»Die Herrald Vermittlung ist ein Privatunternehmen«, sagte Greathouse und reckte das Kinn. »Wir arbeiten weder für die Stadt noch die New-Jersey-Kolonie. Und ganz bestimmt nicht für Lord Cornbury!«
»Ach, stimmt ja. Die Frage, für wen Ihr arbeitet.« Lillehorne griff sich in die Tasche und holte einen kleinen braunen Beutel heraus, der mit einer Lederkordel zugebunden war. Er schüttelte ihn und ließ die Münzen klingeln. »Mr. Drei-Pfund. Den habt Ihr doch kürzlich kennengelernt?«
Matthew gab keinen Ton von sich.
»In dem Umschlag sind offizielle Überführungsdokumente«, sprach Lillehorne weiter. »Sowohl Ihr und Mr. Corbett, als auch die beiden Ärzte müssen unterschreiben. Die Ärzte haben eingewilligt, Euch bei der Entgegennahme des Gefangenen weitere zwei Pfund zu zahlen. Könnt Ihr das addieren, Sir?«
Greathouse schnaubte. »Die müssen den sehr dringend loswerden wollen.« Er stockte und betrachtete den Geldbeutel mit hungrigen Augen. »Er muss gefährlich sein. Nein, ich denke nicht, dass fünf Pfund ausreichend sind.« Er schüttelte den Kopf. »Schickt Eure Wachtmänner, um ihn abzuholen. Ein halbes Dutzend sollte das wohl schaffen.«
»Meine Wachtmänner, wie Mr. Corbett einmal erklärt hat, sind den schwierigeren Aufgaben nicht ganz gewachsen. Und bildet Ihr Euch nicht etwas darauf ein, die Fachmänner zu sein?« Er ließ den Kommentar in der Luft hängen, bevor er weitersprach. »Und Ihr geht fälschlicherweise davon aus, dass es sich hier um eine Anfrage von Lord Cornbury handelt. Ihr solltet Euch inzwischen darüber klar sein, dass er sich … wie soll ich sagen … seiner Base, der Queen, beweisen will. Ich möchte mich Lord Cornbury beweisen. Und so weiter. Könnt Ihr mir folgen?«
»Fünf Pfund reichen nicht«, wiederholte Greathouse mit Nachdruck.
»Für einen Auftrag, der nur zwei Tage dauert? Mein Gott, was zahlen die Leute Euch nur inzwischen?« Lillehorne bemerkte den Besen, der in der Ecke stand. »Eine ärmliche kleine Arbeitsstube wie diese lässt sich mit dem Dreck zusammen beiseite kehren. Lord Cornbury kann ein Schloss vor jede Tür hängen, die er will, Greathouse. Wenn ich Ihr wäre – und ich weiß, das bin ich nicht –, würde ich diesen sehr großzügigen Betrag annehmen und mir vor Augen führen, dass Lord Cornbury Euch sehr nützlich sein kann, wenn Ihr ihn auf Eurer Seite habt.«
»Das ist möglich?«
»Man kann mit ihm auskommen. Und wenn Ihr ihm einen Gefallen tut, bin ich mir sicher, dass er Euch eines Tages durchaus ebenfalls einen Gefallen erweisen könnte.«
»Einen Gefallen«, sagte Greathouse, und Matthew sah, wie er überlegend die Augen schmal machte.
»Zwei Tage Arbeit. Wenn Ihr in der nächsten Stunde losfahrt, schafft Ihr es bis zur Dunkelheit noch bis nach Westerwicke.« Lillehorne studierte den silbernen Löwenkopf am Griff seines Spazierstocks. »Es wird Euch nicht so viel Zeit kosten, dass Ihr … äh … potenzielle weitere Aufträge verpasst.« Matthew nahm an, dass er auf Greathouses mysteriöse Erledigungen für seinen neuesten Auftraggeber anspielte.
Es dauerte noch ein wenig, bis Greathouse alles überdacht hatte. »Mir gefällt die Vorstellung nicht, da nochmal hinzufahren«, meinte er. »Zum Tollhaus und all diesen Irren. Wie seht Ihr das, Matthew?«
Was konnte Matthew schon sagen? Er schwieg und zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß, dass Ihr das Geld gebrauchen könntet«, sagte Greathouse zu ihm. »Und mir käme Lord Cornburys Wohlwille nicht ungelegen. Aber sagt mir doch, Lillehorne: Habt Ihr ihn jemals in Männerkleidung gesehen?«
»Habe ich. Allerdings sieht er darin genauso … unpassend aus.«
Greathouse nickte und sagte dann: »Die Ketten.«
»Wie meinen?«
»Die Ketten haben besser kein einziges verrostetes Glied.«
Das hatten sie nicht. Die soliden Handschellen und Fußeisen sowie die Ketten lagen in einem Jutesack hinten auf dem Wagen. Matthew lenkte die Pferde auf einen von der Philadelphia-Straße abzweigenden Weg und durch ein Wäldchen. Gleich dahinter befanden sich die drei Gebäude des Tollhauses.
