»Ich kann Ihnen nicht helfen, so gern ich es auch möchte. Wir haben uns erst heute abend kennengelernt«, gestand sie zaghaft.
Also Liebe auf den ersten Blick. Es rührte ihn. Er streichelte flüchtig ihre Wange.
»Und dann gleich solcher Schrecken. Aber wir werden unser Bestes tun.«
Er sagte diesmal nicht ›unser Möglichstes‹, er sagte, was er empfand. Das Beste wollte er tun, das Allerbeste, damit diese traurigen Augen wieder lächeln konnten.
Als er kurze Zeit später die Röntgenbilder an den Lichtkasten hängte, sagte er: »Es ist die Aorta. Bitte, Mirja, schauen Sie es sich an. Hoffen Sie doch, Mädchen.«
»Es ist nichts, was inoperabel wäre?« fragte sie leise.
»Nein, es ist nicht gerade unkompliziert, aber er ist doch jung und widerstandsfähig, sonst hätte er schon diese Stunde nicht überstanden.«
»Mirja«, stöhnte Benedikt.
Sie beugte sich schon über ihn. »Ich bin da«, sagte sie.
Mühsam hoben sich seine Lider. Er sah seine Umgebung nicht. Er sah nur ihr Gesicht.
»Ich dachte nicht, daß es so schnell zu Ende sein würde«, flüsterte er. »Ich wünschte mir so sehr, daß ich dich…«
Sie legte ihre Lippen auf seinen Mund. Ganz leicht und unendlich innig.
»Es ist nichts zu Ende, Benedikt. Dr. Sternberg wird dich operieren. Du wirst wieder gesund werden«, sagte sie beschwörend.
»Du bist ein Wunder«, murmelte er, »das einzige Wunder, das ich erleben durfte.«
Da ging Dr. Sternberg leise hinaus. Das war nur für sie bestimmt, und ihn bewegte es tief, daß es auch solches noch gab, was man nur Liebe nennen konnte.
»Hast du ein bißchen Kraft?« fragte Mirja indessen. »Wir brauchen Angaben über dich. Wann hattest du den Unfall? Wer hat dich behandelt?«
»Im Auto sind Papiere«, erwiderte er erschöpft. »Nimm alles an dich, auch das Geld, Mirja. Es gehört dir, wenn ich sterbe. Ich kann so wenig für dich tun, und ich liebte dich doch gleich so sehr.«
Seine Kraft war verbraucht, seine Sinne schwanden wieder. Dr. Sternberg trat wieder ein. Mirja bemerkte erst jetzt, daß er hinausgegangen war.
»Er sagte, daß Papiere in seinem Wagen sind«, sagte sie. »Ich soll sie an mich nehmen. Vielleicht können sie uns nützlich sein. Bitte, belügen Sie mich nicht, Herr Doktor. Benedikt weiß, wie schlecht es um ihn steht.«
»Nicht so schlecht, daß ich lügen müßte«, sagte Dr. Sternberg aufmunternd. »Jetzt heißt es tapfer sein.«
Sie war tapfer und betete schon.
»Ich möchte bei ihm bleiben, bitte, gestatten Sie es mir.«
»Und morgen wartet ein Arbeitstag auf Sie, Mirja.«
»Ich werde schon durchhalten. Ich könnte jetzt doch nicht schlafen.«
Sie wußte, daß er den Wagen nicht abgeschlossen hatte, und sie fand den Zündschlüssel noch im Schloß. Die anderen Schlüssel hingen auch an dem Lederbund, das seine Initialen trug
Im Handschuhfach fand sie eine Brieftasche, auf dem Rücksitz einen Aktenkoffer. Es war ein beklemmendes Gefühl für sie, seine Sachen an sich zu nehmen, und nun erst wurde es ihr auch richtig bewußt, daß er ihr völlig vertraute.
*
Dr. Thiele saß neben Frau Hankes Bett. Er klopfte ihr immer wieder leicht die Wangen. Es war so wichtig, daß sie bald zu sich kam. Wichtig für sie und auch für das Kind.
Ein Ächzen kam über die blutleeren Lippen. Sie bäumte sich auf. Sanft drückte er sie zurück.
