»Ich gratuliere dir zum Geburtstag, zu deinem Jubiläumsgeburtstag! Und nun höre zu, was ich dir noch extra schenke.«
»Kleiner Irrwisch, hast du den Wecker gestellt? Hast du uns so zeitig aus dem Schlaf geweckt?«
»Weißt du, Vati, heute kommen doch gar so viele Leute, da haben wir noch viel zu tun. Und der Jule wird auch gleich hier sein. Er sagte, er fährt heute früh um drei Uhr mit dem Rade, um Blumen für dich' zu holen, weil er nachher wieder feste arbeiten muß. Der arme Jule, er hat keine Zeit, um am Vormittag mit dir den Wein zu trinken, wie die anderen Leute. Und dein armes Pommerle hat auch keine Zeit, weil es in die Schule muß. Ich gratuliere dir, Vati, so sehr, so furchtbar sehr, und nu paß gut auf.«
Professor Bender richtete sich im Bett auf und schaute beglückt auf das kleine Mädchen, das so viel Sonne in sein Leben trug. Noch zu keiner Stunde hatte er es bereut, das Kind der Fischerleute adoptiert zu haben. Pommerle war sein Sonnenschein, er konnte sich sein Leben ohne dieses unverdorbene Kind nicht denken. – Erwartungsvoll blickte er auf sein Töchterchen, das noch einige Male tief atmete und dann mit heller Stimme begann:
»Das Hauptgestein des Riesengebirges ist Granit, welcher aus der Tiefe des Hirschberger Tales bis auf den Rücken der böhmischen Kämme reicht. Am übrigen Südgehänge herrscht Christinens Schiefergebirge vorzugsweise Glimmerschiefer. Das gratinische Terrain ist mit Granitblöcken bedeckt und reicht an pitoske Einzelfelsen. Der Granit wird von Papiergängen durchsetzt.«
»Was, Pommerle – was?«
»Von einzelnen Papiergängen durchsetzt. Auch Asphalt tritt – –«
»Aber Pommerle!«
»Vati, bitte, sei mal noch ein bißchen stille, sonst komm ich 'raus. Es ist nämlich furchtbar schwer, was ich gelernt habe, aus dem dicken Buch. Und nun tritt der Asphalt auf den Kynast auf. Bergbau wird nur im Riesengrund betrieben, zahlreich sind die vielen Erzwesten auf der schlesischen und auf der böhmischen Seite. – So, und nun wünsche ich dir, daß du auch so viel Gelehrtes den fremden Leuten aus aller Welt erzählen kannst, wie heute dein Pommerle aus Liebe zu seinem guten Vati gelernt hat. – War's schön?«
Frau Bender hatte sich abgewandt, sie wollte nicht lachen. Zu drollig hatte Pommerle die gelehrten Worte verdreht. Freilich, die Kleine konnte den Sinn der Schilderung noch nicht erfassen. Der Professor dagegen zog sein kleines Töchterchen ins Bett, küßte Pommerle stürmisch ab und lachte herzhaft.
»Das hast du wirklich fein gemacht, mein liebes Pommerle. Die vielen Erzwesten auf der schlesischen Seite freuen mich sehr, und nach Christinens Schiefergebirge fahren wir auch zusammen. Dann will ich dir zeigen, was das für Papiergänge sind, die den Granit durchziehen.«
»Ist es dir lieb, daß ich das auswendig gelernt habe?«
»Du hast deinem Vater damit eine sehr große Freude gemacht, mein Kleines, weil er sieht, daß sein Töchterchen Interesse für des Vaters Arbeiten hat. Wenn ich könnte, würde ich mir heute, zu meinem Festtage, solch eine Erzweste anziehen.«
»Kannst du das nicht?«
Nun vermochte sich Frau Bender nicht länger zu halten. Sie lachte schallend. »Pommerle, woher hast du denn diese Weisheit?«
Das kleine Mädchen gab keine Antwort, kroch eiligst aus des Vaters Bett, eilte ins Nebenzimmer, stieg auf den Stuhl und legte nach wenigen Augenblicken dem Vater einen Band des Konversationslexikons auf die Decke.
»Da steht es drin!«
Während sich Professor Bender noch eingehend über die ihm bereitete Geburtstagsfreude unterhielt, las Frau Bender mit unterdrücktem Lachen die Schilderung des Gesteins im Riesengebirge. Aus dem kristallinischen Schiefergebirge hatte Pommerle Christinens Schiefergebirge gemacht, aus der Erzwäsche war eine Erzweste geworden, und der von Porphyrgängen durchsetzte Granit war zu Papiergängen geworden. Auch die pittoresken Einzelfelsen waren von Pommerle umgedichtet worden, so daß dieses liebliche Kauderwelsch herausgekommen war.
