Arthur Anderson lächelte ebenfalls nicht. »Hey. Wenn Sie 'ne Sekunde haben, müssen wir über diesen dummen Weihnachtsmannscheiß reden.«
Gabriel wünschte, er würde sich trauen, ein Vine-Video von Arthur zu machen, um Alex zu zeigen, wie lachhaft die Vorstellung war, irgendetwas mit ihm zu machen. Er verkniff sich den Tadel darüber, in der Bibliothek nicht zu fluchen, und nickte in Richtung der geschlossenen Tür neben seinem Büro. »Ich kann Ihnen zehn Minuten im Konferenzraum geben.«
Er wandte sich ab und ging in sein Büro, um sich eine Flasche Wasser und ein paar Tylenol-Tabletten zu holen, bevor er Arthur in den Raum folgte. Allerdings sagte ihm sein Gefühl, dass er sich ein Beruhigungsmittel wünschen würde, noch bevor das Gespräch beendet war. Nur konnte er sich nicht entscheiden, ob er sich selbst oder Arthur unter Drogen setzen sollte.
Kapitel 3
Arthur betrat den Raum, während Gabriel in seinem Büro herumhantierte. Er schloss die Tür, atmete den Geruch von Reinigungsmittel und altem Teppichboden tief ein und war froh, dass es nicht der scheußliche Buchgeruch war, der ihm draußen im Hauptsaal die Kehle zugeschnürt hatte. Schon als Kind, als er jeden Samstag in diesem verdammten Gebäude festgesessen hatte, während seine Mutter Besorgungen erledigt hatte, hatte er diesen Gestank gehasst. Immer und immer und immer wieder hatte er die gleichen stinkenden Bücher gelesen und sie mit jedem Mal genauso sehr wie vorher gehasst.
Außer die Comics. Die hatte er gemocht. Es hatte drei Comic-Bücher gegeben, alles alte Peanuts-Sammelbände. Es waren nie neue dazu gekommen, nicht ein einziges Mal während all der Jahre, die er in der Bibliothek eingesperrt gewesen und mit den Launen einer einfallslosen Bibliothekarin hatte klarkommen müssen.
Es fühlte sich falsch an, einen Groll gegen Mimi zu hegen, doch selbst mit neununddreißig nahm er es Marcus' Mutter noch übel, dass sie versucht hatte, ihn dazu zu zwingen, Freude am Lesen zu haben. Comics waren keine richtigen Bücher, hatte sie gesagt. Diese Bemerkung hatte jedes Mal wehgetan, weil ihm dadurch weisgemacht worden war, dass das Einzige, was er in der gesamten Bibliothek wollte, nicht richtig war. Als er gesagt hatte, dass ihm das Lesen schwerfiel, war es nur noch schlimmer geworden – dann hatte sie ihn üben lassen. Er hatte den kleineren Kindern vorlesen und dumme Tests ablegen müssen, bis er schließlich bei der gottverdammten Nachhilfe gelandet war. Nichts davon hatte geholfen. In der Junior High hatte der ganze Albtraum mit einem Treffen von fünf Lehrern, dem Schuldirektor und seinen Eltern geendet, die ihm gesagt hatten, dass mit ihm alles in Ordnung war – er konnte lesen, er wollte es nur einfach nicht.
Arthur kotzte es immer noch an, dass sie ihn nicht selbst gefragt hatten. Er hätte ihnen das auch sagen können.
Die Tür des Konferenzraums öffnete sich, doch Gabriel blieb mit dem Knauf in der Hand stehen und sprach mit einer Gruppe Kindern und deren Eltern, die in die Bibliothek gekommen waren. Gelangweilt und unruhig musterte Arthur den Bibliothekar von oben bis unten und war wie immer verblüfft, wie sehr er sich nicht zu ihm hingezogen fühlte.
Okay, das war nicht fair. Im Gesicht war Gabriel ganz süß, trotz der Brille. Sie war nicht schlimm, aber sie erinnerte Arthur an Klugscheißer, was ihn niemals anmachte. Er musste zugeben, dass diese schlanken Hüften etwas Verführerisches hatten, obwohl die Knochen beim Ficken bestimmt höllisch wehtaten. Der Kerl war bei der Auswahl im Supermarkt genauso wählerisch wie Frankie und bat um irgendwelche seltsamen Spezialmist-Bestellungen. Ehrlich gesagt kam der Großteil von Arthurs fehlender Anziehung davon, dass der Kerl so verdammt groß war. Groß und dünn und drahtig.
Und diese verdammten Haare.
Arthur hatte seine eigenen dicken, widerspenstigen, orangeroten Haare gehasst, bis er Gabriel getroffen hatte. Und dann hatte er Gott für die kleinen Freuden des Lebens gedankt. Gabriels Haar war gelockt, mindestens zehn Zentimeter lang und straßenköterbraun. Theoretisch war Pauls Haar von derselben Farbe und genauso lockig, aber er trug sie kurz geschnitten. Gabriels Locken waren verdammte Ringellocken und sie sprangen und flatterten jedes Mal, wenn der Kerl seinen Kopf bewegte, hin und her. Soupys Haare waren weniger elastisch und sie sah schon aus, als wäre sie direkt aus dem Video zu Good Ship Lollipop gesprungen. Gut, Gabriels Locken wirkten weich und Arthur würde eine Menge Geld darauf verwetten, dass man sich großartig an ihnen festhalten konnte, aber er verspürte nicht das Bedürfnis es herauszufinden. So dürr und blass wie Gabriel war, ließ sein Haar ihn wie einen Wischmopp aussehen. Mit Brille.
Ja, danke, Arthur würde sich eher selbst einen runterholen, als so was anzufassen. Und ganz sicher würde er nicht mit so was ausgehen.
»Entschuldigen Sie.« Gabriel schloss die Tür, wandte sich Arthur zu und deutete auf die Stühle am Tisch. »Möchten Sie Platz nehmen?«
Arthur räusperte sich, zog einen Stuhl hervor und parkte seinen Hintern. »Dieser Mist mit dem Schlitten und dem Weihnachtsmann – es ist okay, wenn Sie Geld sammeln wollen und so, aber da will ich echt nicht mitmachen. Ich werd den Schlitten reparieren, aber Sie werden jemand anderes finden müssen, der den fetten Mann spielt.«
Hinter seinen Brillengläsern wurde Gabriels Blick hart. »Das ist mir recht, weil ich Sie nämlich auch nicht dabeihaben will.«
Bei Gabriels schroffer Antwort blinzelte Arthur und rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Okay – dann sagen Sie es meiner Mom und wir sind fertig.« Dann konnte Arthur endlich dieses unangenehme Gespräch aus seinem Kopf verdrängen.
Jetzt hoben sich Gabriels Augenbrauen über den oberen Rand seines Plastikbrillengestells. »Warum können Sie es ihr nicht selbst sagen?«
War der Kerl verrückt? »Ich kann ihr nichts abschlagen. Ich hab's versucht. Wenn Sie ablehnen, wird sie Ihnen zuhören.«
»Ich habe mein Widerstreben ihr Projekt betreffend bereits zum Ausdruck gebracht, aber sie und der Rest des Bibliotheksvorstands haben dafür gestimmt fortzufahren. Tatsächlich hat sie ihre Entschlossenheit diesbezüglich gestern noch einmal erneuert.«
Gott, dem Kerl nur zuzuhören ging Arthur schon auf die Nerven. Habe mein Widerstreben zum Ausdruck gebracht. Hat ihre Entschlossenheit erneuert. Arthur würde ihm widerstrebend und entschlossen mal beibringen. »Es ist Ihre verdammte Bibliothek. Sagen Sie ihr Nein.«
»Es ist nicht, Mr. Anderson, meine verdammte Bibliothek. Es ist die Bibliothek der Stadt Logan. Ich bin der Bibliotheksdirektor.«
»Ja, aber Sie haben das Sagen.« Die Logik von dem Kerl konnte Arthur nachvollziehen, aber der Gedanke, dass Gabriel ihn nicht aus der ganzen Sache rausholen konnte, versetzte ihn in Panik. »Sie mag Sie. Sie wird auf Sie hören.«
»Sie ist Ihre Mutter. Ich denke, das übertrifft jeglichen Einfluss, den ich auf sie haben könnte.«
Arthur schnaubte. »Wenn Sie das denken, sind Sie verdammt noch mal bescheuerter, als ich dachte.«
Gabriels Lippen bildeten eine schmale Linie, als er sich über den Tisch beugte. »Ich würde es Ihnen danken, wenn Sie keine derartig profane Sprache in der Bibliothek benutzen könnten. Es sind Kinder anwesend und da Sie praktisch ein lebendes Megafon sind, erreicht Ihre schändliche Ausdrucksweise mit Leichtigkeit junge, beeinflussbare Ohren.«
Arthurs eigene Ohren wurden heiß. Er wand sich und starrte auf die Tischplatte. »Entschuldigung.«
Die Haltung des Bibliothekars lockerte sich, auch wenn er sich nicht wirklich entspannte, aber er wirkte nicht mehr so steif und voreingenommen wie zuvor. »Für mich war es anfangs auch schwierig. Sie hören alles, was wir sagen, auch wenn es nicht an sie gerichtet ist.«
Arthur wollte Gabriel gerade von Thomas erzählen und dass er wusste, dass Kinder wie Schwämme alle möglichen Dinge aufsogen, doch dann wurde die Tür des Konferenzraums geöffnet und ein blonder, kleiner Junge, der etwas über einen halben Meter groß war, steckte mit großen Augen seinen Kopf in den Raum. »Mr. Higgins? Ist schon Vorlesestunde?«