Im nächsten Moment fühlte er eine streichelnde Hand auf seinem Rücken und fuhr erschrocken herum.
»Manon, habe ich dich etwa geweckt?« fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Du warst beileibe nicht so laut, als daß ich dich bis ins Nebenzimmer hätte hören können. Es war wohl mehr so ein Gefühl.« Sie sah ihn besorgt an. »Du mußt doch eigentlich sehr müde sein, Robert.«
»Müde«, wiederholte er leise, dann nickte er. »Ja, müde bin ich wirklich, aber trotzdem kann ich nicht schlafen.«
»Warte hier«, meinte Manon, dann ging sie hinaus und kam eine knappe Viertelstunde später mit einer Tasse Tee zurück. »Hier, Robert, trink das.«
Dr. Daniel nahm die Tasse entgegen und trank einen ersten Schluck, dann sah er Manon an.
»Warum tust du das alles für mich? Nach allem, was ich… ich meine… bei deinem letzten Besuch habe ich mich nicht gerade so verhalten, wie es sich für einen Freund gebührt hätte.«
»Ich mag dich eben, Robert«, antwortete Manon schlicht. »Und ich will nicht, daß du an den Machenschaften dieser berechnenden, rücksichtslosen Frau zugrunde gehst.« Sie lächelte. »Jetzt trink erst mal deinen Tee. Danach wirst du sicher bald einschlafen.«
Es zeigte sich, daß Maon recht behielt. Dr. Daniel fühlte plötzlich, wie alle Anspannung von ihm abfiel. Eine tiefe Ruhe breitete sich in ihm aus und ließ ihn endlich einschlafen. Als er am nächsten Tag erwachte, stieg ihm der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee in die Nase. Rasch stand er auf, duschte und zog sich an.
»Guten Morgen, du Langschläfer«, begrüßte Manon ihn lächelnd. »Das Frühstück steht schon bereit.«
»Frühstück um elf Uhr vormittags.« Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Allmählich entwickle ich mich tatsächlich zum Langschläfer, dabei war ich doch immer ein Frühaufsteher.«
»Ich glaube, den letzten Tag solltest du nicht unbedingt als Maßstab nehmen, Robert«, meinte Manon, dann trug sie all die feinen Sachen auf, die sie bereits zubereitet hatte. »Wie du siehst, ist dieses Frühstück schon beinahe ein Mittagessen. Und danach, mein lieber Robert, gehst du Skilaufen. Das wird dich ein bißchen ablenken.«
»Leider wird diese Ablenkung nicht möglich sein«, entgegnete Dr. Daniel. »Meine Skier stehen noch immer beim Schwarzen Adler unten.«
»Irrtum.« Manon grinste. »Die habe ich heute früh schon geholt.«
»Meine Güte, wie soll ich das alles jemals wiedergutmachen?« fragte Dr. Daniel betroffen.
»Das sollst du gar nicht«, meinte Manon. »Ich möchte doch nur, daß du wieder so wirst, wie ich dich damals kennengelernt habe.«
Da senkte Dr. Daniel den Kopf. »Ich weiß nicht, ob das möglich sein wird.«
Trotzdem schnallte er nach dem äußerst reichhaltigen Frühstück seine Skier an. Er war zwar ein bißchen enttäuscht, daß Manon ihn nicht begleiten wollte, aber als er dann durch den Wald talwärts fuhr, stellte er fest, daß ihm dieses Alleinsein tatsächlich recht gut tat. Es gab ihm die Möglichkeit, sich mit allem, was gestern geschehen war, noch einmal gründlich auseinanderzusetzen.
Völlig durchgefroren, aber innerlich wieder ruhig geworden, beinahe gefestigt, kehrte er gegen Abend in seine Hütte zurück. Durch das Fenster drang der warme Lichtschein des flackernden Feuers, und plötzlich freute sich Dr. Daniel auf die Gemütlichkeit, die Manon zu verbreiten verstand. Er schnallte die Skier ab und lehnte sie gegen die rauh verputzte Wand der Hütte, dann stampfte er vor der Tür die Stiefel ab. Im nächsten Moment hörte er zarten Glockenklang nach draußen dringen. Er lauschte, doch das sanfte Läuten kam aus der Hütte und nicht etwa vom Dorf herauf.
Neugierig geworden öffnete Dr. Daniel die Tür und blieb dann einen Augenblick wie verzaubert stehen. Direkt in seinem Blickfeld stand die liebevoll geschmückte Tanne, und der ganze Raum war von Kerzenduft erfüllt.
Jetzt trat Manon mit einem herzlichen Lächeln zu ihm, umarmte ihn und gab ihm einen freundschaftlichen Kuß auf die Wange.
»Frohe Weihnachten, Robert.«
Es dauerte ein paar Sekunden, bis sich Dr. Daniel wieder fassen konnte.
»Manon, das ist ja…«, brachte er ein wenig mühsam hervor, dann legte er einen Arm um ihre Schultern und drückte sie einen Augenblick lang an sich. »Ich wünsche dir auch von Herzen frohe Weihnachten.«
Für einen Moment kam ihm der Gedanke, daß er sich diesen Abend eigentlich ganz genauso vorgestellt hatte, wie er jetzt begann – allerdings mit Linda anstelle von Manon. Doch wenn er ehrlich zu sich selbst war, mußte er sich eingestehen, daß er nun beinahe schon froh war, nicht sie, sondern Manon bei sich zu haben. Mittlerweile wußte er nämlich, daß Lindas Begeisterung für diese einsam gelegene Hütte nur geheuchelt gewesen war. Bei Manon dagegen war alles echt. Lüge und Betrug waren für sie Fremdwörter, und Dr. Daniel drängte sich unwillkürlich der Gedanke auf, daß die warmherzige Manon im Grunde viel besser zu ihm passen würde als Linda.
»Ich weiß, was du jetzt denkst, Robert«, erklärte sie leise und riß ihn damit in die Wirklichkeit zurück. »Doch es wäre zu früh – für dich, weil du nicht nur gerade eine bittere Enttäuschung erlebt hast, sondern auch, weil du immer noch an Christine denkst. Und für mich, weil die Sehnsucht nach Angelo mich ebenfalls noch zu sehr beherrscht.«
»Es war auch nur so eine Idee«, meinte Dr. Daniel und wurde tat-sächlich ein bißchen verlegen, weil Manon seine Gedanken so genau erraten hatte. »Eigentlich könnte ich jetzt gar keine Beziehung eingehen. Dazu tut der Verrat, den Linda an mir begangen hat, wirklich noch zu weh.« Dann lächelte er Manon an. »Trotzdem… oder vielleicht auch gerade deswegen bin ich froh, daß du jetzt bei mir bist. Mit dir zusammen ist alles ein bißchen leichter.«
»Für mich auch«, gestand Manon, und Dr. Daniel wußte, daß sie dabei an ihren verstorbenen Mann dachte.
»Aber nun sollten wir essen, bevor wir vollends trübsinnig werden«, fügte Manon dann mit betonter Munterkeit hinzu.
»Meine Güte, wie hast du das nur alles geschafft?« wunderte sie Dr. Daniel, als Manon ein schmackhaftes Menü auftrug.
»Ach, das war ja nun wirklich nicht viel Arbeit«, wehrte sie bescheiden ab. »Außerdem macht es mir Spaß, dich etwas zu verwöhnen. Weihnachten…« Ihr Blick wanderte zu der geschmückten Tanne. »Das war für mich schon immer ein ganz besonderes Fest. Und das sollte es dieses Jahr auch wieder werden.«
»Es ist dir absolut gelungen«, meinte Dr. Daniel, dann lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und blickte in das flackernde Kerzenlicht. Zu seiner eigenen Verwunderung stellte er dabei fest, daß er das Weihnachtsfest seit Christines Tod nicht mehr mit dieser tiefen inneren Zufriedenheit hatte feiern können wie heute. Jedes Jahr war der Schatten seiner Sehnsucht auf diese stillen Tage gefallen, doch jetzt spürte er, wie diese Last allmählich von ihm abfiel. Er würde seiner Frau immer ein liebendes Andenken bewahren, aber irgendwann würde er auch für eine neue wahre Liebe wieder offen sein.
»Ich habe ein kleines Geschenk für dich«, erklärte Manon und legte ein doch recht umfangreiches Päckchen vor ihn hin.
»Klein? Na, ich weiß nicht recht«, entgegnete Dr. Daniel, dann begann er vorsichtig die Schleife zu lösen und das Papier aufzuwickeln. Eine wunderschöne Strickjacke mit Norwegermuster kam zum Vorschein.
»Du bist ja verrückt, Manon!« entfuhr es Dr. Daniel.
»Gefällt sie dir nicht?«
»Natürlich gefällt sie mir, aber…«
Manon ließ ihn nicht aussprechen. »Siehst du, und mir hat es Spaß gemacht, sie zu stricken.«
Dr. Daniel mußte lächeln. »Was soll ich darauf noch sagen?« Er gab ihr einen