»Und dann habe ich dir auch noch was gestrickt, Vati, ein dickes, wollnes Halstuch. Wenn du wirklich mal mit uns im Winter Hörnerschlitten fährst, bindest du das Tuch um, dann kann dir nichts passieren. Genau mußt du dir das Tuch aber nicht ansehen; ich habe ein bißchen geprudelt, aber das macht doch nichts, Vati. Weißt du – –«
Von unten herauf ertönte ein schriller Pfiff.
»Der Jule, der Jule«, schrie Pommerle, riß die Vorhänge auseinander und öffnete das Fenster weit. »Komm 'rauf, Jule, der Vati ist schon munter!«
»Aber Pommerle, wir liegen doch noch in den Betten, es ist ja kaum vier Uhr.«
»Der Jule hat Blumen in der Hand – der Jule bringt dir die Fauna und die Flora des Riesengebirges – Vati, der Jule hat doch nachher keine Zeit. – Jule, Jule, komm rasch 'rauf!«
»Die Haustür ist noch zu!«
»Ich komm gleich 'runter!«
»Nein, Pommerle«, sagte Frau Bender. »Einmal wirst du doch nicht im Hemd hinunterlaufen und den Jule empfangen, außerdem ist der Vati noch nicht angezogen.«
»Goldenes Vätichen«, sagte Pommerle und streichelte ihm die Wange, »zieh dich doch schnell an, der Jule ist unten mit Blumen. Ganz heiß hat er sich geradelt. Hier Vati, hast du den Schlafrock. – Nun komm und mach die Haustür auf.«
Darauf eilte die Kleine wieder ans Fenster und rief hinunter:
»Jule, warte nur noch ein bißchen, der Vati kommt gleich und macht auf.«
Der Professor tat dem Kinde den Willen. Lachend wandte er sich an seine Frau. »Es wird heute doch ein unruhiger Tag. Daß ich allerdings schon um vier Uhr geweckt werde, habe ich mir nicht träumen lassen.«
Pommerle blinzelte den Vater gar listig an und wies mit dem Finger auf den Wandspruch: »Guck mal dorthin, Vati! Morgenstunde hat Gold im Munde. Wenn halt der Jule unten wartet! – Du, Vati, ich hab's gewußt, und darum habe ich gestern abend ein bißchen an der Uhr 'rumgedreht.«
Während sich Pommerle durchs Fenster vom ersten Stockwerk herab unterhielt, kleidete sich der Professor rasch an. Es war von Jule gut gemeint, daß er zu so früher Stunde hinausradelte, um seinem Vormund Blumen zu bringen. Der Jule wäre sicherlich sehr traurig gewesen, wenn er ihm die Blumen nicht abgenommen hätte.
»Zieh dir etwas an, Pommerle. So darfst du nicht zum Jule gehen.«
Blitzschnell schlüpfte das Kind ins Kleid, dann gingen beide die Treppe hinunter, um Jule herein zu lassen.
Wortlos streckte der Tischlerlehrling Professor Bender die Hand hin, die einen großen Strauß Wiesenblumen hielt. An diesem Strauß hing an blauem Faden ein Zettel. Jule hatte sich bemüht sehr schön zu schreiben, doch ohne einige Tintenflecke war es nicht abgegangen. Bender las:
»Es grießt dich fiele tausendmal,
Der Herr der Berge, Rübezahl.«
Bender nahm den Strauß und schaute wartend auf Jule. Endlich sagte er:
»Nun, Jule, hast du keinen Glückwunsch für mich? Es ist sehr nett von dir, in früher Morgenstunde Blumen für mich zu pflücken, doch ein paar herzliche Worte möchte ich noch von dir hören.«
»Dann wünsche ich Ihnen, daß Sie nicht zu lange mit dem Pommerle in Schweden bleiben und noch dieses Jahr gesund bleiben mögen. – Und wenn ich wieder Steine bringe, daß ich dann auch wieder mal – – wissen Sie noch, Herr Professor, einmal haben Sie mir sogar eine ganze Mark dafür gegeben.«
»Jule, Jule, du bist noch immer der alte. Doch nun komm, mein Junge, einen väterlichen Dankeskuß will ich dir doch auf deine schmutzige Stirn geben.