»Na, das hätte noch gefehlt!«
»Warum bist du denn aber heute morgen nicht gleich ins Hotel Monopol gekommen, Annemarie?« forschte Ilse.
»Weil ich den Namen verschwitzt hatte, du Schlaukopf. Wie ein verlorenes Schaf bin ich auf der Suche nach euch von Hotel zu Hotel geirrt. Ich wollte schon einen Steckbrief hinter euch her erlassen.«
»Und wo bist du nun abgestiegen?«
»Pikfein! – Hotel Zontinen-Tal mit hellblauer Seidensteppdecke und Kachelbad.«
»Annemarie, das muß doch ein Heidengeld kosten.« Ilse machte erschreckte Augen.
»Bewahre – bloß fünfzehn Mark die Nacht.«
»Aber Annemie, bist du denn ganz und gar übergeschnappt – – –.«
»Du hast ja Größenwahnsinn – ich werde dir deine Kasse abnehmen.« Auch Marlene war entsetzt.
»Dafür habe ich in der vergangenen Nacht auf einem Holzstuhl kampiert«, lachte die ausgelassene Annemarie.
»Heute siedelst du noch zu uns über. Das dritte Bett in unserm Zimmer wartet auf dich. Der Herr Zontinen-Tal wird sein Zimmer noch zehnmal los. Du darfst nicht eine Sekunde mehr ohne Aufsicht bleiben.«
»Ich werde es mir noch überlegen, ob ich eure Schnarchgesellschaft einer hellblauen Seidendecke vorziehe.«
Unter solchen übermütigen Neckereien, an denen auch die Mitfahrenden unfreiwillig lächelnden Anteil nahmen, war die Höhe erreicht.
Marlene hängte sich rechts, Ilse links in den Arm der glücklich Wiedergefundenen. Diesmal ließ sich Doktors Nesthäkchen das Unterfassen gefallen.
»Frei dürfen wir dich nicht mehr herumlaufen lassen, sonst brennst du uns am Ende wieder durch.«
»Warum nicht, wenn mein ›Zavalier‹ aus Würzburg hier wäre –«, so hatte das kleine Nesthäkchen als Abcschütze einst zum Gaudium der Brüder das Wort Kavalier gelesen, und diese Bezeichnung war in der Braunschen Familie beibehalten worden.
»Ach, du schwindelst ja – – –.«
»Du willst uns bloß neugierig machen – wie sah er denn aus?«
»Du brauchst gar nicht erst neugierig gemacht zu werden. Du bist es schon, Ilse«, lachte Annemarie. »Also braune Haare, glaub’ ich, hatte er, Augenfarbe weiß ich nicht, denn es war schon dunkel. Und Stuttgarter Dialekt sprach er ganz reizend – – –«
»Schwindel!« sagten die beiden Cousinen wie aus einem Munde.
»Na, wenn ich seine Schwester, die in Tübingen studiert, aufsuche, werdet ihr mir wohl glauben«, beteuerte Annemarie.
Die beiden wußten nicht, war es Ernst oder war es Scherz. Annemarie war sowohl eine lustige Flunkerei wie ein übermütiger Streich zuzutrauen. Jedenfalls erhöhte dies noch die fidele Stimmung der drei, die im rosigen Abendlicht zwischen junggrünen Rebstöcken singend dem talwärts gelegenen Stuttgart zumarschierten.
Es war nicht so einfach, Annemarie von ihrer hellblauen Steppdecke und ihrem Kachelbad loszulösen. Der vornehme Herr Geschäftsführer des Hotels Zontinen-Tal beanspruchte durchaus den vollen Preis für das Zimmer. Schließlich einigte man sich auf die Hälfte. Fünf Minuten später war das Zimmer bereits wieder besetzt.
Doktors Nesthäkchen aber schlief auch ohne die seidene Steppdecke den Schlaf des Gerechten und war am nächsten Morgen kaum ins Leben zurückzurufen.
Etwas später entführte das gen Tübingen gehende »Zügle« die drei. Von nun an fuhr man nur noch standesgemäß vierter Klasse.
Das erste, was die zukünftigen Studentinnen von ihrer Universitätsstadt zu sehen bekamen, war eine Schafherde. Auf der Wiese gleich hinter dem Bahnhof weidete sie und empfing die Ankömmlinge mit wehmütigem »Mäh – mäh«.
