Das purpurne Hemdchen. Sara-Maria Lukas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sara-Maria Lukas
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783864953118
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umbringen? Nein, verdammt noch mal, natürlich nicht!

      Sie will glücklich und zufrieden sein. Sie will ihren Traumberuf ausüben und sich nicht von ein paar Scheißtypen das ganze Leben versauen lassen. Und darum will sie kämpfen. Wahrscheinlich wird sie scheitern, aber wenn sie es nicht versucht, wird sie sich später immer fragen, ob es nicht vielleicht doch geklappt hätte, wäre sie nicht zu feige gewesen.

      Die fiesen Träume sind nur durch ihn schlimmer geworden. Sie darf sich nicht von Gefühlen verwirren lassen. Liebe, Sex, Lust, das ist vorbei, auch wenn dieser verdammte heiße Fotograf Wünsche in ihr weckt, mit denen sie nicht gerechnet hat. Das ändert nichts daran, dass sie alles, was mit Sex zu tun hat, in der Realität nicht mehr ertragen kann. Die bösen Träume der letzten Nacht sind der beste Beweis. Sollten sie sich näherkommen, würden die Panikanfälle bestimmt noch schlimmer werden und eine Beziehung sowieso beenden, bevor sie richtig angefangen hätte. Ein Mann, dem die tollsten Frauen hinterherlaufen, wird sich kaum mit einer Psychotante wie ihr abgeben.

      Sie braucht ihre Kraft, um ihr Leben in den Griff zu bekommen. Dieses Hormonchaos stört da bloß, und mehr ist es schließlich nicht, was der Typ in ihr auslöst.

      Sie darf nicht zulassen, dass Sam oder irgendein anderer Mann sie durcheinanderbringt. Sie muss ihren Weg gehen, ohne sich beirren zu lassen. Wenn sie das schafft, kommt sie klar und wird ihre Ziele erreichen.

      Während sie Kaffee trinkt, piept ihr Handy. Neugierig greift sie danach. Zwei Freundschaftsanfragen auf Facebook?

      Mit schneller klopfendem Herzen öffnet sie die App und grinst eine Sekunde später über das ganze Gesicht. Hanna und Helen haben sie gefunden und lustige Nachrichten mit Herzchen und Smilies geschrieben.

      Ihre Knie sind weich wie Watte, und die Kommunikation mit der Mimosensumpfkuh wird zu einer anregenden Diskussion, während sie die Straße entlangläuft, um ihren ersten Arbeitstag in Pimrots Höhle zu absolvieren. Vielleicht wird es ja auch der erste und letzte. Falls sie einen hysterischen Anfall bekommt, weil ein Mann sie anfasst, wird Jeanette sicher schnell eine andere Angestellte suchen. Fuck! Nein! Sie wird keinen hysterischen Anfall bekommen!

      Bevor sie es sich doch noch anders überlegt, reißt sie die Tür auf und stürmt in das Lokal.

      Jeanette steht am Tresen, blickt auf und lächelt. „Pünktlich auf die Minute, was für eine Wohltat.“

      Sina hebt die Augenbrauen. „Ähm … ist das nicht selbstverständlich?“

      Jeanette winkt ab. „Für deinen Vorgänger war es das jedenfalls nicht. Herzlich willkommen, Sina.“

      „Danke.“

      Jeanettes gelassenes Lächeln sorgt dafür, dass es Sina gleich bessergeht. Die Tür zur Küche klappt auf und Heiner schlendert heraus. „Guten Morgen, Sina“

      „Guten Morgen.“

      „Nettie, meine Süße“, murmelt er, kuschelt sich wie frisch verliebt von hinten an seine Frau und küsst sie unter dem Ohr auf den Hals.

      Fasziniert glotzt Sina die beiden an. Sie kann den Blick nicht abwenden. Die kleine, etwas pummelige, auch jetzt am Vormittag wieder äußerst sexy gekleidete Jeanette im Arm dieses riesengroßen Grizzlybären ergibt ein Bild, das man nicht alle Tage sieht. Sie hebt und dreht den Kopf, flüstert irgendwas und kichert. Er zwinkert. Sie küssen sich wie frisch verliebt, dann stößt sie ihn weg.

      „Sieh zu, dass du in deine Küche kommst, in einer halben Stunde geht das Mittagsgeschäft los.“

      Er grinst und wendet sich Sina zu. „Viel Spaß am ersten Arbeitstag, Sina.“

      „Danke. Ich hoffe, ich stelle mich nicht zu blöd an.“

      Er winkt lässig ab. „Keine Angst, das wird schon.“

      Nachdem er sich einen Kaffee genommen hat, verschwindet er wieder in der Küche.

