffneter und selbstbewusster Krieger keine Seltenheit in dieser Epoche. Er begleitet die Kreuzzugsgeschichte. Die Heere dieser Zeit waren aus ritterlichen Aufgeboten zusammengestellt, deren Kämpfer Individualität und Stolz mit einem robusten Eigeninteresse verbanden. Dieses Eigeninteresse entsprach nicht immer den Erwartungen jener, für die sie kämpften. Die Auftritte dieser Krieger waren in mancher Hinsicht den Auftritten der Helden Homers näher als den Angehörigen einer streng geführten Armee der Neuzeit. Und auch die Ziele dieser Kämpfer waren andere.
Es ist selbstverständlich, dass Krieg ein brutales Geschäft ist. Die historische Forschung hat sich seit einiger Zeit intensiver mit den verschiedenen Formen der Konfliktregelung in der mittelalterlichen Gesellschaft befasst. Sie hat dabei wichtige Mechanismen aufgedeckt, mit denen die Zeitgenossen bei aller gewalttätigen Rhetorik ihre Differenzen unblutig ausräumen konnten. Doch sollten wir die Bedeutung dieses friedlichen Konfliktaustrags nicht überbetonen. Das wäre eine zu moderne Sicht. Im elften Jahrhundert waren Schwerter nicht nur Zeichen der Herrschaft, sondern sie waren vor allem Waffen im Kampf. Wie sie eingesetzt wurden, und welche Folgen ihr Einsatz hatte, davon gibt uns die zeitgenössische Literatur oder die Darstellung auf dem Teppich von Bayeux ein ausreichendes Bild. Solche Kämpfe lassen sich nur begrenzt verklären, und ihr grundsätzlicher Charakter ist sich auch dann ähnlich, wenn sie ganz unterschiedlichen Zielen dienten. Dennoch ist es für das Verständnis der Kreuzzüge von erheblicher Bedeutung zu verstehen, warum sich am Ende des elften Jahrhunderts so viele Menschen auf einen bewaffneten Zug in das Heilige Land begaben. Dies war zuvor nicht der Fall gewesen, und die Bewegung hielt in dieser Form auch nur für eine gewisse Zeit an.
DER KREUZZUGSABLASS
Die unterschiedlichen Definitionen eines Kreuzzugs, die zu Beginn dieses Bandes vorgestellt worden sind, stimmen in der Bedeutung eines Motivs überein: der Bedeutung des Sündennachlasses für die Kreuzfahrer. Dabei ist der Charakter und der Umfang des so genannten Ablasses, der jedem Teilnehmer an einem Kreuzzug in Aussicht gestellt wurde, unter Historikern umstritten. Handelte es sich um eine umfassende Tilgung der Sündenschuld (remissio peccatorum) für alle Teilnehmer, oder wurden nur denjenigen Teilnehmern, die tatsächlich reinen Herzens waren, die Bußleistungen erlassen, die sie in ihrem irdischen Leben noch für bereits gebeichtete Sünden abzuleisten hatten? Die Frage der korrekten Bewertung eines Kreuzzugsablasses ist ein komplexes theologisches Problem – auch wenn die Bußtheologie im späten elften Jahrhundert noch in ihren Anfängen