»Ruhig, ganz ruhig«, sagte er beschwörend, »denken Sie jetzt an Ihr Kind, Frau Hanke.«
Sie riß die Augen weit auf und sah ihn starr an. »Ich will es nicht haben, ich will es nicht haben!« schrie sie gellend. »Warum laßt ihr mich nicht sterben?«
Dr. Thiele wußte ganz gut, wie man mit solchen Frauen umzugehen hatte.
Er wartete geduldig, bis sie sich langsam beruhigte.
*
»Sie sollten sich jetzt ein paar Stunden aufs Ohr legen, Mirja«, mahnte Dr. Sternberg. »Die akute Gefahr ist gebannt. Herr Arnold wird jetzt schlafen.«
Eine volle Stunde war er mit ihr im Krankenzimmer gewesen. Gemeinsam hatten sie Benedikts Papiere studiert. Es war eine merkwürdige Situation, gemeinsam mit dem Arzt die wichtigsten Daten seines Lebens kennenzulernen.
Sein Paß, sein Führerschein, eine Anzahl Visitenkarten und
fünfzehn Hunderteuroscheine hatten sich in der Brieftasche befunden. Dr. jur. Benedikt Arnold, einunddreißig Jahre, 1,84 m groß, Haarfarbe dunkelblond, Augenfarbe braun, besondere Kennzeichen keine.
Das war vor seinem Unfall gewesen, der sich, wie aus einer Krankenhausrechnung, ausgestellt in Canberra, Australien, hervorging, vor neun Monaten ereignet hatte.
Mirja hatte erfahren, daß Benedikt Inhaber der Stahlwerke Arnold und Sohn war. Dr. Sternberg hatte dabei leise durch die Zähne gepfiffen.
Auf seiner Visitenkarte standen zwei Adressen, eine in Geiselgasteig, und eine in Lugano.
Aufschluß über Angehörige fand sie nicht, aber plötzlich erinnerte sie sich einer Adresse auf einer der Visitenkarten, die die gleiche Straße und Hausnummer aufwies wie jene von Benedikt in Geiselgasteig.
Sie sah die Karten noch einmal durch, und da hatte sie jene auch schon gefunden.
»Irene Arnold-Mattis.« Ihr Herz schlug dumpf. Das Arnold war ihr vorhin entgangen, und auch Dr. Sternberg hatte es wohl nicht beachtet. Oder hatte er es übersehen wollen, weil sie, Mirja, neben ihm saß?
»Ich bin nicht verheiratet, es ist viel schlimmer«, hatte er gesagt. Worauf bezog sich das? War er geschieden, oder hatte er nur seine Krankheit gemeint?
Aber was änderte das schon an ihren Gefühlen für ihn? Was änderte es daran, daß er krank hier lag und nur eine gewagte Operation Rettung für ihn bringen konnte?
Für den Rest dieser Nacht gehörte er ihr noch allein. Unverwandt betrachtete sie ihn. Sie dachte an seinen Kuß, diesen drängenden, leidenschaftlichen, heißen Kuß.
Zärtlich strich sie mit dem Zeigefinger die Linie seines Mundes entlang, dessen Lächeln sie so glücklich gemacht hatte. Er hatte lächeln können, er konnte plaudern, als würde nichts ihn beschweren. In ihr begehrte es auf dagegen, daß diese paar Stunden alles gewesen sein könnten, was ihr blieb.
*
Sie war dann doch in ihrem Stuhl eingeschlafen. Dr. Uhl kam gegen halb fünf Uhr und beförderte sie mit sanfter Gewalt in das Ärztezimmer, wo sie dann noch zwei Stunden schlief.
Um sieben Uhr kam Dr. Sternberg.
»Wir bereiten jetzt alles für die Operation vor«, sagte er.
Sie nickte geistesabwesend.
Noch einmal ging sie zu ihm, streichelte sein Gesicht und seine Hände. Dann ging sie nach Hause, duschte sich und kleidete sich um. Für sie begann ein neuer Arbeitstag.
Als sie die Treppe hinunterging, betrat Kurt Hanke das Haus. Er sah aus, als hätte er die Nacht durchzecht. Vielleicht war er auch bei einer anderen Frau gewesen. Bisher war Mirja solch ein Gedanken noch nie gekommen.
Ihm war diese Begegnung sichtlich peinlich. Er neigte nur kurz den Kopf und war schon vor der Wohnungstür.
»Wir haben Ihre Frau heute nacht