»Und wenn du kommst, Jule, kriegst du von der Torte mit dem grünen Zuckerkranz. – Vati, das weißt du noch gar nicht, daß du heute eine schöne Torte kriegst. Aber ich darf dir noch nichts Näheres darüber sagen.«
»Meister Reichart hat mir versprochen, dich heute schon um vier Uhr gehen zu lassen. Also um halb fünf Uhr bist du bei uns zu Kaffee und Kuchen. Ich denke, daß auch Sabine kommt.«
Jule wollte sich nicht länger aufhalten. Er hatte stets, wenn er bei Professor Bender war, ein bedrückendes Gefühl. Verstohlen machte er Pommerle ein Zeichen, sie solle ihn begleiten, aber der Professor hielt sein Töchterchen fest. Einmal sollte das Kind nicht frühmorgens um vier Uhr durch Hirschberg laufen, zum anderen war Pommerle nur so notdürftig angekleidet, daß es sich bei der frischen Morgenluft eine Erkältung holen konnte. Jule ließ die Unterlippe hängen, als er sah, daß seine heimlichen Bemühungen vergeblich waren.
»Na, dann komme ich eben heute nachmittag. Also, auf Wiedersehen. Lassen Sie es sich heute recht gut gehen, Herr Professor.«
»Danke, Jule, du hast mich mit den Blumen recht erfreut, ich sehe daraus, daß du mir auch ein wenig gut bist. – Stimmt's?«
Darauf hatte der Jule nur ein Knurren. Er zeigte niemals gern, wie es in seinem Inneren aussah. Und einem Menschen etwas Liebes sagen, solche Worte wollten ihm nicht über die Zunge. Als aber Professor Bender und Pommerle ins Haus gegangen waren, als sich die Haustür hinter beiden geschlossen hatte, stand Jule noch längere Zeit in dem kleinen Vorgarten und murmelte mit finsterem Gesicht:
»Freilich habe ich dich gern, immer bist du gut zu mir gewesen; aber ausgezankt hast du mich auch, und Hörnerschlitten bist du mit uns nicht gefahren.«
Dann erst ging er davon.
Obwohl Frau Bender Pommerle riet, wieder ins Bett zu gehen und noch einige Stunden zu schlafen, schlossen sich die Augen des Kindes nicht mehr. In freudiger Erwartung sah es dem heutigen Tage entgegen. Pommerle wußte, daß sich heute früh so mancherlei ereignen würde. Lief es doch seit Tagen in Hirschberg umher und teilte jedem mit, daß der Vater Jubiläumsgeburtstag habe. Kapellmeister Weise hatte ihm außerdem verraten, daß heute früh die Stadtkapelle komme, um dem Vater ein Ständchen zu bringen. Darauf wartete das kleine Mädchen. Wenn nur der Vati diesen Festakt nicht verschlafen wollte. So ertönte von Zeit zu Zeit ein feines Stimmchen:
»Vati, ich wollte nur mal fragen, ob du wieder eingeschlafen bist?«
Der Professor, der tatsächlich wieder am Einschlafen gewesen war, wurde erneut wach. Schließlich holte er das Kind zu sich ins Bett, und dann tuschelten Vater und Tochter ganz leise von den Freuden und Überraschungen, die der heutige Tag bringen würde.
»Weißt du, Vati, manches verstehe ich ja nicht, aber komisch ist es doch, daß du, weil du Steine klaubst, so ein berühmter Mann geworden bist. Wenn der Jule nun ganz berühmte Tische macht, bekommt er auch mal ein Ständchen?«
»Was – – bekomme ich etwa ein Ständchen?«
»Pst, Vati, das ist ein Geheimnis, darüber darfst du nicht reden.«
Bender schaute nach der Uhr. »Frauchen, ich glaube, es ist das Beste, wir stehen auf. Wenn die Kapelle kommt, will sie doch ein Glas Wein haben. Ich kenne meine lieben Hirschberger, die rücken früh um sechs Uhr an. Schüttel nur ab den Schlummer, geliebte Ehehälfte, denn bald kommt die Musik.«
»Will mal nachgucken!« Und schon war das Kind am Fenster. Es war noch nichts zu sehen.
»So, mein liebes Kind, nun geh hinüber in dein Stübchen und ziehe dich ordentlich an. Auch wir werden aufstehen.«
»Vati, soll ich die Anna wecken? Sie muß doch auch hören, was sie blasen.«
»Zieh dich nur an, Pommerle, Anna steht von allein auf, wenn es Zeit ist.«
»Der Jule hätte auch hierbleiben können. Nun hört er die schöne Blasmusik nicht.«
Aufgeregt kleidete sich das kleine Mädchen an. Frau Bender mußte heute mehrmals tadeln, denn Pommerle war viel zu erregt, um alles richtig zu machen. Mehrfach eilte es ans Fenster, doch noch immer war die Kapelle nicht zu sehen.
