Wie Mrs. Herrald Matthew eines Abends beim Essen im Sommer erklärt hatte, als sie ihm Arbeit als Ermittler in der Vertretung angeboten hatte, die ihr Mann Richard in London gegründet hatte: Ihr könnt mir glauben, Matthew, dass nicht nur die Verbrecherwelt Englands in diese Richtung schaut und das Potenzial erkannt hat, sondern die von ganz Europa. Damit meine ich zum Beispiel Entführungen, Fälschungen, Diebstahl und Mord auf Bestellung. Oder den Verstand und die Seele eines Menschen zu beherrschen, um daraus illegalen Gewinn zu schlagen. Ich könnte Euch eine Namensliste der Verbrecher geben, die am wahrscheinlichsten eines Tages hierhergelockt werden. Die kleinen Gauner machen mir keine Sorgen, sondern vielmehr die im Untergrund gedeihende Gesellschaft, die die Fäden zieht. Die äußerst mächtige und lebensgefährliche Gruppe von Männern – und Frauen –, die wie wir jetzt beim Essen sitzt, ihre Messer aber über einer Landkarte der Neuen Welt gezückt hat, und die einen Wolfshunger hat.
Wie wahr, dachte Matthew. Mit dem Mann, der das größte Messer besaß, war er bereits in Berührung gekommen, und in manchen dunklen Momenten kam es ihm vor, als würde ihm die Klinge an den Hals gedrückt.
Greathouse stellte seine Teetasse hin. »Zed ist ein Ga«, sagte er.
Matthew nahm sich, sich verhört zu haben. »Ein Ga?«
»Ein Ga«, antwortete Greathouse. Sein Blick schweifte zur Seite. »Da kommt Evelyn.«
Evelyn Shelton, eine der zwei Bedienungen der Schänke, kam auf ihren Tisch zu. Sie hatte funkelnde grüne Augen und blonde Haare wie eine gekämmte Wolke, und da sie nebenher auch Tanzlehrerin war, besaß sie flinke Füße, die sie sicher durch den morgendlichen Andrang von Gästen trugen. Armreifen aus Elfenbein und Kupfer klirrten an ihren Handgelenken. »Matthew!«, sagte sie mit offenem Lächeln. »Was darf ich Euch bringen?«
Einen neuen Satz Ohren, dachte er, da er immer noch nicht verstand, was ein Ga sein sollte. »Ach, ich weiß nicht. Gibt es heute Brezeln?«
»Frisch gebackene.«
»Die Würstchen sind gut«, empfahl Greathouse, der gerade eins kaute. »Sagt ihm, dass die einen Mann aus ihm machen, Evelyn.«
Ihr Lachen klang wie das Klingeln von Glasglocken. »Oh ja, die sind sehr würzig! Aber sie verschwinden den Leuten so schnell im Schlund, dass wir kaum genug davon hereinbekommen können! Die paar Tage im Monat, an denen wir sie haben – wenn Ihr welche wollt, dann am besten heute!«
»Die Würzwürstchen kann ruhig Mr. Greathouse haben«, entschied Matthew. »Ich nehme eine Brezel, einen kleinen Teller Maissuppe, Speck und Apfelmost. Danke.« Als die Bedienung gegangen war, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Greathouse zu. »Was genau ist denn ein Ga?«
»Der Stamm der Ga. Hu, das ist ordentlich gewürzt!« Er musste sich die Stirn mit der Serviette abtupfen. »Aber verdammt lecker. Zed gehört dem Ga-Stamm in Westafrika an. Ich hatte es vermutet, als Ihr mir das erste Mal von seinen Tätowierungsnarben im Gesicht erzählt habt. Manchen der Kinder werden sie zugefügt, wenn sie noch sehr klein sind. Denen, die zur Ausbildung als Krieger geeignet scheinen.« Er trank mehr Tee, aber die Wurst musste zu verlockend sein, denn er aß sofort weiter. »Nachdem ich die Narben selbst gesehen hatte, wollte ich herausfinden, wie gut Zed kämpfen kann. Ich finde, dass er sich in der Situation sehr kompetent verhalten hat. Meint Ihr nicht?«
»Ich meine, dass Ihr fast für seinen Tod verantwortlich gewesen seid«, entgegnete Matthew grimmig. »Und unsern noch dazu.«
»Da sieht man wieder, dass Ihr keine Ahnung habt. Ga-Krieger gehören zu den besten Handkämpfern der Welt. Und man sagt ihnen nach, vollkommen furchtlos zu sein. Zed hat sich gestern Abend zurückgehalten. Er hätte jedem der Männer da den Hals brechen können, ohne ins Schwitzen zu kommen.«
