Rick aber verschwand mit dem vorläufig noch sehr vergnügten Hund in dem dunklen Park, ausgerüstet mit einer Taschenlampe, einer Pistole und seiner weißmagischen Silberkugel.
Der Geisterdetektiv hatte sich seiner Freundin und seinem Auftraggeber gegenüber sehr zuversichtlich gegeben. In Wirklichkeit fühlte er sich gar nicht wohl in seiner Haut. Er ahnte, daß er es diesmal mit einer besonders gefährlichen Gegnerin zu tun hatte, mit einem Wesen aus einer anderen Dimension. Außerdem gab es noch einen Unbekannten, der die Fäden in der Hand hielt und vermutlich über alles genau Bescheid wußte.
Ein bekannter Gegner war nicht mehr so gefährlich. Gleich zwei unbekannte Feinde konnten tödlich sein, auch für einen so erfahrenen Geisterdetektiv wie Rick Masters.
*
Der Mann saß entspannt hinter dem Steuer des schwarzen Lieferwagens. Sein Blick glitt für einen Moment zu dem Rückspiegel, über den er den Laderaum beobachten konnte. Er grinste flüchtig, als er das Gemälde sah, auf dem ein weißer Fleck anstelle der Frauengestalt schimmerte.
Sie war unterwegs, von seinem Willen gesteuert. Und dieser Wille war auf Tod und Vernichtung eingestellt. Er haßte die Familie Lauderdale so sehr, daß er tatsächlich einen nach dem anderen töten wollte.
Der Mann war enttäuscht worden. Er hatte sich alles einfacher vorgestellt, hatte gedacht, er müßte die Frau aus dem Bild nur losschicken, dann würde sie die gestellten Aufgaben erledigen.
Es hatte nicht sofort so geklappt, wie er sich das vorstellte. Den Kunsthändler George Kennloch hatte sie getötet, doch danach war es nicht mehr so gegangen, wie der unheimliche Mörder das wollte.
Inzwischen hatte er dazugelernt. Er verfügte über magische Kräfte und Kenntnisse und war gefährlicher als so mancher Mörder, der mit einer der üblichen Waffen tötete.
Er war jedoch im Gebrauch seiner Fähigkeiten noch nicht geübt. Das hatte er in den letzten zwei Wochen aufgeholt. Jetzt war er davon überzeugt, daß er alles machen konnte, was er wollte. Darum hatte er seine Kreatur wieder ausgeschickt. Sie sollte in dieser Nacht endlich die ersten Familienmitglieder beseitigen.
Der Mann in dem Lieferwagen beobachtete ständig seine Umgebung. Er vergaß nicht, daß eine neue Gefahr aufgetaucht war, die er nicht einkalkuliert hatte, nämlich Rick Masters, der Geisterdetektiv, der Spezialist zur Bekämpfung der Schwarzen Magie.
Vorläufig kannte der Mann nur ein Mittel, um den unbequemen Detektiv auszuschalten, nämlich ihm zuvorzukommen. Erst mit der Zeit würde er herausfinden, wie er die Mörderin aus dem Bild auch gegen den Geisterdetektiv einsetzen konnte. Sobald er das schaffte, war Ricks Schicksal besiegelt.
Plötzlich straffte sich der Mann. Er stand in geistiger Verbindung mit seinem Geschöpf. Auf diese Weise erfuhr er, daß genau jene Gefahr auftrat, die er fürchtete, nämlich Rick Masters. Er hatte sich auf die Suche nach der Mörderin aus dem Bild gemacht.
Der Geisterdetektiv nahm ihm die Entscheidung aus der Hand. Es würde schon jetzt zur ersten direkten Konfrontation zwischen Rick Masters und der Mörderin kommen.
Der Mann im Lieferwagen raffte seine ganzen Kräfte zusammen, um diese Auseinandersetzung zu gewinnen. Erst mußte er den Detektiv beseitigen. Dann konnte er zum großen Schlag gegen die Familie Lauderdale ausholen.
Sie war vollzählig im Herrenhaus versammelt, eine einmalige Gelegenheit. Der Mörder wußte auch schon, wie er sie alle vernichten konnte, ohne daß sie auch nur die geringste Chance hatten.
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Noch schaltete Rick Masters die Taschenlampe nicht ein. Er wollte die Batterien schonen. Der Widerschein der Lichter über London und die hell erleuchteten Fenster des Herrenhauses genügten. Er sah, was sich in seiner nächsten Umgebung tat.
Solange Dracula unbekümmert neben ihm herlief, brauchte er sich keine großen Sorgen zu machen. Doch im nächsten Moment stieß der Hund ein leises Winseln aus.
