»Das verspreche ich dir, Stefan«, entgegnete Rabea in nahezu feierlichem Ton. »Nie wieder werde ich dich aus meinem Leben aus-schließen.«
Da nahm Stefan seine Freundin in den Arm und küßte sie voller Zärtlichkeit.
»Ich liebe dich, Rabea«, raunte er in ihr Ohr. »Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt.«
»Ich liebe dich auch«, flüsterte sie zurück. »Und ich schwöre dir, daß ich es nicht mehr vergessen werde.«
*
Zwei Tage und zwei Nächte saß Simon Fendt am Bett seiner Frau. Es waren Stunden voller Hoffnung, zugleich aber auch voller Angst und gelegentlich Mutlosigkeit.
»Herr Doktor, manchmal glaube ich, daß Marita nie mehr aufwachen wird.«
Diese Befürchtung hatte Simon Dr. Daniel gegenüber mehr als einmal ausgesprochen. Und der Arzt hatte ihm nur wenig Mut zusprechen können, denn auch er wußte nicht, wie lange die Bewußtlosigkeit der Patientin noch anhalten würde.
»Wenn es noch lange dauert, dann wird er zusammenbrechen«, befürchtete Schwester Bianca, die mit ihrer Kollegin aus der Chirurgie am Fenster der Intensivstation stand.
Alexandra nickte zustimmend. »Er tut mir schrecklich leid.«
»Mir auch«, meinte Bianca, dann griff sie nach dem Tablett, das sie vorhin abgestellt hatte. »Es ist zwar sinnlos, wenn ich es ihm hineinstelle, denn essen wird er ohnehin nichts. Aber wir können ihn ja schließlich nicht verhungern lassen.«
Simon Fendt hörte die Schwester gar nicht eintreten. Wie gebannt starrte er das bewegungslose Gesicht seiner Frau an, während seine Lippen Worte zu einem Gebet formten.
»Herr Fendt, Sie müssen ein paar Bissen essen«, erklärte Bianca leise. »Es nützt Ihrer Frau nichts, wenn Sie hier zusammenklappen.«
Simon nickte zwar, doch Bianca war nicht sicher, ob er ihre Worte überhaupt bewußt aufgenommen hatte. Sie zögerte noch einen Moment, dann verließ sie die Intensivstation so leise, wie sie gekommen war. Als sie eine Stunde später zurückkehrte, war Simon eingeschlafen, doch sogar im Schlaf hielt er noch die Hand seiner Frau.
Ein Blick auf das Tablett zeigte Bianca, daß der junge Mann nur den Kaffee getrunken hatte. Alles andere war unberührt. Die Krankenschwester seufzte leise, dann nahm sie das Tablett und trug es wieder hinaus.
Wäre sie eine Minute länger geblieben, dann hätte sie vielleicht das kaum wahrnehmbare Flattern von Marita Fendts Lidern bemerkt. Jetzt lief ein leichtes Zittern durch ihren Körper, und ihrer Brust entrang sich ein kaum hörbarer Seufzer.
Erschrocken fuhr Simon hoch und blickte auf das Gesicht seiner Frau, doch es war so bewegungslos wie in den beiden Tagen zuvor. Mit einer müden Handbewegung fuhr er sich über die Stirn.
»Jetzt drehe ich allmählich durch«, murmelte er sich selbst zu.
In diesem Moment fühlte er, wie sich Maritas Finger, die er immer noch mit einer Hand umschlossen hielt, ein wenig bewegten. Und als er jetzt das Gesicht seiner Frau betrachtete, sah er auch, wie sie sich bemühte, die Augen zu öffnen.
»Marita!«
Seine Stimme überschlug sich beinahe und lockte Schwester Bianca herbei, die gerade draußen vorbeigegangen war.
»Herr Fendt, was ist los?« fragte sie besorgt.
»Sie wacht auf!« sprudelte Simon aufgeregt hervor. »Gerade hat sie sich bewegt, und ihre Augen… sehen Sie nur, Schwester, ihre Augen…«
In diesem Moment bemerkte auch Bianca das Flattern ihrer Lider. Im Laufschritt verließ sie die Intensivstation und trat zum Telefon, um Dr. Daniel anzurufen. Es dauerte keine zehn Minuten, bis er zur Stelle war, doch an dem Bild hatte sich noch nichts geändert. Nach wie vor war es Marita nicht gelungen, die Augen zu öffnen.
Jetzt beugte sich Dr. Daniel über sie und tätschelte ihre Wange.
»Frau Fendt, können Sie mich hören?« fragte er.
Marita öffnete die Lippen, doch nur ein leises Stöhnen kam hervor.
Da hielt es Simon nicht mehr länger aus. Mit unvermuteter Kraft drängte er Dr. Daniel zur Seite und legte beide Hände um das Gesicht seiner Frau.
»Marita! Liebling!«
Dann küßte er sie. Im selben Moment schlug Marita die Augen auf.
»Simon.«
Ihre Stimme war nicht mehr als ein heiseres Flüstern.
»Marita! Endlich!« stieß Simon hervor. Er lachte und weinte gleichzeitig vor Glück und konnte dabei nicht aufhören, das Gesicht seiner Frau zu streicheln.
»Mein Liebes«, murmelte er immer wieder.
Da gab Dr. Daniel Schwester Bianca ein Zeichen, und sie zogen sich lautlos zurück.
»Eigentlich müßte ich sie untersuchen«, meinte Dr. Daniel, »aber es wäre eine Sünde, die beiden in diesem Augenblick zu stören.«
Bianca nickte, während auf ihrem Gesicht ein glückliches Strahlen lag. »Ich bin so froh, daß sie endlich aufgewacht ist. Herr Fendt hat mir so leid getan.«
Durch das Glasfenster beobachtete Dr. Daniel die beiden.
»Liebe vollbringt manchmal die größten Wunder«, meinte er. »Haben Sie gesehen, wie sie wach geworden ist?« Er wartete Biancas Antwort gar nicht erst ab. »Meine Stimme konnte sie nicht vollends wecken. Erst der Kuß ihres Mannes hat ihr geholfen, die letzte Schwelle zu überschreiten.«
Sinnend blickte Bianca vor sich hin. »Wenn sie geahnt hätte, in welche Gefahr sie sich mit dieser an sich einfachen Operation begeben hat…«
Dr. Daniel nickte. »Vermutlich hätte sie dann lieber die Schmerzen ertragen.«
In dem Blick, mit dem Schwester Bianca ihn jetzt anschaute, lag tiefe Bewunderung.
»Sie haben sie von ihren Schmerzen befreit und ihr dabei auch noch das Leben gerettet«, erklärte sie, und etwas wie Ehrfurcht schwang in ihrer Stimme mit. »Sie sind ein wundervoller Arzt, und ich bin froh, daß ich hier in dieser Klinik an Ihrer Seite arbeiten darf.«
Biancas Worte machten Dr. Daniel richtig verlegen. Er sah das, was er getan hatte, völlig anders. Kranke zu heilen und wenn es möglich war auch Leben zu retten, war für ihn nichts anderes als seine Pflicht. Wie nah dabei Leben und Tod zusammenstanden, hatte ihm der Fall von Marita Fendt wieder einmal gezeigt, und Dr. Daniel hoffte nur, daß es ihm so oft wie nur irgend möglich gelingen möge, seine Patienten am Leben zu erhalten – an einem Leben so voller Liebe, wie Marita und Simon Fendt es ihm durch die Glasscheiben der Intensivstation zeigten.
Die Sprechstunde bei Dr. Robert Daniel hatte gerade begonnen, als Stefanie Metzler völlig aufgelöst die Praxis betrat.
»Fräulein Meindl, ich muß dringend zum Doktor«, stieß sie hervor.
Die junge Empfangsdame Gabi Meindl unterdrückte nur mit Mühe einen Seufzer. Sie haßte es, wenn Patienten unangemeldet kamen! Und noch viel mehr wurmte es sie, daß sie sich Stefanie gegenüber nicht einmal eine diesbezügliche Bemerkung erlauben durfte, denn immerhin war die die jüngere Schwester vom Chefarzt der Steinhausener Waldsee-Klinik. Und das war noch nicht alles. Dr. Daniel kannte die junge Frau praktisch seit ihrer Geburt. Gabi würde also zumindest mit einer kritischen Bemerkung ihres Chefs rechnen müssen, wenn sie sich Stefanie gegen-über nicht vollkommen korrekt verhielt.
»Nehmen Sie bitte noch einen Augenblick im Wartezimmer Platz, Fräulein Metzler«, bat Gabi mit einem höflichen, aber dennoch sehr unverbindlichen Lächeln. »Sobald der Herr Doktor frei ist, wird