»Wenn das stimmt«, sagte Matthew, »warum ist er dann ein Sklave? Ich würde annehmen, dass ein solch furchtloser Krieger sich gegen die Fesseln des Sklavenhändlers doch etwas mehr gewehrt hätte.«
»Aha.« Greathouse nickte und kaute. »Ein guter Punkt, und genau deswegen habe ich mit McCaggers abgemacht, Zed auf die Probe zu stellen. Es ist äußerst selten, einen Ga als Sklaven zu finden. Versteht Ihr, McCaggers hat keine Ahnung, was er da hat. McCaggers wollte nur den größten Sklaven, den er sich leisten konnte, damit der die Leichen tragen kann. Er wusste nicht, dass er eine Kampfmaschine kauft. Aber ich musste herausfinden, wie Zed reagieren würde. Und dafür schien mir das Cock’a’tail am geeignetsten zu sein.«
»Und wie erklärt Ihr Euch, wie diese … Kampfmaschine zum Sklaven wurde und warum er sich nicht einfach aus seiner Lage freigekämpft hat?«
Greathouse biss in einen Maisfladen und tippte mit der Gabel leicht an den Teller. Als Matthew auf Greathouses nächste Worte wartete, fiel ihm auf, dass Sally Almond alle ihre Teller und Tassen von Hiram Stokely in der beliebten Indianerblut-Farbe gekauft hatte; eine der neuen Glasuren, mit denen Hiram nach dem Neuaufbau seiner Töpferei zu experimentieren begonnen hatte. Dank Brutus, dem Stier, lief das Geschäft der Stokely-Töpferei nun doppelt so gut wie vorher.
»Was ihn in seine Lage, wie Ihr es nennt, gebracht hat«, gab Greathouse schließlich zurück, »wird man vermutlich nie erfahren. Aber ich würde sagen, dass auch der beste Krieger der Welt einen Schlagstock von hinten auf den Kopf bekommen oder in einem Netz gefangen und von sechs oder sieben Mann überwältigt werden kann. Oder sich sogar opfern muss, damit jemand anderes von den Ketten verschont bleibt. Sein Volk fischt und sieht auf eine lange Geschichte in der Seefahrt zurück. Vielleicht hat man ihn auf einem Boot gefangen, wo er keinen Ausweg hatte. Ich kann mir vorstellen, dass er seine Zunge verloren hat, weil er nicht zu kämpfen aufhörte – dann mag man ihm gesagt haben, dass als Nächstes ein anderer empfindlicher Teil seines Körpers abgeschnitten wird. Das sehe ich alles als Möglichkeiten an, aber wie gesagt, wissen werden wir es wohl nie.«
»Dann überrascht mich aber, dass er nicht einfach McCaggers umgebracht und sich davongemacht hat.«
»Aber wieso sollte er das denn tun?« Greathouse starrte Matthew an, als hätte er es mit einem Schwachkopf zu tun. »Wo würde er denn hinlaufen? Und was würde es ihm nützen? Soweit ich es beurteilen kann, ist McCaggers immer gut zu ihm gewesen und Zed hat es ihm mit Loyalität vergolten …« Er hielt inne und überlegte. »Mit so viel Loyalität, wie ein Sklave in dieser Situation aufbringen kann. Was von Zeds Klugheit zeugt. Wäre er nicht klug, hätte ich kein Interesse an ihm. Und ich hätte auch nicht das Geld ausgegeben, ihm von Benjamin Owles einen anständigen Anzug nähen zu lassen.«
»Was?« Jetzt wurde es ernst. Greathouse hatte tatsächlich Geld für einen Anzug ausgelegt? Den McCaggers‘ Sklave trug? Nachdem Matthew diese Enthüllung verdaut hatte, sagte er: »Wäret Ihr so freundlich, zu erklären – so vernünftig und rational wie möglich –, warum genau Ihr ein derartiges Interesse daran hegt, Zed für die Herrald Vermittlung arbeiten zu lassen? Ihn einzustellen? Oder habe ich das nur geträumt?«
»Nein, Ihr habt nicht geträumt. Hier kommt Euer Frühstück.«
Evelyn trat mit Matthews Essen auf einem Tablett an den Tisch. Sie hatte außerdem einen leeren Jutesack dabei, der in Rot mit Mrs. Lekas Würstchen und darunter »Äußerst Leka« beschriftet war, den sie den anderen Speisenden zeigte. »Ausverkauft, liebe Freunde!« Diese Meldung rief einen Chor von gut gemeinten Buhrufen hervor. »Die neue Lieferung sollte nächsten Monat kommen. Wir machen draußen am Brett einen Aushang.«
»Die sind ja wirklich