Anita nickte, fühlte sich jedoch wenig getröstet. Sie hatte ihre Mutter früh verloren und ihren Bruder durch einen schrecklichen Tod. Es war nicht leicht, da noch an Gottes Güte und Gerechtigkeit zu glauben.
Hannes Bertrammer hatte sich zwar vom äußeren Schmutz und Gestank befreien können, nicht aber von dem flammenden Zorn auf den Söllner. Daß der arme Nachbar sich ihm gegenüber so etwas erlaubt hatte, war nur dadurch gutzumachen, daß man ihm das Lästermaul ein für allemal stopfte!
Ja, der Bertrammer sann allen Ernstes darauf, wie er den Vater des Burschen aus dem Weg schaffen könnte, der ihm ebenso zuwider wie lästig gewesen war. Nun bedeutete auch der Söllner-Bauer ein Hindernis auf dem Weg zu Anita. Und Hindernisse räumte man halt fort. Da die eine Tat bisher unaufgeklärt geblieben war, mußte es bei der zweiten ähnlich gut ausgehen, wenn er, Hannes, sich entsprechend vorsah und absicherte. Vielleicht konnte man auch sie dem Jager zuschieben, der sich anscheinend nicht richtig wehren zu können schien.
Wie ein Sturm jagte es jedesmal durch Hannes, sobald er sich das schmachvolle Erlebnis beim Söllner vergegenwärtigte. Dachte er daran, daß Vater und Tochter nun gemeinsam über ihn spotteten, hämmerte ihm das Blut bis in die Schläfen hinauf.
Es gab bei ihm keinen guten Gedanken mehr. Auf einem Misthaufen gelandet zu sein, nachdem er seine nachbarschaftliche Hilfe angeboten hatte, das brannte wie eine offene Wunde in ihm, in die täglich aufs neue ätzendes Gift tropfte.
Der Bertrammer-Hannes wußte einiges von den Söllnern und fühlte sich ihnen überlegen. Da er bisher Anitas wegen ständig wie eine Spinne im Netz gelauert hatte, kannte er auch die üblen Streiche, die sie dem vermeintlichen Mörder ihres Bruders gespielt hatte. Oft hatte er sogar zugesehen, wenn sie sich ans Jägerhaus schlich, und es boshaft gelächelt geduldet. Daß es sich bei jenem Jäger um denselben Burschen handelte, für den Anita seit der Tanzerei Feuer und Flamme zu sein schien, ahnte Hannes nicht.
Er beschloß, diese Streiche etwas eindrucksvoller fortzusetzen. Vielleicht zeigte sich Anita ihm gegenüber dann dankbarer und zugänglicher. Hatte er sie erst einmal so weit, war es bis zur Hochzeit mit ihr gewiß nur ein Katzensprung.
Und so fand Lukas’ Vertreter eines Morgens ein todwundes Kitz vor der Bank am Jägerhaus. Zorn schoß in ihm hoch, als er feststellte, welch unweidmännische Tat hier vollbracht worden war. Fast verdarb es ihm die Freude, hier heroben für seinen Kollegen einspringen zu können.
Bevor er jedoch Meldung machte, suchte er Apollonia in ihrem Häusl auf. Er war so erregt, daß er ohne anzuklopfen bei ihr eintrat. Gleich wurde er mit den Worten belehrt: »Macht Ihr das immer so, daß Ihr mit der Tür ins Haus fallt?«
»Red net in der dritten Person zu mir, sondern gib mir lieber eine Auskunft!« entgegnete der Jäger voller Ungeduld.
Apollonia schnappte nach Luft. Sie stemmte die Fäuste in die Hüften, richtete den Blick streng auf den Jäger und sagte: »Alois Schaidhammer – ich werd dir garantiert net aus der Hand lesen!«
»Das verlang ich auch gar net, weil ich eh net an solch einen Hokuspokus glaub«, erwiderte er in scharfem Ton. »Bei mir droben…«
»Du meinst wohl: beim Kronseder-Lukas droben«, warf sie berichtigend dazwischen.
»Egal, bei wem! Jedenfalls lag ein tödlich verwundetes Kitz vorm Jägerhaus, dem ich den Gnadenschuß hab geben müssen. Ein jammervoller Anblick! Du wohnst als einzige mit hier heroben. Dir muß doch amal etwas Ungewöhnliches aufgefallen sein. Oder steckst gar mit demjenigen unter einer Deck, der hier offensichtlich die Jager vergraulen will?«
Apollonia hatte überrascht zugehört. Sie schien sich weder über seinen aggressiven Ton noch über den ausgesprochenen Verdacht zu ärgern.