      Jeanette stemmt die Fäuste in die Taille. „Okay, lass uns anfangen. Du sagtest, du hast gar keine Erfahrung?“

      „Stimmt.“

      „Dann zeige ich dir erst mal, wo alles ist. Beginnen wir mit den Getränken.“ Sie öffnet nacheinander die Schränke am Tresen und erklärt so viel, dass Sina sich nur die Hälfte merken kann.

      „Oh je, ich glaube, ich muss mir Notizen machen“, stöhnt sie und Jeanette lacht. „Ach was, das wird schon. Frag einfach immer, wenn du was nicht weißt.“

      Sina verzieht das Gesicht. „Wie viele Fragen pro Minute sind erlaubt?“

      „Hundert“, Jeanette klopft ihr auf die Schulter. „Kein Problem, Schätzchen, jeder muss am Anfang viel fragen.“

      Sina atmet tief durch. „Okay.“

      Gäste betreten das Lokal. Ihre neue Chefin nimmt die Bestellungen an und Sina bereitet entsprechend ihrer Anleitung die Getränke vor. Sie darf zum ersten Mal in ihrem Leben Bier zapfen.

      „Trinken die Leute hier immer schon tagsüber Alkohol?“, fragt sie.

      Jeanette nickt. „Manche. Mittags kommen fast nur Stammgäste und ja, einige mögen zum Essen ihr Pils.“ Ihre Augenbrauen ziehen sich zusammen. „Hast du ein Problem damit?“

      Sina schüttelt eilig den Kopf. „Nein. Natürlich nicht.“

      „Sicher? Du guckst nicht besonders glücklich.“

      Sinas Herz rast. Sieht man ihr so schnell an, dass sie eine Psychotante ist? Verflixt. Wie soll sie bloß … okay … Augen zu und durch. „Ich habe ein Problem damit, wenn Männer betrunken sind und … ähm … so … hemmungslos werden.“

      Jeanette nickt. „Schlechte Erfahrungen?“

      „Ja.“

      „Okay. Also: Beim Mittagsgeschäft passiert das nicht. Da brauchst du keine Angst zu haben. Abends kann es vorkommen, dass ein Gast aus der Rolle fällt. Unsere Stammgäste sind alle nett und werden, auch wenn sie ein paar Gläser mehr getrunken haben, nicht aufdringlich. Ärger gibt es höchstens mal mit Fremden. Habe ich Stress mit irgendeinem bescheuerten Typen, rufe ich Heiner aus der Küche. In der Regel reicht das. Das machst du ebenfalls, falls du Probleme bekommst. Geh keine Risiken ein, lieber einmal zu oft Alarm schlagen, als einmal zu wenig. Niemand erwartet von dir, mit Arschlöchern allein fertig zu werden. Klar? Du wirst sehen, solche Situationen sind harmloser und einfacher zu managen, als du glaubst. Man bekommt schnell Routine, und die Stammgäste helfen uns Weibern, sollte Heiner mal nicht gleich zur Stelle sein. Also, mach dir keine Sorgen, die netten Gäste sind immer in der Mehrzahl und auf unserer Seite. Okay?“

      Sina nickt. „Ja. In Ordnung.“

      „Der da ist zum Beispiel auch einer der Stammgäste, der dir sofort hilft, wenn mal ein Betrunkener randalieren will.“ Jeanettes Blick gleitet Richtung Tür, die man gerade zuklappen hört, und sie lächelt. „Hi Sam.“

      Sina zuckt zusammen, ein Schauer rieselt durch ihren Körper, und ihr Kopf folgt Jeanettes Blickrichtung. Tatsächlich, Samuel schlendert heran. Fuck, Sinas Wangen glühen. Das darf doch nicht wahr sein!

      „Hallo“, murmelt sie und starrt angestrengt die Biergläser an, die vor ihr unter dem Zapfhahn stehen.

      „Guten Tag, die Damen. Sina, wie ist der erste Arbeitstag?“

      „Bis jetzt ganz gut, wenn man davon absieht, dass ich schon wieder alles vergessen habe, was Jeanette mir gerade erklärt hat.“

      Jeanette winkt ab. „Mach dich nicht so schlecht. Klappt doch prima.“

      Sina kichert. „Mal abwarten, ob du das heute Abend auch noch sagst.“

      Samuel zwinkert. „Bestimmt tut sie das. Ich freu mich, dass wir uns jetzt öfter sehen.“

      Schon wieder