Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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...

      Er fing an nervös in den Taschen herumzusuchen.

      Plötzlich kam er zur Besinnung.

      Er lächelte blödsinnig.

      Nein du, was hast du da im Kopf für schwarze Löcher? Du siehst ja wie ein Totenkopf aus. Nein, sieh mich nicht so an – sieh mich nicht an – nein, laß – laß – ich geh – ich gehe.

      Falk duckte sich in wachsender Angst.

      Ich geh, ich gehe schon ... Er winselte wie ein Tier,

      – Ich gehe – ja – ja ...

      Er lief hinaus.

      – Nein, steigen Sie hier ein! rief der Kutscher. Ich fahr Sie!

      – Einsteigen? Ja so, einsteigen ... Falk stieg in die Equipage, die da wartete.

      – Wo ist nur mein Hut? Nein, der Hut ist nicht da ... Falk hielt ihn in den Händen ... Ist das aber seltsam! – –

      Marit saß im Zimmer mit dem Hut auf dem Kopfe; sie war völlig gelähmt.

      Da fuhr er, ja. Wirklich? Nein. Doch; doch. Ja.

      Kein einziger Gedanke! Sie war also tot. Nein, sie träumte. Nein, sie träumte nicht.

      Und wieder sah sie deutlich, wie schon Einmal, Falks Gesicht: es biß sie mit saugenden Vampiraugen, es fraß an ihrer Seele mit grinsendem Hohn ... Lügner ...

      Sie wußte, sie sah es: jetzt endlich hatte er die Wahrheit gesagt.

      So saß sie wohl eine Stunde lang.

      Er war also verheiratet!

      – Verheiratet – wiederholte sie kalt und rauh.

      Sie fühlte wie ihr Inneres zu Eis gefror; alles kroch in ihr auf einen Punkt zusammen; die Wärme schwand und schwand. Alles schrumpfte auf den einen, kleinen, winzigen Punkt zusammen: Verheiratet ...

      Sie sah seine unheimlich glühenden Augen.

      Ihr Kopf verwirrte sich.

      Sie sprang auf.

      Nein, wie sie das nur hatte vergessen können! Sie entkleidete sich schnell; ihr Blick fiel in den Spiegel.

      Nein, mit dem Hut auf dem Kopfe konnte sie doch unmöglich in die Küche gehen; das wäre drollig.

      Sie lächelte stumpf vor sich hin.

      Sie ging in die Küche; es sollte Brot gebacken werden. Sie ordnete es an.

      Sie war mit fiebernder Unruhe tätig.

      Dann kam sie in die Stube zurück.

      Über dem Sofa hing ein Bild, das nur aus Buchstaben bestand; es war da in so merkwürdigen Schnörkeln und mit grellen byzantinischen Initialen das Vater-Unser gedruckt.

      Sie betrachtete es aufmerksam.

      – Wie abscheulich dieser Drache um das U ...

      Sie las: Und verzeih uns unsere Sünden ...

      – Nein, warte mal, Marit ...

      Sie setzte sich auf den Stuhl.

      – Ja, da saß Falk. Nun sagte er ...

      Verheiratet! klangs ihr stahlhart in den Ohren.

      – Ja wirklich: verheiratet mit Fräulein Perier.

      Sie ging ans Fenster und schaute hinaus.

      – Wie der Tag lang dauert. Ja! bis zum 21. Juni werden die Tage immer länger.

      Sie sah auf die Uhr. Es war fünf Uhr nachmittags.

      Nun wird der Bruder gleich vom Turnen kommen: sie mußte ihm Kaffee besorgen.

      Ein Wagen rollte in den Hof...

      – Du, Marit, Falk ist furchtbar krank ...

      Der Bruder erzählte hastig, sich überstürzend ... Als Hans ihn nach Hause gebracht hat, mußte er aus dem Wagen gehoben werden; er konnte keinen Menschen erkennen. Seine Mutter weinte furchtbar, und dann kam der Kreisphysikus ...

