Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eugenie Marlitt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788026841036
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die ich nicht auf mich nehmen kann, denn meine Eltern erwarten mich.«

      Sie reichte die kleine Rolle der Baronin, die, urplötzlich einen wahren Sonnenschein in ihren Zügen entwickelnd, hastig danach griff.

      »Ich glaube, Sie sind im Irrtume, Fräulein Ferber!« rief plötzlich Herr von Walde mit seiner ruhigen, klangvollen Stimme herüber. »Vor allem haben Sie sich wohl bei dem Herrn zu entschuldigen, dessen Namen das Papier enthält; von ihm hängt es ab, ob er Sie freigeben will oder nicht.« Sein Auge flog während er eigentümlich lächelte, über die Anwesenden, die sich bereits paarweise gruppiert und zum Fortgehen gerüstet hatten; selbst der alte Kavalier schritt eben auf die Oberhofmeisterin zu und reichte ihr galant den gekrümmten Arm. Herr von Walde fuhr fort, indem er langsam näher trat. »Als Hausherr, der keine Beeinträchtigung eines Gastes dulden darf, muß ich Sie bitten, mein Fräulein, das Papier zu öffnen.«

      Elisabeth gehorchte schweigend und reichte ihm tief erglühend den entfalteten Papierstreifen hin. Er warf einen Blick auf den Zettel.

      »Ah!« rief er. »Ich habe, wie ich sehe, meine eigenen Rechte gewahrt! … Sie werden mir zugeben, Fräulein, daß es völlig in meiner Hand liegt, ob ich Ihre Entschuldigung beachten will oder nicht; ich ziehe das letztere vor und bitte Sie, streng der Verpflichtung nachzukommen, die Ihnen dies kleine Stückchen Papier auferlegt.«

      Die Baronin näherte sich ihm und legte die Hand auf seinen Arm. Es sah fast aus, als ob sie mit dem Weinen kämpfe.

      »Verzeihe, lieber Rudolf,« sagte sie, »es ist wirklich nicht meine Schuld!«

      »Ich weiß nicht, welche Schuld du meinst, Amalie,« erwiderte er eiskalt, »aber du hast den richtigen Moment gewählt, wenn du Verzeihung suchst, ich könnte in diesem Augenblicke viel Böses vergessen, was mir widerfahren ist.«

      Er griff nach dem Hute, den ihm ein Bedienter brachte, reichte Elisabeth den Arm und gab das Signal zum Aufbruche.

      »Aber meine Eltern!« stammelte Elisabeth.

      »Sind sie krank, oder wollen sie in diesem Augenblicke verreisen?« fragte er stehen bleibend.

      »Beides nicht.«

      »Nun, dann lassen Sie mich dafür sorgen, daß sie den Grund Ihres Ausbleibens erfahren.«

      Er rief einen Bedienten und schickte ihn sofort hinauf nach Gnadeck.

      Während der Saal sich allmählich leerte, blieb die Gruppe, zu der sich außer dem alten Kavalier auch noch Hollfeld mit einem sehr verdrießlichen Gesicht gesellt hatte, am Fenster stehen.

      »Es geschieht Ihnen ganz recht, Cornelie,« zürnte die Oberhofmeisterin. »Sie haben sich heute blamiert für alle Zeiten … Welch ein hirnloser Gedanke, diese Lotterie! … Wie oft schon habe ich gegen Ihre Farcen geeifert, denen leider unsere gnädigste Fürstin auch manchmal ein williges Ohr leiht! … Nun soll der Hausverwalter schuld sein! Warum haben Sie ihn nicht gehörig instruiert? … Sie halten sich für eine Hofdame par excellence und wissen nicht einmal, daß diese Art Leute nie ihre eigenen Gedanken haben dürfen? … Ihnen gönne ich diese Lehre von Herzen, wenn nur nicht gerade der unglückliche Walde das Opfer Ihres Leichtsinns sein müßte! … Da hat er nun das blonde Gänschen am Arme, er, der sich in seinem stolzen aristokratischen Bewußtsein unzählige Male des Fehlers schuldig gemacht hat, es nicht zu bemerken, wenn sehr hochgestellte Damen von ihm geführt zu sein wünschten … Wie mag ihm zu Mute sein gegenüber dieser kleinen Klavierlehrerin, der Tochter eines – Forstschreibers!«

      »Warum opfert er sich so bereitwillig?« entgegnete Fräulein von Quittelsdorf; »es war ganz unnötig, daß er sich in den Handel mischte. Die Kleine war ja im Begriffe zu gehen; nein, da tritt er vor, wie der Ritter ohne Furcht und Tadel, und nimmt die Last freiwillig auf sich.«

      »Nun, diese Last ist wenigstens blendend schön!« hüstelte der alte Kavalier mit einem frivolen Lächeln.

