Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eugenie Marlitt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788026841036
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man erst persönlich beleidigt werden, um zu wissen, was man von dem Charakter eines andern halten soll?« frug er zürnend zurück, »Kind, du bist die Schwerbeleidigte, aber du bist verblendet … Es wird eine Zeit kommen, wo du das, tief gedemütigt, erkennst. Wenn ich dir auch diesen Schmerzenskelch von den Lippen nehmen wollte, es würde zu nichts führen; du wehrst dich verzweifelt und siehst in mir einen Barbaren, der dich in deinen heiligsten Gefühlen kränkt … Du zwingst mich selbst, dich deinen Weg allein gehen zu lassen bis zu dem Augenblicke, wo du trostbedürftig an mein Herz zurückflüchten wirst … Dir ist dann die Umkehr möglich; was aber bleibt jener anderen übrig, die unauflöslich gebunden ist?«

      Er ging in das Nebenzimmer und ließ die Thür hinter sich ins Schloß fallen. Helene saß eine Zeitlang wie betäubt; dann erhob sie sich mühsam und verließ, sich an Wänden und Möbeln festhaltend, so schnell es ihr möglich war, den Salon.

      Eine unsägliche Bitterkeit, ja beinahe ein Gefühl von Haß erfüllte sie gegen den Bruder, der heute zum erstenmal das, was jede Faser ihres Herzens liebend umschloß, so rücksichtslos und rauh antastete. Ihr Herz brach fast vor Leid, indem sie sich alle vermeintliche Aufopferung des Geliebten lebendig zurückrief; ja, es war ihr, als habe sie sich ihm gegenüber schon dadurch der größten Sünde schuldig gemacht, daß jene abscheulichen Schmähungen ihr Ohr berührt hatten. Er sollte nie, niemals erfahren, zu welchen Beschuldigungen ihr Bruder sich hatte hinreißen lassen. Keines, auch nicht das größte Opfer sollte ihr jetzt zu schwer werden, um das Unrecht zu sühnen, das er, wenn auch unbewußt, erdulden mußte. Freilich nun, nachdem ihr Bruder so unumwunden seine schlimme Meinung über Hollfeld ausgesprochen hatte, durfte sie nicht mehr leiden, daß letzterer die Gastfreundschaft in Lindhof genieße. Sie wollte – natürlich ohne Angabe der Gründe – ihn selbst veranlassen, nach Odenberg zurückzukehren; vorher aber sollte er sein Verhältnis zu Elisabeth feststellen.

      Mit diesen Gedanken betrat sie das Eßzimmer, und als Hollfeld sich kurze Zeit darauf auch einfand, empfing sie ihn mit einem ruhig freundlichen Lächeln und verkündete ihm, daß ihr Bruder, ohne den Namen der Erwählten erfahren zu haben, ihren Entschluß bezüglich der Mitgabe für die Braut billige. Sie verlangte nun aber auch, Elisabeth heute bei sich sehen zu dürfen, und Hollfeld, sehr erfreut über die ruhige Art und Weise, mit welcher sie sprach, ging darauf ein. Nachmittags um vier Uhr sollte die Zusammenkunft im Pavillon stattfinden. Hollfeld verließ sofort das Zimmer, um einem Bedienten in Helenes Namen den Auftrag zu geben. Wie würde die junge Dame erstaunt gewesen sein, hätte sie hören können, daß dem Diener ganz ausdrücklich die Weisung gegeben wurde, Fräulein Ferber auf drei Uhr einzuladen, während der Haushofmeister den Befehl erhielt, bis zu der genannten Stunde alles Erforderliche im Pavillon zu arrangieren, ja nicht später.

      19.

       Inhaltsverzeichnis

      Als der Diener aus Lindhof am Mauerpförtchen läutete, saß Elisabeth in der großen Halle. Sie wand aus Immergrün und Epheu eine lange Guirlande, während Miß Mertens, ihr zur Seite sitzend, einen halbfertigen bunten Asternkranz in den Händen hielt. Das Grab auf dem Lindhofer Gottesacker war vollendet. Heute nachmittag, zwischen fünf und sechs Uhr, sollte der Zinnsarg mit den sterblichen Ueberresten der schönen Lila der Erde feierlich übergeben werden. Hätten Josts gefürchtete Augen neben den Kranzwinderinnen auftauchen können, sie würden gewiß mild und versöhnt geruht haben auf seinem lieblichen Urenkelkinde, welches die frisch vom Waldboden abgeschnittenen grünen Ranken als letzten Schmuck auf den Totenschrein legen wollte.

      Nach Rücksprache mit der Mutter nahm Elisabeth die Einladung an, um so mehr, da sie nur »auf ein Plauderstündchen« lautete. Bald nachdem der Diener sich entfernt hatte, kam auch Reinhard. Er sah sehr ernst aus und erzählte auf Miß Mertens’ Befragen, daß sein Herr in einer nicht zu beschreibenden Gemütsstimmung aus Thalleben zurückgekehrt sei.

      »Die Eindrücke im Trauerhause müssen schrecklicher Art gewesen sein,« bemerkte er, »denn ich erkenne Herrn von Walde nicht wieder. Ich hatte ihm notwendig verschiedene Meldungen zu machen, allein im Laufe meines Vortrags merkte ich wohl, daß ich umsonst sprach … Er saß vor mir wie gebrochen, wie völlig verloren in qualvolle Gedanken. Merkwürdigerweise fuhr er heftig auf, als ich ihm zum Schlusse die Entdeckung hier oben in den Ruinen mitteilen wollte; ›ich habe die Sache bereits zur Genüge gehört,‹ unterbrach er mich zornig und ungeduldig, ›bitte, lassen Sie mich allein!‹«

      Es entging Miß Mertens nicht, daß Reinhard sich verletzt fühlte durch die Art und Weise, wie sein Gebieter ihn angelassen hatte.

      »Lieber Freund,« sagte sie beschwichtigend, »in einem Augenblicke, wo ein großer Seelenschmerz uns beherrscht, berührt uns die Außenwelt entweder gar nicht oder sie wird uns peinlich; wir fühlen uns abgestoßen dadurch, daß in ihr sich alles nach wie vor unbeirrt abwickelt, während unsere innere Welt schwankt und aus dem Geleise getrieben ist. Herr von Walde mag den Verunglückten wohl sehr geliebt haben … Aber mein Gott, Elisabeth, was thun Sie denn?« unterbrach sie sich selbst. »Meinen Sie wirklich, daß das hübsch aussieht?«

      Sie deutete auf die Guirlande. Elisabeth hatte nämlich, während Reinhard sprach, mit zitternden Händen einige dickköpfige Dahlien ergriffen und dieselben dem schlanken, bis dahin einförmig grünen Gewinde einverleibt. Es war in der That ein arger Mißgriff, auf den sie selbst mit erstaunten Augen und hochgeröteten Wangen niedersah. Die armen Dinger wurden sofort wieder von dem weichen, grünen Pfühle entfernt, an den sie sich behaglich geschmiegt hatten, und mit einer Strenge behandelt, als hätten sie sich eigenmächtig vorgedrängt.

      Es hatte schon längst aus dem Lindhofer Kirchturme drei geschlagen, als Elisabeth den Berg hinabeilte. Der Onkel hatte sie im Gespräche festgehalten; er war unwirsch darüber daß sie der Einladung folgen wollte. »Denn,« meinte er, und zwar nicht mit Unrecht, »das arme Wesen, welches heute eingesenkt werden soll, verdiene es schon, daß man wenigstens einen Tag seinem Andenken allein weihe.« Er hatte freilich keine Ahnung von dem, was in dem Herzen des jungen Mädchens vorging. Er wußte nicht, daß sein kleiner Liebling in den letzten Tagen sehnsüchtig Stunde auf Stunde gezählt hatte, deren jede den Augenblick ja näher rücken mußte, da es heißen würde. »Er ist wieder da!« und mußte es erleben, daß sein sonst so gehorsames Herzblatt unter seinen Händen wegschlüpfte und wie ein Sturmwind durch das Mauerpförtchen flog.

      Ihre Füße berührten kaum die Erde. Sie hoffte, durch rasches Laufen den Zeitverlust einigermaßen zu ersetzen, aber beinahe hätte sie Thränen der Ungeduld vergossen, als zum Ueberflusse auch noch ihr leichtes Kleid an einer wilden Rosenhecke hängen blieb und mit sehr vorsichtiger Hand und vieler Langmut losgemacht werden mußte. Fast atemlos erreichte sie den Pavillon. Beide Flügel der Thür standen offen, der Salon war noch leer. Auf dem Tische war eine Auswahl von Erfrischungen, und die eine Ecke im Sofa für Helene bequem hergerichtet.

      Mit erleichtertem Herzen trat Elisabeth ein und lehnte sich an eines der hinteren Fenster, vor welchem sich die dichte Buschwand hinzog, als sie ein leises Geräusch hinter sich hörte … Hollfeld hatte hinter einem der vorstehenden Thürflügel gestanden und näherte sich ihr. Sie wollte sofort den Salon wieder verlassen, ohne den Verhaßten eines Blickes zu würdigen; er trat ihr jedoch in den Weg, wenn auch durchaus nicht in unbescheidener Weise, es lag vielmehr etwas Unterwürfiges und Ehrerbietiges in seiner Haltung, und versicherte, die Damen würden gleich erscheinen. Elisabeth sah erstaunt auf, da war auch nicht der leiseste Rest jenes frechen Tons in seiner Stimme zu bemerken, der ihr neulich jeden Blutstropfen empört hatte.

      »Ich gebe Ihnen mein Wort, daß Fräulein von Walde jeden Augenblick kommen muß!« beteuerte er, als sie abermals den Versuch machte, in die Thür zu treten. »Ist Ihnen denn meine Gegenwart hier gar so schrecklich?« fügte er leiser mit einem Anfluge von Trauer hinzu.

      »Allerdings,« entgegnete Elisabeth kalt und rückhaltlos, »wenn Sie sich Ihres neulichen Benehmens gegen mich erinnern, so werden Sie wissen, daß es mir unerträglich sein muß, auch nur einen Augenblick mit Ihnen allein zu sein.«

      »Wie hart und unversöhnlich klingt das! … Soll ich den kleinen,