      – So, Falk ist krank ...

      Marit wollte dem Bruder erzählen, daß Falk verheiratet sei, aber sie bezwang sich.

      Nun wird seine Frau kommen, und wird den armen, Nikotin-vergifteten Mann pflegen, und seine Launen wie ein Engel ertragen ... ja ...

      Sie ging in ihr Zimmer hinauf.

      Man solle sie nicht stören; sie werde sich ein bißchen schlafen legen ...

      Falk ist furchtbar krank ... er mußte getragen werden ... seine Mutter weinte ...

      Marit lief unruhig hin und her ... Ich muß zu ihm gehen ... sofort ... er wird sterben.

      Ihr Kopf war zum Bersten; sie griff mit beiden Händen hoch.

      Verheiratet! Verheiratet! dröhnte es fortwährend.

      – Ich werde dich so glücklich machen, so glücklich, und werde dich niemals verlassen!

      Eine weinende Wut stieg ihr würgend in die Kehle: Gott! Gott! Wie er gelogen hatte!

      Und eine Scham und schäumende Empörung.

      Herrgott: wars denn wirklich geschehen? Ja ... o ja ... Glück.

      Sie fühlte, wie er leise ihren Körper wiegte; hin und her. Sie fühlte seine heißen, gierigen Lippen; auf ihrem ganzen Körper. Sie sah sich entkleidet; er umfing sie ... Und aus allen Ecken tauchten gräßliche Gespenster, wilde, lachende, verzerrte Maskengesichter, die sie angrinsten und anspien.

      Sie kroch in sich zusammen; sie warf sich auf das Bett, vergrub sich in die Kissen.

      Mit eignen Nägeln sich ein Grab aufscharren! O Schande ... Schande ...

      Auf den Jammer des Menschenkindes glotzte die Madonna mit blödem Lächeln ...

      Es dämmerte ...

      Jenseits des Sees verschwand die Sonne hinter den Gipfeln des Waldes und goß blutrote Lichter über die Spitzen der Bäume.

      Marit horchte.

      Sie hörte das Klappern des Storches und das Lachen der Mägde, die unten vor dem Hause Kartoffeln zum Abendbrot schälten.

      Dann hörte sie singen.

      Es war ihr Bruder.

      Dann schlief sie ein ...

      Als sie aufwachte, war es Nacht.

      Sie setzte sich auf den Bettrand; dachte nach. Aber die Gedanken zerstreuten sich fortwährend. Sie stierte gedankenlos in das Zimmer hinein.

      Sie war verdammt; von Gott verstoßen. Nun war alles gleichgültig. Alles.

      Sie dachte nach, was wohl nicht gleichgültig wäre?

      Nein, es war nichts da.

      – Falk ist krank; aber Falk hat sie betrogen. Er versprach ihr Glück, endloses Glück, und er war verheiratet. Jetzt kommt seine Frau und wird ihn pflegen; seine Marit ist verdammt. Wenn sie zu ihm geht, wird sie weggejagt. Und dann wird sie draußen wie ein Hund im Regen stehen, vor der Tür zusammengekauert. Nein, sie hatte kein Recht auf ihn – nichts, gar nichts auf der Welt.

      Nun ist alles weg. Vater weg, Mutter weg; Gott gibt es nicht. Ja, das hat Falk gesagt. Falk hat Recht. Sonst würde Gott sein Kind nicht so entsetzlich quälen können. Alles weg ...

      Endlich stand sie auf. Sie machte Licht; sie wollte ihr Haar ordnen. Sie trat vor den Spiegel.

      O Gott, wie sie aussah ... Nein, wie mager; wie mager ... o, es ist ja gleichgültig ...

      Das ganze Haus schlief.

      – Das Glück ... das endlose Glück ... Ja: er hat es mir gegeben ... Sie nahm Hut und Mantel und ging an den See.

      Sie setzte sich auf den Stein: