»Achim ist ein Mann, der auf Frauen Eindruck macht«, räumte Isolde ein. »Aber er spielt eigentlich nicht mit den Mädchen.«
Denise lächelte nun ganz deutlich. »Wissen Sie das so genau, Isolde? Die Männer können es manchmal nicht lassen. Ihr Mann war allein. Wenn ihm nun noch eine günstige Gelegenheit geboten wurde … Ich will das alles nicht felsenfest behaupten. Es sind nur Vermutungen. Sie sollten ihn bitten, Sie zu besuchen, damit Sie sich in Ruhe aussprechen können. Das ist der einzige Rat, den ich Ihnen geben kann.«
Isolde seufzte tief auf. »Die Vorstellung, in unser Haus zurückzukehren, erschreckte mich anfangs. Dort würde alles wieder so schrecklich sein wie unmittelbar nach Renatas Tod. Dem wollte ich so gern für immer entfliehen.«
»Heute denken Sie anders darüber?« Aufmerksam sah Denise die jüngere Frau an, die fast wie ihre eigene Schwester wirkte.
»Mich beschäftigt etwas, wozu ich erst einmal Ihre Einwilligung brauche, Denise. Bis in jede Einzelheit habe ich es mir noch nicht überlegt.« Isolde zögerte.
Denise nahm ihre Hand. »Micki? Möchten Sie sie mit heimnehmen?«, fragte sie ahnungsvoll.
Isoldes Wangen färbten sich dunkler. »Ja, Denise. Ist es nicht wie ein Fingerzeig des Schicksals, dass sich gerade dieses verlassene Kind an mich angeschlossen hat? Bei uns daheim steht ein Gitterbett leer, wartet Spielzeug. Ja, ich möchte Micki mitnehmen, wenn das möglich ist.« Sie hob hilflos die Hand. »Aber ich habe Angst, dass es viel zu spät ist. Achim hat sich von mir bereits abgewandt und ist sich mit Lieselott wirklich längst einig. Ich habe sogar ganz ausdrücklich erklärt, dass ich mit der Scheidung einverstanden sei.«
»Nun, ein solches Gespräch ist sicherlich nicht bindend, Isolde. So rasch ist auch nach unserem modernen Recht eine Ehe nicht getrennt. Erst heute sind Sie wohl ganz in der Lage, Ihre eigenen Gefühle richtig zu beurteilen. Was hindert Sie eigentlich, Ihren Mann anzurufen und ihn um seinen Besuch zu bitten?«
Isolde nickte mehrmals. »Ich werde heute abend anrufen. Vielleicht kann er es zum Wochenende einrichten. Natürlich wird es nicht leicht sein, darüber zu reden.«
»Lassen Sie ihn den Anfang machen. Das ist immer das Klügste.«
»Ich fürchte, ich bin keine Diplomatin, Denise.«
»Das wird sich herausstellen, Isolde. Wesentlich scheint mir, dass Sie Ihren Mann noch lieben und zu ihm zurückkehren möchten.«
Isolde neigte den Kopf. »Ja, es ist seltsam genug. Oft ertappe ich mich bei dem Wunsch, dass mein Mann die kleine Micki sehen möge. Manchmal stelle ich mir auch vor, wie sie mit uns am Tisch sitzen würde. In Gedanken habe ich mir unsere neue Familiengemeinschaft schon in allen Einzelheiten ausgemalt. Achim ist sehr kinderlieb. Micki würde sein Herz bestimmt gleich erobern.«
Isolde redete sich in Eifer, ohne es zu merken. Denise hörte zu und war innerlich erleichtert. Denn es war sicherlich besser, wenn Isolde in ihr Haus und zu ihrem Mann zurückkehrte. Für Micki würde sich auf diese Weise ein neues Zuhause ergeben. Auch das war in Denises Sinn.
»Es kommt auf die Probe an, Isolde«, rief sie und sprang von ihrem Sitz auf. »Doch jetzt müssen wir zurück, denn ich habe heute allerlei an Arbeit auf meinem Programm stehen. Laden Sie Ihren Mann ein, Isolde. Ein zweites Bett ist rasch in Ihrem Zimmer aufgestellt, wie Sie wissen.«
»Danke, Denise. Dieses Gespräch hat mir tatsächlich sehr am Herzen gelegen.«
Isolde wollte Denise beim Aufsitzen behilflich sein, doch die schlanke Herrin von Sophienlust benutzte den flachen Stein, und schwang sich gewandt auf ihr Pferd. Isolde tat es ihr gleich, doch sie fand, dass es ihr nicht so vollendet gelang wie Denise.
In verschiedenen Richtungen ritten die beiden Frauen davon.
*
Lieselott umarmte Achim stürmisch und wollte ihn gar nicht mehr loslassen.
»Ich muss mich beeilen, Lieselott«, drängte er.
»Für mich wird es ein schreckliches Wochenende werden, Achim. Musstest du wirklich schon heute Abend losfahren?«
»Ich möchte genügend Zeit vor mir haben, Lieselott. Isolde hat mich um eine Unterredung gebeten und Frau von Schoenecker hat mich ausdrücklich eingeladen. Da kann ich nicht nur so auf einen Sprung vorbeikommen. Ich weiß ja nicht einmal genau, was Isolde von mir will.«
»Aber du weißt, was du vorhast«, erinnerte Lieselott ihn. »Nicht wahr, du wirst ihr alles, was wir ausgemacht haben, auseinandersetzen?«
Achim strich ihr über das blonde Haar.
»Natürlich, Lieselott«, versicherte er. »Sie wollte es ja selbst.«
»Ja, Achim.« Ein allerletzter zärtlicher Kuss, dann setzte sich Achim in den Wagen und fuhr ab. Lieselott stand neben ihrem roten Mini-Minor vor dem Bungalow an der Straße und winkte, bis das Auto nicht mehr zu sehen war. Dann wandte sie sich um und ging langsam ins Haus. Sie wollte bleiben und warten, bis Achim am Sonntag zurückkam.
Indessen lenkte Achim seinen Wagen auf dem kürzesten Weg zur Autobahn. Lieselott hatte darauf bestanden, ihm erst noch einen Imbiss zu servieren, weil er abgespannt aus dem Gericht nach Hause gekommen war. Nun würde er kaum vor elf Uhr oder sogar noch später in Sophienlust eintreffen.
Lieselott! Ja, das war gekommen wie ein Wirbelsturm. Zuerst hatte er nur ihre aufmerksame Fürsorge hingenommen und sich bei ihren Zärtlichkeiten nicht allzu viel gedacht – nur hin und wieder ein schlechtes Gewissen gehabt. Doch seit Lieselott ihm mitgeteilt hatte, dass Isolde einverstanden sei, fühlte er sich im Recht.
Trotzdem wurde ihm die Kehle etwas trocken bei der Vorstellung, dass sein Leben mit Isolde nun endgültig beendet sein sollte.
Wie sollte er es Isolde genau erklären – das mit Lieselott? Es würde bestimmt nicht leicht sein, die richtigen Worte zu finden. Dabei war es doch als Staatsanwalt sein Beruf, für jedes Problem die passenden Worte bereit zu haben.
Achim von Rettwitz, der ursprünglich so schnell wie möglich nach Sophienlust hatte fahren wollen, verlangsamte unwillkürlich sein Tempo. Er achtete nicht darauf, dass es spät und später wurde. Erst als er sich der Autobahnausfahrt näherte, die er nehmen musste, warf er einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass es bereits halb zwölf geworden war.
Entschlossen hielt er an der nächsten Raststätte an und rief in Sophienlust an. Er werde unterwegs übernachten und am anderen Morgen gegen neun Uhr dasein.
Isolde, die am Apparat war, antwortete ihm leise, dass sie am nächsten Tag auf ihn warten werde.
Es ist besser so, dachte er erleichtert. Wir hätten sonst die ganze Nacht lang miteinander reden müssen. Dazu bin ich heute viel zu müde.
Achim fuhr bis Bachenau und fand tatsächlich noch ein Hotelzimmer. Völlig erschöpft ließ er sich ins Bett fallen und schlief sofort ein.
Isolde dagegen lag wach in ihrem Zimmer in Sophienlust. Neben dem ihren stand das zweite Bett, das herrlich nach frischer Wäsche duftete. Aber es war leer geblieben.
Am Sonnabend pünktlich um neun Uhr fuhr Achims Wagen vor. Isolde ging vors Haus, um ihren Mann zu begrüßen. Der Tag war kühl und regnerisch. Sie trug ein hellblaues Wollkleid, das sie besonders jung erscheinen ließ. Auch hatte sie ihr Haar am Vortag gewaschen und besonders kleidsam aufgesteckt. Über dem einen Ohr ringelte sich eine dunkle Locke. Dass ihre braunen Augen erwartungsvoll und erregt glänzten, wusste sie freilich nicht. Sie war eine schöne Frau, die auf den Mann gewartet hatte, den sie liebte. Würde Achim sich dieses Eindrucks ganz erwehren können? Oder bedeutete sie ihm gar nichts mehr?
Achim war vollkommen überrascht. Isolde schien verwandelt. Sie war plötzlich wieder die Frau, die er liebte. Sie trug ein helles Kleid, und ihr Gesicht war nicht mehr starr