»Der Willkomm ist sehr verheißungsvoll!?« lachte Annemarie. »Hoffentlich halten sie uns nicht für Kollegen.«
»Der Blaustrumpf, den der Schäfer in der Hand hat, ist sicher eine zarte Aufmerksamkeit für uns. Übrigens ein famoses Bild! Wie der strickende Wotan sieht der Alte da mit seinem Schlapphut und seinem Spitz aus!«
»Ich kenne Wotan weder mit Strickzeug noch mit Spitz«, lachte Ilse ihre Intima aus. »Aber in Urzeiten glaubt man sich wirklich hier zurückversetzt. In meinem Leben habe ich kein Schaf gesehen.«
»Sehr schmeichelhaft«, meinte Marlene, während die unverbesserliche Annemarie trocken hinwarf: »Du pflegst doch oft genug in den Spiegel zu sehen, Ilse.«
Dieses Kompliment trug ihr natürlich einen freundschaftlichen Knuff ein. Wie übermütige Schulgören, nicht wie erwachsene junge Studentinnen, hielten die drei Freundinnen ihren Einzug in Tübingen.
»Zuerst nehmen wir uns ein Hotelzimmer und suchen uns dann in Ruhe eine passende Wohnung«, schlug der Reisemarschall Marlene vor.
»Bude heißt es«, verbesserte Doktors Nesthäkchen, das von den Brüdern her mit studentischer Redeweise vertraut war.
Nachdem man den Reisestaub abgeschüttelt, ging es auf die Wohnungssuche.
Dies war durchaus nicht so einfach.
Bald war Annemarie nicht von der Neckarbrücke fortzukriegen, da sie durchaus sofort eine Bootfahrt machen wollte und bereits mit einem Kahnvermieter Unterhandlungen anknüpfte. Bald blieb Ilse, das Baumeisterskind, zurück, um das entzückende alte Stadtbild, das sich terrassenartig am Neckarufer aufbaute, gebührend zu bewundern.
»Seht doch bloß, wie die mittelalterlichen Giebelhäuser den Berg heraufklettern, als ob sie sich überpurzeln, und hoch oben als Bekrönung das alte Schloß Hohentübingen – famos!«
»Ilse, du hast noch ein ganzes Jahr Zeit, die Schönheit Tübingens zu bewundern«, mahnte die zielbewußte Cousine. »Aber zum Wohnungsuchen haben wir nicht so lange Zeit.«
»Pedant!« schalt Annemarie. »Da haben wir uns ja recht nett mit dir verheiratet. Wir wenden uns einfach an die Schwester meines Würzburger Freundes. Die wird uns sicher gern in der schwierigen Wohnungsangelegenheit behilflich sein.«
»Einverstanden. Wo wohnt sie denn?«
Ja, wo wohnte sie?
Doktors Nesthäkchen machte ein ratloses Gesicht. »Wie hieß doch bloß die Straße? Ich habe sie total vergessen. Aber es wird ja hier irgend so was wie ein Adreßbuch geben. Der Name war bestimmt Hartenstein.«
Aber trotz allem Nachforschen schien der Name Hartenstein in Tübingen unbekannt.
»Hans hat mir gesagt, in der Universität ist stets ein Wohnungsverzeichnis für Studentenzimmer einzusehen«, schlug Annemarie vor, um die Scharte wieder auszuwetzen. »Vielleicht finde ich dort auch die Adresse von Fräulein Hartenstein.«
»Das Wohnungsverzeichnis ist zuverlässiger als das unauffindbare Fräulein Hartenstein. Auf – zur Universität!« kommandierte Marlene.
Durch enge, ziemlich steil aufwärts steigende Straßen und Gäßchen, dem ältesten Teil der Stadt, ging es in den neueren Stadtteil, in dem die Universität und die Kliniken lagen.
Mit ehrfurchtsvollem Schauer betrat Marlene das geistige Heiligtum, die Universität, in dem sie von morgen an zugelassen werden sollte. Ilse schaute sich halb beklommen, halb neugierig in dem großen Vestibül um. Doktors Nesthäkchen aber wußte nichts von ehrfurchtsvollen Schauern oder gar von Beklommenheit. Mit strahlenden Augen musterte es unternehmungslustig die Stätte künftiger Arbeit. Keck redete Annemarie mit dem Pedell und hätte den ein und aus gehenden Studenten und Studentinnen, welche die Fremden anstarrten, am liebsten gleich als gute Freunde zugewinkt. Es waren ja alle Kollegen und Kolleginnen.
Die drei