Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eugenie Marlitt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788026841036
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und angstvoll auf den Stühlen hin und her rückte oder verlegen den Blick auf den Boden richtete. Auch eines der so lange einstudierten vierhändigen Musikstücke kam an die Reihe. Fräulein von Walde hatte ihre Fassung wiedergewonnen und spielte im Vereine mit Elisabeth vortrefflich.

      Als das Konzert zu Ende war, trat Elisabeth in die Thür eines Nebenzimmers, um ihre Mantille zu holen. Fast auf dem Fuße folgte ihr ein ältlicher Herr, der ihr gegenüber gesessen und sie fortwährend mit großer Aufmerksamkeit betrachtet hatte. Die Doktorin, die mit Elisabeth gegangen war, stellte ihn auf sein Verlangen dem jungen Mädchen vor als den Herrn Kreisgerichtsdirektor Busch. Er sagte ihr viel Schönes über ihr Klavierspiel und fügte hinzu, es sei für ihn von großem Interesse, die kühne Lebensretterin des Schloßherrn kennen zu lernen; er habe um so eiliger die heutige Gelegenheit ergriffen, als ihm seit einigen Stunden die Hoffnung genommen sei, in der Untersuchung der Attentatsgeschichte mit ihr verkehren zu dürfen.

      Elisabeth fuhr erschrocken zurück. Er lachte laut und herzlich.

      »Nun, nun, entsetzen Sie sich nicht nachträglich, mein Fräulein!« rief er endlich. »Wir haben ja, wie ich Ihnen eben sagte, leider keine Veranlassung mehr, Sie vor unsere Schranken zu laden … Linke hat die ganze Angelegenheit mittels eines einzigen Sprunges niedergeschlagen – seine Leiche wurde heute nachmittag aus dem Teiche bei Lindhof gezogen,« fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu. »Man machte mir die Meldung im Gasthofe, wo ich abgestiegen war. Ich begab mich in Begleitung des Wahlheimer Arztes, der sich zufälligerweise im Gastzimmer befand, nach dem Schauplatze des Verbrechens und habe mich überzeugt, daß sich jene Hand nie wieder gegen das Leben eines andern erheben wird … Der Zustand der Leiche beweist, daß Linke sofort nach dem Mißlingen seiner verbrecherischen Absicht den Tod gesucht hat.«

      Elisabeth schauderte. »Weiß Herr von Walde dies schreckliche Ende?« fragte sie mit bebender Stimme.

      »Nein, ich fand noch keine Gelegenheit, ihn allein zu sprechen.«

      »Von allen Anwesenden scheint niemand eine Ahnung zu haben von dem, was gestern geschehen ist,« sagte Frau Fels.

      »Glücklicherweise nicht, und dank unserer Umsicht und Verschwiegenheit,« entgegnete der Kreisgerichtsdirektor ironisch. »Der arme Herr von Walde hat sich ohnehin kaum retten können vor der Gratulantenüberschwemmung; wehe, wenn die Veranlassung eine doppelte gewesen wäre, ihn seines Daseins wegen zu beglückwünschen!«

      Der Hausverwalter Lorenz näherte sich in diesem Augenblicke Elisabeth und präsentierte ihr einen kleinen silbernen Teller, auf welchem mehrere Papierröllchen lagen. Als ihn das junge Mädchen erstaunt ansah, sagte er respektvoll. »Bitte, haben Sie die Güte, eines der Papiere an sich zu nehmen.«

      Elisabeth zögerte.

      »Es wird sich um irgend einen Scherz handeln,« meinte die Doktorin. »Nehmen Sie schnell, damit der Hausverwalter nicht länger aufgehalten wird.«

      Fast mechanisch ergriff das junge Mädchen ein Röllchen, fuhr aber erschrocken zurück, als die Baronin Lessen plötzlich in der Thür erschien und einen forschenden Blick in das Zimmer warf.

      »Nun,« sagte die Eingetretene rasch, indem sie auf den alten Diener zuschritt, »was thun Sie hier, Lorenz? … Sie können sich doch denken, daß Frau Fels sich nicht entschließen wird, mit einem andern als ihrem Herrn Gemahl zu gehen!«

      »Ich habe dem Fräulein Ferber präsentiert, gnädige Frau,« entgegnete der alte Mann.

      Die Baronin schleuderte ihm einen wütenden Blick zu, dann maß sie das junge Mädchen von Kopf bis zu Füßen. »Wie, Fräulein Ferber,« sagte sie schneidend, »Sie sind noch hier? … Ich glaubte Sie längst zu Hause auf Ihren Lorbeeren ruhend.«

      Ohne eine Antwort abzuwarten, trat sie wieder über die Schwelle, wandte sich aber nochmals, den Kopf schüttelnd, zurück nach dem verblüfft dastehenden Hausverwalter und zuckte mit den Achseln.

      »Sie waren wieder einmal recht zerstreut, Lorenz, eine Schwäche, die sich leider in der letzten Zeit oft sehr unangenehm fühlbar macht.«

      Mit diesen Worten rauschte sie hinaus, während ihr der Alte geräuschlos folgte. Er erwiderte auf ihre maliziöse Zurechtweisung nicht eine Silbe, aber in sein blasses Gesicht trat eine leichte Röte, und die weißen, buschigen Brauen zogen sich dergestalt zusammen, daß die gutmütigen Augen fast verschwanden.

      Noch standen die drei Zurückbleibenden und sahen sich erstaunt an, als der Doktor hereintrat. Er machte eine tiefe, komische Verbeugung vor seiner Frau und sagte feierlich.

      »Sintemalen Fräulein von Quittelsdorf soeben die Gnade gehabt hat, uns abermals zusammenzuthun, wie bereits vor fünfzehn Jahren durch Priesterhand geschehen, so bin ich gewillt, das sanfte Joch der Ehe geduldig weiterzuschleppen und heute ausschließlich an deiner Seite, vielgetreues Ehegespons, genährt und gepflegt von deiner zartwaltenden Hand, die Freuden des Tages zu genießen!«

      »Was fällt denn dir ein, lieber Mann?« rief erstaunt und lachend die Doktorin.

      »Bitte, das ist nicht mein Einfall …. Ach, ich merke, du hast Fräulein von Quittelsdorfs schwungvolle Rede nicht mit angehört … wie schade! … Ich sehe mich also genötigt, dir hier mit zu sagen, daß jegliches Ehepaar, gleichviel, ob auf dem Kriegsfuße stehend oder nicht, binnen jetzt und einer Viertelstunde sich hübsch einträchtig nach dem Nonnenturme im Walde zu verfügen hat, allwo ein ländliches Fest gefeiert werden soll. Dort hast du die Verpflichtung, mich zu bedienen, respektive mir so viel Essen und Trinken herbeizuschaffen, wie mein Herz begehrt, und überhaupt für mein Wohlbefinden zu sorgen, wie es nur je die vielgefeierte Penelope gethan … Damit aber die unbeweibten Männer, die in der Mehrzahl hier vertreten sind, nicht zu kurz kommen, d. h. wenn sie es für einen Vorzug halten wollen, daß ihnen der Mund gestopft wird, so hat man höchst sinnreich eine Art Lotterie veranstaltet. Jede unverehelichte Dame zieht ein mit dem Namen eines unverheirateten Herrn versehenes Papierröllchen, und es bleibt nun Fortuna und Amor überlassen, ob sie begünstigen oder hämischerweise zwei zärtliche Herzen trennen wollen.«

      Elisabeth geriet bei diesem Berichte in eine unbeschreibliche Aufregung. Sie hatte nicht weiter darüber nachgedacht, ob sich an das Konzert eine andere Festlichkeit reihen werde. Jetzt wurde ihr klar, weshalb die Baronin gestern den Schluß des Konzerts und ihr Nachhausegehen so eigentümlich betont hatte … Ihre Wangen glühten vor Beschämung, denn sie hatte sich mit der Annahme des Papierstreifens, den der Hausverwalter aus Versehen ihr präsentiert hatte, und der in diesem Augenblicke wie Feuer in ihrer Hand brannte, den Anschein einer grenzenlosen Aufdringlichkeit gegeben. Rasch entschlossen trat sie in den Saal, wo eben das Oeffnen der verhängnisvollen Rollen unter Lachen und gegenseitigen Verbeugungen der Herren und Damen vor sich ging.

      »Welche abgeschmackte Idee von der Quittelsdorf!« sagte eben, als Elisabeth vorüberging, ein junger adliger Aktuar verdrießlich zu seinem Nachbar. »Jetzt habe ich die dicke, fromme Lehr auf dem Halse – Fi donc!«

      Das junge Mädchen brauchte die Baronin nicht lange zu suchen; sie stand ziemlich abgesondert in der Nähe des einen Fensters. Fräulein von Quittelsdorf, die Oberhofmeisterin und Helene standen bei ihr in lebhaftem, aber, wie es schien, nicht sehr angenehmem Wortwechsel. Die Oberhofmeisterin sprach heftig auf Fräulein von Quittelsdorf hinein, die ein um das andere Mal ratlos mit den Achseln zuckte. Auf dem Gesichte der Baronin Lessen spiegelte sich der tiefste Verdruß, es hätte diesmal der zwei roten Flecken nicht bedurft, um zu erkennen, daß sie sich schwer ärgerte. Nicht weit von der Gruppe, an einem Pfeiler, lehnte Herr von Walde mit verschränkten Armen; er schien nur mit halbem Ohre auf die Mitteilungen des alten neben ihm stehenden, dekorierten Begleiters der Oberhofmeisterin zu hören, während seine Augen unablässig auf den gestikulierenden Damen ruhten.

      Elisabeth schritt eilig auf die Baronin zu. Sie konnte nicht umhin, zu bemerken, wie Fräulein von Quittelsdorf bei ihrem Erblicken die Oberhofmeisterin leicht anstieß, und wie diese sich daraufhin umdrehte und einen feindseligen Blick auf sie richtete. Sie erkannte, daß sie der Gegenstand der Debatte gewesen war, und beeilte ihre Schritte, um so schnell wie möglich den unwürdigen Verdacht zurückzuweisen.

      »Gnädige Frau,« sagte sie, sich leicht