MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 2). Robert Mccammon. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Mccammon
Издательство: Bookwire
Серия: Matthew Corbett
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958352315
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heute Nacht regelmäßig nach dem Richter schaut«, sagte der Arzt. »Vielleicht möchtet Ihr das ebenfalls tun. Ich kann jederzeit kommen, falls es nötig ist.« Er legte Woodward beruhigend die Hand auf die Schulter. »Ich gehe jetzt, Isaac. Ruht Euch aus und seid voller Zuversicht. Vielleicht könnt Ihr morgen aufstehen und schon etwas spazieren gehen.« Der Richter gab keine Antwort. Er schlief bereits.

      »Gute Nacht«, sagte Shields zu Matthew, nahm seine Tasche und verließ das Zimmer.

      Matthew setzte ihm sofort nach. »Einen Augenblick noch, Sir!«, rief er in den Korridor hinaus. Aber obwohl Dr. Shields ein kleiner Mann war, bewegte er sich plötzlich so flott wie ein Rennpferd. Kurz bevor der Arzt die Treppe erreichte, rief Matthew: »Wenn Ihr Euch weigert, mir das zu sagen, werde ich es eben selbst herausfinden.«

      Diese Worte verursachten eine sofortige Reaktion. Dr. Shields blieb wie angewurzelt stehen, drehte sich wütend um und stürmte auf Matthew zu, als wollte er ihm eine Ohrfeige verpassen. Im orangefarbenen Licht der Laterne im Flur sah Shields Gesicht wie eine höllische, schwitzende Maske mit gefletschten, zusammengebissenen Zähnen aus. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt. Wie um diese Verwandlung noch zu bekräftigen, packte Shields Matthew mit einer Hand am Hemd und stieß ihn brutal gegen die Wand.

      »Jetzt hört Ihr mir aber mal zu!«, zischte Shields. Seine Hand verkrampfte sich und zerrte an dem Hemdstoff. »Ihr habt keinerlei Recht – ich wiederhole, keinerlei Recht –, Euch in meine Angelegenheiten einzumischen. Was heute zwischen Paine und mir vorgefallen ist, wird auch da bleiben: zwischen ihm und mir. Es geht niemandem sonst etwas an. Ganz bestimmt nicht Euch. Versteht Ihr mich, junger Mann?« Shields schüttelte Matthew grob, um seine Worte zu unterstreichen. »Antwortet mir!«

      Obwohl Matthew den Arzt um einige Längen überragte, hatte er Angst. »Ja, Sir«, sagte er. »Ich verstehe.«

      »Das hoffe ich auch, denn bei Gott, sonst werdet Ihr Euch wünschen, dass Ihr verstanden hättet!« Shields drückte Matthew noch ein paar Sekunden lang, die ihm wie eine Ewigkeit vorkamen, gegen die Wand und ließ ihn dann los. Ohne noch etwas zu sagen, ließ Shields ihn stehen und ging die Treppe hinunter.

      Matthew fühlte sich verwirrt und hatte Angst. So grob, wie der Arzt geworden war, hätte er gut ein Bruder von Will Shawcombe sein können. Als Matthew sich das Hemd geradezog und versuchte, seine Nerven zu beruhigen, wurde ihm klar, dass sich zwischen Shields und Paine irgendetwas äußerst heimtückisches abspielte. Allein die Gewalt, zu der Dr. Shields plötzlich fähig war, sagte viel darüber aus. Worum war es bei dem Gerede über Wunden und Waffen und Paines verstorbener Frau gegangen? Ich nehme an, dass meine Wunde eine Blutspur hinterlassen hat, hatte Paine gesagt. Seid Ihr der gefolgt?

      Worum auch immer es ging – es musste mit Paines Vergangenheit zu tun haben, die immer verruchter zu werden schien. Aber Matthew hatte bereits mit so vielen Rätseln zu kämpfen, die er um Rachels willen lösen musste – und nur noch so wenig Zeit dafür –, dass diese neuesten Entwicklungen nur am Rande interessierten. Er glaubte nicht, dass das böse Blut zwischen den beiden Männern irgendetwas mit Rachel zu tun hatte – im Gegensatz zu Gwinett Linchs Gesang im finsteren Haus der Hamiltons, in dem der Teufel Violet Adams ein Ultimatum gestellt hatte.

      Obwohl er ein geradezu fieberhaftes Verlangen danach verspürte, mehr über Paine und Shields herauszufinden, fühlte Matthew sich durch die knappe Zeit bis zu Rachels Hinrichtung gezwungen, sich weiter darauf zu konzentrieren, ihre Unschuld zu beweisen und alles andere sein zu lassen. Zumindest fürs Erste.

      Er kehrte in Woodwards Zimmer zurück und wartete auf die Magd, die eine kalte Kompresse brachte. Matthew dankte ihr, entließ sie, und legte dem schlafenden Richter selbst das nasse Baumwolltuch auf das Gesicht und den Nacken, wo das Fieber am stärksten zu spüren war.