»Ach!« entfuhr es ihr. »Geht die Schikaniererei also munter weiter! In einer Hinsicht freut’s mich, weil sie Lukas nun zurückschicken müssen. Jetzt steht’s ja fest, daß man ihn net fürs tote Wild verantwortlich machen kann.«
»Das sowieso net«, sagte Alois, der mehr wußte, als er weitergeben durfte. In der Stadt hatte man Lukas Kronseder sozusagen auf Herz und Nieren geprüft. Zur Zeit nahm er an einer speziellen Ausbildung teil, um sich im Notfall gegen Schmuggler oder Wilddiebe besser verteidigen zu können.
»Wennst bereits zu der Einsicht gekommen bist, wozu brauchst dann noch eine Auskunft von mir?« fragte Apollonia.
»’s ist eigentlich mehr eine Bitt«, erklärte Alois. »Könntest mir sämtliche Pfade hier aufzeichnen und eventuelle Schlupfwinkel markieren?«
»So was Deppertes!« Apollonia schüttelte den Kopf.
»Und würdest mich a bissel unterstützen?« bat er weiter.
»Das wär ja noch depperter!« meinte sie. »Ich bin ein altes, schrulliges Weib, das seine Ruh haben will. Ich sammel Kräuter und deut Handlinien. Von deinem Beruf versteh ich soviel wie du vom Lesen aus der Hand.«
»Ich möcht ja nur, daß du ein Auge aufs Jägerhaus hast, wenn ich dienstlich unterwegs bin«, sagte Alois so freundlich wie möglich.
»Das tät eh nix nutzen. Ich hab’s beim Kronseder schon versucht. Prompt ist derjenige dann net gekommen, den wir haben erwischen wollen.«
Der Jäger schien überrascht zu sein. Mit dem Zeigefinger rieb er an seiner Nase entlang und murmelte mehr zu sich selber: »Geister gibt’s keine. Demnach muß es sich um ein menschliches Lebewesen handeln, das vor nix Respekt hat und sich sehr sicher wähnt. Wahrscheinlich ist’s gut bekannt und wirkt harmlos. Aber was – zum Teifi! – was hat’s für ein Motiv, daß es auch mich in eine solch widerwärtige Sach einbezieht?«
»Ich kann net hellsehen«, sagte Apollonia. Ihr Blick glitt kurz zu dem Holzkästchen auf der Anrichte hin. In ihm lag das silberne Kettchen mit dem Buchstaben A als Anhänger. Beinahe jeden Tag holte sie es hervor, ließ es durch ihre Finger gleiten und grübelte. Bisher war sie sich nicht sicher gewesen, ob es klug sein würde, auf eine vage Vermutung hin zu handeln.
»Ein armes totes Kitz«, flüsterte sie in das entstandene Schweigen hinein und fühlte einen ziehenden Schmerz in der Brust.
»Eine riesenmäßige Sauerei nenn ich das!« brauste der Schaidhammer auf.
Apollonia sah ihn an und dachte: Er gehört net hierher. Ich werd zuwarten müssen, bis Lukas wieder da ist…
Um den Jäger loszuwerden, erklärte sie sich nun bereit, ihn im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu unterstützen. Doch sie blickte ihm dann voller Unbehagen und Zweifel nach, als er sie verließ.
Von der nahen Felswand her kamen plötzlich merkwürdige Geräusche. Der eiligst davonstrebende Jäger schien sie nicht zu vernehmen. Apollonia aber ignorierte sie, weil ihre Gedanken sowieso schon kreuz und quer durcheinandergingen.
Zwei Tage später erst sollte sich Apollonia wieder daran erinnern. Auf der Suche nach bestimmten, leider seltenen Kräutern sah sie plötzlich zwei dunkle Vögel hochflattern und krächzend entschwinden. Neugierig näherte sie sich der Stelle, von der sie hochgeflogen waren. Im nächsten Augenblick ließ sie vor Schreck den Korb fallen und schlug das Kreuzeszeichen.
Vor ihr, zwischen Latschenbüschen, ragten die Läufe eines stattlichen Gamsbockes. Ihm war das Gehörn herausgebrochen worden; sogar ein Stück Hirnschale fehlte.
Braunrote Flecken auf den Büschen wiesen darauf hin, daß das Tier hier zu Tode gekommen war hier, in einer Schonzone, die unter Naturschutz stand! Apollonia fühlte sich wie gelähmt. Sie bog die Büsche auseinander, schrie leise auf. Diesen Gamsbock glaubte sie zu kennen. Sie hatte ihn oft von ihrem Häusl aus beobachtet und seine Geschicklichkeit und Schnelle beim Klettern bewundert. Auch über sein selten schönes Gehörn hatte sie gestaunt, das, wie sie manchmal gedacht hatte, einen Sammler hätte begeistern können.
»Herr im Himmel, wie hast das nur zulassen können – zumal doch die Tiere auch bei uns weniger werden!« murmelte Apollonia, im jähen Hader mit dem Schöpfer aller Dinge. »Das kann beiden Jagern die Stellung kosten, wenn’s herauskommt,