Sofort blieb der Geisterdetektiv stehen und sah sich angestrengt um. Zwischen den Büschen und Bäumen des weitläufigen Parkgrundstücks blieb alles ruhig.
Schon glaubte Rick, daß sich Dracula über etwas anderes erschrocken hatte, als sie ihn ansprang.
Die Frau aus dem Gemälde tauchte wie ein Schemen auf. Sie glitt hinter einem Baumstamm hervor und näherte sich Rick Masters so schnell, daß der Geisterdetektiv keine Zeit zur Gegenwehr hatte. Ihre Hände legten sich wie Stahlklammern um seinen Hals.
Rick blieb die Luft weg. Erschrocken erkannte er, daß er die Gefährlichkeit dieses Wesens unterschätzt hatte. So ähnlich mußte es dem Kunsthändler Kennloch ergangen sein.
Rick ballte die Hände. Hier brauchte er keine Rücksicht zu nehmen. Er hatte es mit keinem Menschen, sondern mit einem Geist zu tun.
Er schlug mit ganzer Kraft zu, doch seine Hände trafen auf keinen Widerstand. Sie durchdrangen den Körper der bleichen Frau, als wäre er gar nicht vorhanden, während ihre Hände gnadenlos zudrückten.
Rick Masters befand sich nicht zum erstenmal in einer so verzweifelten Situation. Er kannte auch das Phänomen der scheinbar nicht existierenden Wesen, die jedoch sehr handgreiflich werden konnten.
Er verzichtete darauf, die Finger von seinem Hals zu lösen. Er hätte es nicht geschafft und wäre jämmerlich erstickt. Statt dessen griff er mit fahrigen Bewegungen unter seine Jacke und tastete nach seiner Silberkugel. Er hatte sie eines Tages durch einen reinen Zufall bei einem Trödler entdeckt und erst später herausgefunden, über welche Kräfte sie verfügte.
Endlich erfühlte er die magische Kugel. Zu diesem Zeitpunkt konnte er bereits nichts mehr sehen, weil vor seinen Augen rote Sterne tanzten und gelbe Sonnen explodierten. Es wurde höchste Zeit, daß er sich von der Mörderin befreite, sonst war er verloren. Das Blut rauschte in seinen Ohren, und seine Beine gaben nach. Er konnte sich nicht mehr aufrecht halten.
Mit letzter Kraft holte er die Silberkugel aus der Tasche. Blindlings stieß er zu.
Für die Silberkugel war der Körper der Mörderin vorhanden. Sie drang nicht durch die Geistererscheinung hindurch.
Kaum berührte die Kugel die Lady aus dem Gemälde, als der Boden erbebte. Von allen Seiten ertönte ein dumpfes Stöhnen, das sich anhörte, als dringe es aus der Erde hervor.
Grelle Lichtblitze zuckten durch die Nacht. Rauch von verbrannten Kleidern stieg auf und reizte Rick Masters zum Husten.
Er taumelte zurück und riß die Augen auf. Die roten Schleier vor seinem Gesicht verschwanden.
Gierig sog er die kühle Nachtluft in seine Lungen, atmete ein paarmal durch und konnte sich wieder auf seine Gegnerin konzentrieren.
Die Geisterlady stand stocksteif vor ihm. In ihren Kleidern klaffte an der Hüfte ein großes Brandloch. Die Ränder glimmten nach. Dort hatte die Silberkugel den Geisterkörper berührt.
Obwohl Rick Masters sich noch lange nicht erholt hatte, wollte er die Chance nutzen. Er torkelte auf die Geisterlady zu und hob die Silberkugel, um ihr den vernichtenden Schlag zu versetzen, doch sie wich aus.
Mit der gleichen Schnelligkeit, mit der sie vor seinem Morgan geflohen war und mit der sie ihn vorhin angegriffen hatte, verschwand sie zwischen den Büschen – in Richtung Manor.
»Los, Dracula!« schrie Rick Masters seinem Hund zu.
Er ahnte bereits das Schlimmste. Bei ihm hatte die Lady aus dem Gemälde versagt. Wahrscheinlich wollte sie jetzt das Herrenhaus angreifen.
Rick mußte das unbedingt verhindern. Er hatte selbst mit Hazel Kent darüber gesprochen, wie die gesamte Familie Lauderdale auf einen Schlag vernichtet werden könnte.
So weit durfte es nicht kommen!
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Hazel bemühte sich, ihre Sorge um Rick zu verbergen. Die Leute im Herrenhaus hatten genügend eigene Sorgen. Außerdem