Es war ein friedlicher Ort, an dem die Vögel in den Bäumen sangen und eine leichte Brise wisperte. Greathouse rutschte dennoch unbehaglich auf dem Kutschbock hin und her und vermied es, die Gebäude anzusehen, als wollte er nicht daran denken, was hinter den Mauern lag. Das zweite und größte Gebäude, aus rauem Stein gebaut und einer Scheune oder Versammlungshalle ähnelnd, beherbergte alle Insassen bis auf die wenigen, die im dritten, weiß gestrichenen Haus dem Garten gegenüber wohnten. An manchen der Fenster des zweiten Gebäudes waren die Läden geschlossen. An anderen standen sie offen, die Fenster waren vergittert, und als der Wagen sich näherte, spähten einige Gesichter heraus. Die ländliche Stille wurde von einem Schrei durchrissen, in den eine zweite, noch schrillere Stimme einfiel.
»Anscheinend haben wir unser Ziel erreicht«, bemerkte Greathouse trocken und rieb sich die Hände. Matthew wusste von ihren früheren Besuchen, dass das Tollhaus Greathouse so fahrig werden ließ wie eine Katze auf einem Teppich aus Rasierklingen. Dabei führten die beiden Ärzte die Einrichtung auf effiziente und humane Art.
Vor dem ersten Gebäude, das weiß gestrichen war und wie ein ganz normales Haus aussah, ließ Matthew die Pferde anhalten. Als er vom Kutschbock stieg, um die Gäule am nahegelegenen Trog trinken zu lassen, ging die Tür auf und ein untersetzter Mann in braunem Anzug und Weste kam heraus. Er hob grüßend die Hand und nahm dabei die Tonpfeife aus dem Mund.
»Zum Gruße, Gentlemen«, sagte Dr. Curtis Hulzen. Er hatte graue Haare, und auf seiner Hakennase saß eine Brille. »Der Tag ist also gekommen.«
Greathouse brummelte etwas vor sich hin, das Matthew nicht verstehen konnte und auch nicht wollte.
»Jacob!«, rief Hulzen ins Haus hinein, woraufhin ein in Grau mit brauner Weste gekleideter Mann nach draußen kam. »Kannst du bitte Dr. Ramsendell holen und ihm sagen, dass die Eskorte da ist?«
»Sir«, antwortete Jacob mit einem kurzen Nicken und kam über den vielbenutzten Pfad auf Matthew zu, der diesen Patienten schon bei seinem ersten Besuch kennengelernt hatte. Vor dem Pferdetrog blieb Jacob plötzlich stehen und fragte Matthew in abgehackten Worten: »Seid Ihr gekommen, mich nach Hause zu bringen?« Jacobs linke Schläfe war nach innen eingedellt, und eine alte gezackte Narbe verlief von seiner rechten Wange hoch zu einer eingefallenen Stelle auf seinem Kopf, an der keine Haare mehr wuchsen. Seine hell glänzenden Augen starrten Matthew hoffnungsvoll an. Ramsendell hatte Matthew erklärt, dass sein Zustand durch einen Unfall in der Sägemühle verursacht worden war und dass Jacob nie wieder dort draußen bei seiner Frau und den zwei Kindern würde leben können. Als Matthew merkte, dass Hulzen ihm nicht aus seiner Verlegenheit helfen würde, sagte Matthew so freundlich, wie er konnte: »Nein, ich fürchte nicht.«
Jacob zuckte die Achseln, als hätte er diese Antwort erwartet, aber in seinen Augen lag vielleicht ein Funke Schmerz. »Macht nichts«, meinte er mit einem schiefen Grinsen. »In meinem Kopf spielt Musik.« Dann ging er den Pfad entlang auf das zweite Gebäude zu, holte einen Schlüsselring aus seiner Westentasche, schloss die massive Holztür auf und verschwand im Insassenhaus.
»Ihr geht ja freizügig mit Euren Schlüsseln um«, bemerkte Greathouse, der vom Wagen kletterte. »Es würde mich nicht überraschen, wenn Eure Irren eines Tages alle in den Wald davonlaufen würden. Und was wäre dann?«
»Dann würden wir sie wieder zurückholen.« Hulzen hatte sich die Pfeife zurück in den Mund gesteckt und blies den Rauch in Greathouses Richtung. Die beiden waren schon einmal aneinander geraten. »Die, die weglaufen würden – und das wären nur wenige. Ihr scheint nicht zu verstehen, dass die meisten unserer Patienten wie Kinder sind.«
Greathouse zog den versiegelten Umschlag aus der Innentasche