      »Was fällt Ihnen ein, Graf?« rief die Oberhofmeisterin. »Das ist wieder einmal eine Bemerkung, ganz Ihrer würdig, der Sie sich für jedes runde Bauerngesicht enthusiasmieren … Uebrigens leugne ich nicht, daß die Kleine hübsch ist – aber war nicht die arme Rosa von Bergen ein wahrer Engel an Schönheit? Hunderte haben ihr zu Füßen gelegen; der Walde aber, auf den sie sich kapriziert hatte, ist wie ein Gletscher an ihr vorübergegangen … Nein, für weibliche Schönheit und Liebenswürdigkeit hat er kein Verständnis! … Ich habe ihn auch längst vom Register der Heiratsfähigen für meine jungen Protegés gestrichen … Weshalb er sich heute großmütig opfert, das hat er ja eben deutlich genug ausgesprochen. Er ist innerlich befriedigt und beglückt durch die große Teilnahme und Aufmerksamkeit, die wir alle ihm heute an den Tag gelegt haben, und will alles, selbst das kleine Ding, das übrigens ganz nett gespielt hat, froh und heiter sehen … Ich rate Ihnen, liebste Lessen, künftig bei dergleichen Arrangements dem Takte und Talente unserer Quittelsdorf nicht allzu unbedingt zu vertrauen.«

      Die Hofdame biß sich auf die Lippen und warf heftig ihren Spitzenshawl über die Schultern. Draußen rollte der Wagen vor, der die Hofmeisterin und Helene in Begleitung der Baronin und des Grafen nach dem Festplatze bringen sollte.

      »Die alte Katze!« rief Fräulein von Quittelsdorf, nachdem sie der Oberhofmeisterin in den Wagen geholfen und darin für die Bequemlichkeit der Dame gesorgt hatte. »Sie ist wütend, daß man bei dem Arrangement nicht erst ihren hochweisen Rat eingeholt hat … Haben Sie nicht gesehen, Hollfeld, beinahe wäre Ihrer Exzellenz der falsche Scheitel auf die Nase gefallen, als sie so zornig mit dem Kopfe wackelte? Ich hätte mich vierzehn Tage lang nicht beruhigen können vor Lachen, wenn plötzlich unter dem Blumengarten der Haube der kahle Kopf zum Vorschein gekommen wäre!«

      Sie wollte sich auch jetzt ausschütten vor Lachen bei dem Gedanken. Ihr Begleiter aber schritt wortlos, als habe er von ihrem ganzen, langen Geschwätze nicht eine Silbe gehört, immer rascher vorwärts. In seinem ganzen Wesen lag eine auffallende Hast und Unruhe. Es schien ihm offenbar daran zu liegen, die vorausgegangene Gesellschaft so schnell wie möglich zu erreichen. Sein Blick eilte stets weit voraus und drang nach allen Richtungen hin in das Gebüsch; nur wenn der Schimmer eines weißen Kleides in der Ferne auftauchte, dann blieb er einen Augenblick stehen, als wolle er beobachten.

      »Nein, Sie sind doch zu langweilig, Hollfeld! Langweilig bis zum Sterben!« rief die Hofdame ärgerlich. »Sie haben zwar das Privilegium, stumm zu sein wie ein Fisch, um dabei doch für einen geistreichen Mann zu gelten … wo ich aber in diesem Momente Ihren Geist suchen soll, weiß ich wahrhaftig nicht … Weshalb, um Gotteswillen, rennen Sie denn so? … Und denken Sie, wenn ich bitten darf, doch an mein nagelneues Kreppkleid, das alle Augenblicke an den Büschen hängen bleibt, an denen Sie mich vorbeizerren wie ein armes Schlachtopfer!«

      Der sogenannte Nonnenturm, das einzige standhafte Ueberbleibsel eines ehemaligen Frauenklosters, lag tief versteckt in einem Eichen-und Buchenforste, auf dem Waldgebiet, das zu dem Gute Lindhof gehörig, sich meilenweit nach Osten hin erstreckte.

      Ein Fräulein von Gnadewitz, die Schwester jenes Ahnherrn mit dem Rade, hatte das Kloster erbaut, um mit noch zwölf anderen Jungfrauen für das Seelenheil des schmählich Dahingegangenen zu beten. Viele Jahre lang hatten die mächtigen Aeste der Eichen an die Zellenfenster geklopft und sich über die Mauer in den engen Garten geneigt. Sie hatten gesehen, wie manches junge, frische Menschenkind hastig den schmalen, stillen Waldweg dahergeschritten kam, in fieberhafter Ungeduld an dem schrillen Pfortenglöcklein reißend, als dürfe der verheißene Frieden da drinnen nicht um eine Minute verzögert werden … Sie hatten gesehen, wie dann hinter den nie wieder zu lösenden Riegeln der schweigende Mund der Nonne erblaßte, wie ihre wachsbleichen Hände krampfhaft das Kruzifix umschlossen, wie ihre wundgeriebenen Kniee immer wieder auf das Steinpflaster sanken, während der Blick angstvoll am Boden irrte – denn der heitere, blaue Himmel da droben, der sich auch draußen über den genießenden Weltkindern wölbte, rief glückliche Erinnerungen wach und hauchte Lebenslust und fröhliche Sehnsucht in die Brust, die unwiderruflich eingesargt war in das härene Ordensgewand.

      Die Reformation, welche die Klöster umstieß wie Kartenhäuser, war auch durch den stillen Wald geschritten und hatte mit gewaltigem Finger über die Mauern des dunkeln Hauses