Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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von den Staatsanwälten verlangt, daß sie das Spielen Chopinscher Musik verbieten sollen, weil sie aufreizend und sinnlich sei. Aber trotz all der Schrullen steckt in ihm doch eine merkwürdige Kraft.

      Kürzlich hat er in München eine Ausstellung eigener Bilder veranstaltet. Die Bilder sollen lächerlich und kindisch sein; ich weiß es nicht, ich habe sie nicht gesehen. Aber zu der Ausstellung hat er einen Katalog geschrieben, in dem es heißt: Ich bin Heinrich Pudor! Ich bin Ich! ich bin weder ein Künstler, noch ein Nichtkünstler! ich habe keine andren Attribute, als nur die, daß Ich Ich bin!

      Sehen Sie, das ist gut gesagt.

      Nein, Sie irren, Herr Doktor: das ist keine übermäßig anspruchsvolle Bedeutung. Denn sobald ich Mensch bin, bin ich eben ein bedeutendes, unheimlich bedeutendes Stück Natur. Wenn ich nun sage: Hier sind meine Bilder! mögen sie noch so lächerlich sein, aber sie sind ein Stück von mir! und voraus gesetzt, daß sie wirklich aus innerstem Drang erzeugt sind: so charakterisieren sie mich besser, als alle Tugendtaten, die ich vollbracht habe und noch vollbringen werde.

      Hier ist ein Stück meiner Individualität; wen es interessiert, der mag zusehen. Ich bin Ich, und nichts ist in mir, dessen ich mich zu schämen brauchte.

      – Aber das ist absoluter Größenwahnsinn, warf der Arzt ein.

      – Durchaus nicht absoluter und durchaus nicht relativer! Sie als Arzt sollten doch wissen, daß die sogenannte Megalomanie mit dem Schwund der Individualität Hand in Hand geht. Erst wenn das Bewußtsein meiner Eigenheit verloren gegangen ist, halte ich mich für Napoleon, Caesar u. s. w. Aber ein noch so starkes Bewußtsein meines eignen Ichs und seiner Bedeutung hat nichts Maniakalisches.

      Nein, im Gegenteil: es erzieht die Menschheit, es erzeugt die großen Individuen, an denen es in unserer Zeit so furchtbar mangelt, es gibt Kraft und Macht und den heiligen Verbrechermut, der bis jetzt noch alles Gewaltige geschaffen hat.

      Ja, das hat er sicher, Herr Redakteur! Nur das »größenwahnsinnige« Bewußtsein hat die große Energie und Grausamkeit, den Mut zur Zerstörung, ohne den nichts neues und herrliches zu Stande kommt. Übrigens, hm, ist es gleichgültig, ob man es hat; die Hauptsache, daß man es haben muß! ja, muß ...

      Wieder stieg in Falk die Unruhe und die Angst hoch.

      – Nein, es ist doch furchtbar blödsinnig, uns die Zeit mit dummen Gesprächen zu vertreiben; dies leere Strohdreschen. Nein, zum Teufel, lustig, trinken wir! Die Lebensrätsel ... hei! Herr Wirt! noch eine Flasche!

      Und es wurde getrunken. Falk war sehr nervös. Seine Stimmung teilte sich den andern mit. Man trank sehr hastig.

      Bald hatte der Redakteur über das Maß getrunken.

      – Ja, er liebe Falk über alles; er werde sich glücklich schätzen, ihn zum Mitarbeiter zu haben.

      Falk hatte ihm bestimmt versprochen, von Paris aus regelmäßige Berichte an sein Kreisblatt zu schicken.

      Der Arzt kicherte.

      – Elbsfelder Wochenblatt: zwei Spalten Annoncen, regelmäßige Berichte aus Paris! Ha-ha-hah, wo liegt das Dorf Paris?

      Der Redakteur fühlte sich tödlich beleidigt.

      Falk horchte in sich hinein.

      Eine unendliche Sehnsucht nach seiner Frau löste sich in ihm. Ja! ihre körperliche Wärme, ihre Hände und Arme!

      Merkwürdig, wie ihn Marit ganz verlassen hatte; keine Spur von Verlangen. Er brach auf.

      Als er nach Hause kam, war es schon Tag. Er kühlte sich die Augen im Waschbecken und öffnete das Fenster. Dann schrieb er folgenden Brief:

      Mein teures, über alles geliebtes Weib!

      Ich bin betrunken von meiner Liebe. Ich bin krank und elend vor Sehnsucht nach dir. Nichts kümmert mich auf dieser Welt, außer dir, dir, dir!

      Du liebst mich; sag mir, wie du mich liebst, du Mein, mein alles!

      Und wenn ich bei dir bin, wie werde ich dich finden, wie wirst du zu mir sein? Bin ich dir noch immer dein großer, schöner Mann? Warum ist dein letzter Brief so traurig?

      Wie alles in mir nach dir stöhnt! Wie ich nach dir verlange! Sag mal! bin ich das für dich, was du für mich?! – Das Licht, das Leben, die Luft: alles, alles, worin allein ich leben kann? Denn siehst du: jetzt, jetzt weiß ich sicher: nie hab ich etwas sicherer gewußt: ich kann nicht ohne dich leben! nein, wirklich nicht.

      Nur lieb mich! Lieb mich über dein Können hinaus; nein, so viel du kannst. Du kannst sehr, sehr viel! Nur lieb mich, lieb mich.

      Eine ganze Literatur werd ich für dich schreiben, bloß damit du was zu lesen hast. Dein Clown werd ich sein, damit du was zu lachen hast. Unter deine Füße werd ich kriechen, wie ein Sklave werd ich dich bedienen, die ganze Welt werd ich vor dir auf die Knie zwingen: nur lieb mich, wie du mich geliebt hast, wie du mich vielleicht noch immer liebst. Ich werde mit absolutester Sicherheit in zwei Tagen von hier wegfahren ... Dein Mann ...

      Als Falk aber ausgeschlafen hatte, machte er aus den zwei Tagen fünf – worauf er den Brief zur Post trug.

      XI.

       Inhaltsverzeichnis

      Falk und Marit standen sich verlegen gegenüber. Er hatte sie vom Landweg aus am See entlang gehen sehen und sie eingeholt.

      – Ich habe doch unglaublich scharfe Augen, sagte er, ihr die Hand reichend.

      – Ja, das haben Sie; es war ziemlich schwer mich hier zu entdecken.

      Schweigen.

      Der Nachmittag neigte sich zum Abend; der Himmel war bewölkt, die Luft drückte.

      Sie setzten sich ans Ufer; Falk schaute auf den See.

      Merkwürdig, wie tief still das Wasser heute ist. Wissen Sie: diese Ruhe, diese schwere Ruhe, die schon jenseits aller Ruhe liegt, hab ich nur noch Einmal in meinem Leben gesehen.

      – Wo war denn das?

      – Ja, als ich in Norwegen war, an irgend einem Fjord; den Namen hab ich vergessen. O, es war unheimlich schön.

      Wieder trat Schweigen ein.

      Marit wurde unruhig.

      – Wie sind Sie denn gestern nach Hause gekommen?

      – Oh, sehr gut, sehr gut.

      Das Gespräch wollte nicht vorwärts.

      – Nein, Fräulein Marit, es ist doch zu schwül hier; im Zimmer ist es tausendmal besser.

      Und sie gingen nach Hause.

      Falk versuchte intim zu werden.

      – Das sei gestern der herrlichste Abend gewesen, den er jemals erlebt.

      Marit schwieg, sah ihn ängstlich an.

      Falk verstand sie. Dieser stumme Widerstand störte ihn im höchsten Grade. Er mußte heute die Geschichte zum Abschluß bringen; er fühlte das als unabwendbares Verhängnis. Aber er war schlaff; er fühlte nicht die Energie, ihren Widerstand zu brechen.

      Er mußte irgend ein Reizmittel haben. Ja, er kannte es; nach dem zweiten Glase fings ja immer an, in ihm zu gären und zu arbeiten, dann kam ihm die berauschende Kraft, die keine Hindernisse kennt.

      – Marit, haben Sie nichts zu trinken? ich habe viel Staub geschluckt.

      Marit brachte Wein.

      Falk trank hastig.

      Dann setzte er sich in den Armstuhl und sah sie starr an.

      Marit schlug die Augen zu Boden.

      – Aber was haben Sie, Fräulein Marit? ich kenne Sie gar nicht wieder. Haben Sie denn ein Verbrechen begangen? oder was ...

      Marit sah