Endlich war es so weit! Die feierlichen Klänge eines Chorals klangen in den Morgen hinein. Zwölf Mann der Stadtkapelle, angeführt von ihrem Dirigenten, brachten Professor Bender ein Ständchen. Pommerle war ganz Verzückung. Vati stand im Parterrezimmer am geöffneten Fenster, neben ihm die Mutti. Pommerle war hinaus in den Vorgarten geeilt und schaute unverwandt den Kapellmeister an. Dann wieder gingen die Augen hin zum Vater. Es sprang vor Lust von einem Bein auf das andere und stieß von Zeit zu Zeit den Dirigenten in die Seite:
»Immer noch ein bißchen doller und recht lange. Vati freut sich!«
Schließlich schlug auch für Pommerle die Stunde, daß es zur Schule mußte. Vergeblich hatte es die Eltern gebeten, am heutigen Tage daheim bleiben zu dürfen, aber die Mutter meinte, Pommerle wäre am Nachmittag frei, das genüge.
»Ein Glück, daß wir heute schon um zwölf Uhr fertig sind. Ich möchte doch so gern dabei sein, wenn die vielen Leute gratulieren.«
In der Schule war Pommerle nicht aufmerksam. Es fühlte sich heute als Hauptperson. Malchen Kade, die Gärtnerstochter, tuschelte ihm zu, daß der Vater schon den vierten großen Blumenkorb für Professor Bender herrichte. Daß außerdem noch zahlreiche Blumensträuße bestellt wären, die alle heute früh in die Bendersche Villa geschickt würden.
»Und mein Vater«, sagte Lenchen Ortel, »hat gestern den Zylinderhut herausgenommen. Mit dem Zylinderhut geht er heute zu deinem Vati, mit noch vielen anderen Leuten vom Bürgermeisteramt.«
Pommerle verschlang die Hände. »Und alles das nur wegen die Steiner – zu komisch!«
Es gab gar viel zu erzählen, vom Jule, der in frühester Morgenstunde Blumen gebracht hatte, von der Kapelle und dem Ständchen.
»Wollen wir deinem Vater nicht auch eins singen?« meinte eine der Schülerinnen. »Vielleicht um zehn, wenn wir Pause haben. Dann laufen wir rasch hin und singen ihm eins.«
»Oh!« jauchzte Pommerle.
Dieser Vorschlag fand allgemeine Begeisterung. Man war einverstanden. Bis zur Benderschen Villa war es nicht weit. Wenn man furchtbar schnell rannte, war man in drei Minuten dort. Die Pause dauerte eine volle Viertelstunde.
»Er würde sich furchtbar freuen«, meinte Pommerle. »Den ganzen Tag wird er heute geehrt. Da können wir ihn um zehn Uhr auch mal ehren!«
Während der Diktatstunde steckten die kleinen Mädchen die Köpfe zusammen, eine flüsterte es der anderen zu, daß man in der großen Pause zu Benders laufen wolle, ganz heimlich, damit es auch wirklich eine Überraschung werde.
»Was singen wir?«
Ein Zettel, der diese Frage enthielt, wurde Pommerle zugeschoben. Die Kleine überlegte einige Augenblicke, dann stand mit großen, steilen Buchstaben auf dem Papier:
»Der Mai ist gekommen.«
Diesmal leerte sich die Klasse überraschend schnell. Dann stürzte eine Horde von etwa zwanzig Mädchen die Straße hinunter, versammelte sich atemlos vor der Benderschen Villa. Pommerle hielt in der erhobenen Rechten ein abgebrochenes Zweiglein und gab im Flüsterton die Anordnungen.
»Wenn ich dreimal tüchtig durch die Luft geschlagen habe, fangt ihr mit Singen an.«
Neun verschiedene Töne klangen durch den Morgen. Erschrocken hielten die Kinder wieder inne. Darauf noch einmal:
»Der Mai ist gekommen –«
Wieder tiefe Stille, denn noch immer war der rechte Ton nicht gefunden. Vor dem Hause entstand ein lebhafter Streit. Schließlich ließ eines der Mädchen den Anfangston laut durch den Garten schallen, und zum dritten Male ertönte es:
»Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus.«
Doch der Ton, den Lotte angegeben hatte,