Sie löste mit flinken Fingern vom Handgelenk einen Reif, auf dessen elastisches Band steinbesetzte, goldene Schilder gereiht waren, und legte ihn Minka um den dünnen Hals, und auf den kleinen haarigen Schultern drapierte sie ihr Batisttaschentuch, das sie mit einer Brosche auf der Brust zusammensteckte. Sie lachte wie toll, als der Affe auf den Boden zurücksprang und mit fletschenden Zähnen an dem Taschentuche zerrte; die Spitzenkante zerriß, und man hörte, wie das Tier mit seinen Nägeln das unwillkommene Halsband bearbeitete. Mit sichtlichem Verdruß in Zügen und Gebärden befreite die Baronin das Tierchen, das sich schließlich zu ihr flüchtete. »Ich fürchte, das Armband ist verdorben,« sagte sie eiskalt, indem sie die Sachen neben den Hut legte.
»Bah, was schadet das? ... Es ist vom Fürsten Konsky, den ich absolut nicht leiden kann,« entgegnete Lucile verächtlich und steckte Tuch und Armband nachlässig in die Tasche.
Die junge Frau sah überrascht auf. »Den Fürsten Konsky kenne ich,« sagte sie. »Er verkehrt viel im Hause Ihrer Eltern?–«
»Im Hause meiner Mama, wollen Sie sagen – der Papa lebt in Petersburg ... O ja, den Fürsten sehen wir tagtäglich bei uns. La grand mére hält große Stücke auf ihn, weil er so vornehm ist und unseren Empfangsabenden Glanz gibt. Aber der Mama geht es wie mir, sie macht sich nicht viel aus ihm – er ist so alt und so geckenhaft, wissen Sie. Mich füttert er wie ein Baby mit Konfitüren, und die Mama erstickt er stets am Morgen nach der Vorstellung förmlich mit Blumen –«
»Wann?!« fragte die Baronin, als höre sie nicht recht.
»Mein Gott–nach der Vorstellung! Ach so – Sie wissen nicht? – Ist Ihnen denn mein Name nicht aufgefallen?« rief Lucile naiv belustigt. »Oder waren Sie nie in Berlin?«
»Da bin ich gewesen.«
»Nun, dann ist es undenkbar, daß Sie Mama nicht kennen sollten! Die berühmte erste Tänzerin, Manon Fournier –«
»So?!« schnitt die junge Frau lakonisch die lebhafte Rede ab und rollte ihre Arbeit zusammen. »Ich besuche sehr selten das Theater,« fügte sie gedehnt und trocken hinzu – eine leichte Röte war in ihre Wangen getreten, und ihre Augen vermieden es, die Sprechende anzusehen. Sie stand auf und ging nach dem bereits hergerichteten Teetisch, der inmitten des Zimmers unter der Ampel stand und mit seinem eleganten Geschirr in dem niederfließenden Licht blitzte und flimmerte.
»Himmel, wie lang!« sagte Luciles weitgeöffneter erstaunter Blick, mit welchem sie die lautlos dahingleitende, schmale Gestalt verfolgte. Das bequeme, staubfarbene Hauskleid schlotterte über der flachen Büste und dem stark vorgeneigten Rücken und fiel als lange Schleppe weich auf den Teppich ... Aber trotz ihrer häßlich langen Arme, ihrer nachlässig müden Haltung, waltete die junge Frau doch mit vornehmer Grazie am Teetisch. Sie entzündete den Spiritus unter der silbernen Maschine, musterte mit kritischem Blick die drei Tassen, die aufgestellt waren, und maß voll peinlicher Sorgfalt die Teeportionen ab ... Kein Blick fiel mehr auf das junge Mädchen, das, mit der versöhnten Minka spielend, dennoch aufmerksam das Tun und Walten der jungen Frau beobachtete.
»Zu Hause ist das mein Amt,« plauderte sie. »Alle Welt lobt meinen Tee; nur Baron Schilling hat mir immer das Leben schwer gemacht – er ist der verwöhnteste Teetrinker, den ich kenne.«
Jetzt fuhr der gesenkte blonde Kopf wie mit einem Ruck empor – es war, als spanne sich jeder Muskel dieser scheinbar gleichgültigen Frau in atemlosem Aufhorchen. »Mein Mann ist im Hause Ihrer Mutter aus und ein gegangen?«
»Oh, sehr viel! – Wissen Sie das nicht? – Felix sagte immer, er mache als Maler seine Studien in Mamas Salon. Wir sehen sehr häufig hübsche interessante Frauen bei uns ... Er hat ja auch die Mama gemalt –«
»Er hat die Tänzerin Fournier gemalt, sagen Sie? –«
Dem jungen Mädchen ging plötzlich ein Licht auf. Die Frau dort sprach mit einer Stimme, als koche es in ihrer eingesunkenen Brust – und mit welcher schneidenden Mißachtung sie die »Tänzerin Fournier« betonte!... Dabei klirrte das Geschirr unter ihren lebendig gewordenen, überschlanken Händen, als solle es samt und sonders im nächsten Augenblicke auf den Boden rollen ... Wie, diese lange, häßliche Person unterstand sich auch noch, eifersüchtig zu sein? – Wie die meisten gefeierten, schönen jungen Mädchen, war Lucile erbittert gegen die Unschönen, die sich anmaßten, gleichberechtigt zu sein. Ihre großen Augen schillerten plötzlich im entschiedensten Grün – das Sprühteufelchen der Bosheit glühte drin auf. Sie erhob sich, strich lächelnd ihr Kleid glatt und trat dem Teetisch um einige Schritt näher, eine Bewegung, die die Baronin sofort in ihre krankhaft gebeugte, und dabei doch so unnahbare Haltung zurücksinken machte.
»Ist es denn gar so verwunderlich, daß Baron Schilling eine schöne Frau gemalt hat?« fragte Lucile zurück, und hinter den grausam lächelnden Lippen blinkten die kleinen, spitzen Perlzähnchen. »Man sagt, es sei Rasse in Mamas Erscheinung – sie ist weder verschwommen blond, noch lang und dürr in ihren Formen. Sie hat das reichste schwarze Haar, das sich denken läßt, und die Linien ihrer Schultern und Arme sind berühmt unter den Künstlern ... Baron von Schilling hat sie nicht in einer ihrer Rollen, sondern als Desdemona gemalt – es ist geradezu sinnberückend, wie der weiße Atlas von der einen Schulter gleitet, wie der Arm sich von der Harfe hebt.«
Sie hielt einen Moment inne – ihr fiel gerade ein, wie verächtlich hingeworfen die Skizzenmappe zu den Füßen der »gnädigen Frau« gelegen hatte. – »Baron Schilling malt sehr schön,« fügte sie hinzu, und ihre Augen strahlten triumphierend auf; denn über die graubleichen Wangen dort jagte fortwährend die Röte inneren Aufruhrs hin. – »Professor W. sagt von ihm, er habe den Dilettanten längst hinter sich – er sei ein bedeutendes Talent und werde sich einen großen Namen machen.«
Die Baronin hatte sich währenddessen auf einen hinter ihr stehenden Stuhl gleiten lassen. Die Rechte über die Augen gelegt, und mit der Linken den Ellbogen stützend, lehnte sie sich schweigend zurück ... Sie war ohne Zweifel eine eigensinnige, nervöse Natur; vielleicht als einziges Kind vom Vater, und im Hinblick auf ihren dereinstigen Reichtum auch von den Klosterschwestern verwöhnt und verhätschelt... Lucile, im Vollgefühl ihrer Schönheit und Jugendkraft, musterte feindselig den schmallippigen Mund, der nicht zu lächeln verstand, diese zusammengeschmiegte, grämliches Nachsinnen und Grübeln verratende Stellung, das fleischentblößte Gelenk des langen Armes, das so spitz und wachsbleich aus dem unaufhörlich zitternden Spitzenvolant des Ärmels ragte ... Was hatte diese völlig Reizlose in der Welt zu suchen? Sie hätte getrost im Kloster bleiben und Nonne werden sollen ...
Das eingetretene Schweigen war ein erdrückendes. Man hörte das Summen und Singen der Teemaschine und gedämpft den jetzt draußen niederrauschenden Gewitterregen ... Lucile nahm ihren Platz nicht wieder ein; sie schob die Vorhänge des ihr zunächst liegenden Fensters auseinander, um in die Mauernische zu treten; sie sah nicht, wie ihr die grauen Augen durch die vorgehaltenen Finger in kaum zu bemeisternder Erbitterung nachstarrten, wie der Fuß der schweigenden Frau ungeduldig den Teppich trat, – ein Gefühl von Groll und Arger gegen Felix quoll in ihr auf, weil er sie mit dieser Fremden, dieser bis an den Hals zugeknöpften, unausstehlichen Herrin vom Schillingshof so lange allein ließ.
In dem Augenblick, als sie die Vorhänge auseinanderschug, fuhr ein blendender Blitz nieder. Sein rosenfarbenes Licht irrte sekundenlang über das Parterre draußen, es erfüllte in zitternder Bewegung auch das Zimmer und verschlang den weißen Schein der Lampen, dann folgte ein krachender Donnerschlag, und nun stürzten die Wassermassen nach, als wollten sie die mächtigen Spiegelscheiben des Hauses eindrücken und die Säulenhalle draußen wegschwemmen.
Die Baronin war entsetzt emporgefahren – sie bebte sichtbar und griff, förmlich Sturm läutend, nach der Tischglocke.
Ein Bedienter trat ein.
»Ich lasse die Herren dringend bitten, sofort herüberzukommen – der Tee ist fertig,« sagte sie, trotz ihres Schreckens, doch im ruhigen Ton des Befehles.