      Dann ging Matthew nach unten. Mrs. Nettles schloss gerade die Fensterläden für die Nacht. Er bat um eine Kanne Tee und etwas Gebäck, und bekam kurz darauf ein Tablett mit beidem serviert. Er nützte die Gelegenheit, Mrs. Nettles zu fragen, was sie über den Rattenfänger wusste. Aber außer der Tatsache, dass Linch sich nicht oft unter Menschen begab und trotz seiner äußerst wichtigen Arbeit als ein Außenseiter galt, hatte sie nichts Neues zu erzählen. Matthew fragte auch ganz nebenbei, ob ihr jemals Spannungen zwischen Dr. Shields und Nicholas Paine aufgefallen waren, oder ob sie eine Ahnung hatte, was zwischen den beiden vorgefallen sein mochte.

      Mrs. Nettles wusste von keinem Vorfall, war sich allerdings einer gewissen Kälte des Arztes gegenüber Mr. Paine bewusst. Im Gegensatz dazu, sagte sie, war Dr. Shields gegenüber Mr. Winston und Mr. Bidwell sehr herzlich. Mrs. Nettles fand es offensichtlich, dass der Arzt es vermied, mit Paine im selben Zimmer zu sein – nicht auf eine so dramatische Art und Weise, dass es jedem auffiel, aber ihrer Meinung nach verabscheute Dr. Shields den Mann.

      »Ich danke Euch«, sagte Matthew. »Ach … eine Frage noch. Wer ist eigentlich zuerst in Fount Royal aufgetaucht? Mr. Paine oder der Arzt?«

      »Mr. Paine«, antwortete sie. »Das war … oh, ich glaube, ein, zwei Monate, bevor Dr. Shields herzog.« Sie wusste, dass es für all diese Fragen einen guten Grund geben musste. »Hat es etwas mit Rachel Howarth zu tun?«

      »Nein, das glaube ich nicht. Ich wollte nur wissen, ob ich mir da etwas eingebildet habe oder nicht.«

      »Ich würde schwören, dass da mehr dahinter steckt!« Sie lächelte verschmitzt. »Ihr mögt keine losen Enden und Gedankenfaden, die ins Leere laufen, nicht wahr?«

      »Ich könnte wohl Teppichknüpfer werden.«

      »Ha!« Sie lachte bellend. »Ja, das könntet Ihr!« Dann verschwand ihr Lächeln und ihr Gesicht verfinsterte sich, bis wieder so grimmig wie üblich aussah. »Dann gibt es für Madam Howarth also keine Hoffnung mehr?«

      »Die Hoffnung stirbt zuletzt«, sagte Matthew.

      »Was soll das heißen?«

      »Das soll heißen, dass der Scheiterhaufen noch nicht brennt … und dass ich noch mehr lesen muss. Entschuldigt mich nun bitte. Gute Nacht.« Matthew nahm das Tablett mit Tee und Gebäck mit nach oben auf sein Zimmer, goss sich eine Tasse Tee ein und setzte sich neben das offene Fenster, auf dessen Fensterbrett er seine Laterne stellte. Zum dritten Mal nahm er die Zeugenprotokolle aus dem Holzkästchen und fing an, sie von vorn durchzulesen.

      Inzwischen kannte er die Aussagen schon auswendig. Trotzdem hatte er das Gefühl – oder vielmehr die verzweifelte Hoffnung –, dass sich irgendwo in dem Dickicht der Worte ein Wegweiser finden ließ, der seine nächsten Schritte lenken konnte. Er trank seinen Tee und knabberte an dem Gebäck. Matthew hatte von Dr. Shields erfahren, dass Bidwell in Van Gundys Wirtshaus gegessen hatte. Der Arzt hatte Bidwell mit Winston und diversen anderen Männern in einer fröhlichen Runde anstoßen sehen.

      Zum dritten Mal gelangte er ans Ende von Jeremiah Buckners Aussage und legte die Papiere beiseite, um sich die Augen zu reiben. Ihm war ebenfalls nach einem starken Getränk zumute, doch Alkohol würde nur seine Entschlossenheit schwächen und ihn Dinge übersehen lassen. Oh, ein Königreich für eine Nacht mit traumlosem Schlaf und ohne Gedanken an Rachel auf dem lodernden Scheiterhaufen!

      Oder einfach nur eine Nacht, ohne an Rachel zu denken. Und sonst nichts.

      Er erinnerte sich an die Worte des Richters: Ihr zu helfen. Die Wahrheit herauszufinden. Etwas Gutes zu tun. Wie du es auch nennst … Rachel Howarth ist dein Nachtvogel, Matthew. Vielleicht hatte der Richter recht – aber nicht in dem negativen Sinn, den er gemeint hatte.

      Matthew schloss für einen Moment die Augen, um sie auszuruhen. Dann schlug er sie wieder auf, stärkte sich mit einer frischen Tasse Tee und las weiter. Er nahm sich nun die Aussagen von Elias Garrick vor; die Erinnerungen des Mannes an die Nacht, in der er aufgewacht war und – Moment, dachte er. Das war seltsam.

      Erneut überflog er den Abschnitt, den er soeben durchgelesen hatte. Mir ging's die Nacht nicht so gut und ich bin aufgewacht und rausgegangen, um das zu erbrechen, von dem mir so schlecht geworden war. Still war's – alles war still, als ob die ganze Welt Angst hatte, Luft zu holen.

      Matthew setzte sich aufrecht hin. Er zog die Laterne