Das Buch des Kurfürsten. Marlene Klaus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marlene Klaus
Издательство: Bookwire
Серия: Kurpfalz-Trilogie
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783941408364
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Laut von sich. Hedwig hielt inne und schaute auf sie nieder. „Sind gleich daheim“, flüsterte sie.

      Jemand mit einer Laterne erschien in einigen Schritt Entfernung vor ihr aus der Schneeflockennacht. Ihr Herz schlug schneller, wachsam sah sie der Gestalt entgegen, erkannte sie zuerst an der gebückten Haltung, dann an der Stimme, als sie einen Guten Abend wünschte. Es war Margret, die alte Tapeziererin, die mit ihren vier Kindern vorm Obertor wohnte. Hedwig war erleichtert. Sie blieb stehen. Nur Nachbarn aus dem Viertel, dachte sie. Kein Grund zur Besorgnis. „Wohin noch, Wittib Margret?“

      Die Witwe bog den Kopf nach hinten und sah sie unter der Kapuze hervor an. Ein Brot wolle sie noch holen, vorne, beim Bäcker an der Kirche. Alsdann beklagte sie den früh einsetzenden Schneefall und was man da an Brennholz brauchen würde. Hedwig stimmte ihr zu und fragte anschließend: „Werdet Ihr übermorgen den Einzug dieses erstaunlichen Tieres anschauen, das man dem Kurfürsten zum Geschenk machte? Man sagt, es kommt mit einem Tataren, der einen Turban statt eines Baretts auf dem Kopf trägt!“

      „Ich lass mir doch die Wecken nicht entgehen, die der Kurfürst deshalb verteilen lässt!“, schmunzelte Margret.

      Hedwig lachte auch, rief einen Abschiedsgruß und ging weiter. Langsam, um auf dem schiefen Pflaster der Gasse nicht im feuchten Schnee auszurutschen.

      Dann ging alles sehr schnell. Unversehens stürmte eine dunkle Gestalt aus der Ecke beim Handschuhsheimer Hof. Bevor Hedwig begriff, was geschah, wurde sie festgehalten, etwas Feuchtwarmes presste sich auf ihr Gesicht, sie bekam keine Luft mehr. Sie wollte schlucken, konnte es nicht, sie merkte, wie ihr das Bündel und die Stiefel aus der Hand fielen. Sie wollte Juli an sich drücken. Jemand umschlang sie, sie konnte den Arm nicht bewegen, verlor den Sinn, das Gleichgewicht und fiel in finsterste Schwärze.

       Vier

      Alle Kanzleiknechte dienten allen Behörden, die in der Landkanzlei unterhalb des Schlossbergs ihren Sitz hatten.

      Heute Abend gab es nur einen, der allen diente.

      Und der heißt Philipp Eichhorn, dachte Philipp grimmig. Der Rest hatte sich versteckt wie Schaben, die in Holzritzen huschen. Nickel, dieser Scheißhaufen, ließ ihn den Rundgang durch die drei Hauptgeschosse der Kanzlei allein machen. Eigentlich ein Unding, er sollte dies wirklich Vizekanzler Culmann melden. Was, wenn er auf einen Eindringling stieße? Gut, das war noch nie vorgekommen, aber dennoch, es war einfach besser, zu zweit zu sein. Zumal derzeit die unterschiedlichsten Gestalten in der Stadt unterwegs waren.

      Was sollte es. Er war ohnehin fast durch. Und es war noch nicht sieben Uhr, da war er sicher. Halb sieben vielleicht.

      Vor einer Weile hatte er Registrator Heberer hinausgelassen. Er war in die Registratur gegangen, um zu fragen, ob er Tinte und Schreibzeug wegräumen sollte. Heberer hatte gerade eine Kiste auf seinen Schreibtisch gewuchtet und, als er seiner ansichtig wurde, gerufen: „Briefe der Oberpfalz. Zu sichten für die bevorstehende Abreise. Was sagt man dazu?“

      Philipp hatte Mitempfinden ausgedrückt angesichts der zu bewältigenden Arbeit. Aufarbeitung und Sichtung der alten Bestände des Archivums seien schon aufwändig genug. Nun noch diese zusätzlichen Bürden. Behutsam hatte er den Registrator auf die Bedeutung des heutigen Tages hingewiesen. Da hatte Heberer ausgerufen: „Potzteufel, ja! Ich werde Schluss machen.“

      Den Worten hatte er die Tat folgen lassen, ein rechter Mann, dieser Heberer, der umso leutseliger mit Philipp umging, seit er erfahren hatte, dass Philipp aus Hockenheim kam, wo er einen Freund hatte, den dortigen Schultheiß nämlich.

      Philipp hatte anschließend den Rundgang begonnen, obwohl er wusste, dass Advokatus Schöner noch über den Rechenbüchern saß. Er wollte zeitig fertig werden. Den Ostflügel hatte er am schnellsten durchschritten. Rats- und Hofgerichtsstube lagen ohnehin verlassen und die angrenzenden Schreibstuben ebenso. Die Räume des Kirchenrats im Westflügel hatte er anschließend überprüft, hatte über alle noch glimmenden Feuer Asche gestreut. Nun befand er sich im ersten Stock des mittleren Gebäudeteils, warf Blicke unter Tische, und das Licht seiner Laterne huschte über Holzkästen voller Briefe, über Truhen und Regale und über die Haftzettel an den Schränken der Sekretäre, die Verzeichnisse aller vordringlichen Sachen waren. Alles in bester Ordnung.

      Er stieg die Treppe ins Erdgeschoss hinunter. Sollte er in die Rechenkammer gehen und Advokatus Schöner ans Heimgehen erinnern? Womöglich war er über seinen Büchern eingeschlafen. Sein Gegrübel war unnötig. Unten angekommen hörte er Schritte, ein Lichtschein huschte heran. Die Deckenlaternen waren gelöscht. Hans hatte dies genauso übernommen wie das Fegen von Treppe und Gasse vor der Kanzlei.

      „Ah, du stehst schon bereit, Eichhorn, bestens.“ Mit diesen Worten reichte Advokat Schöner ihm die Laterne, um sich den Mantel umlegen zu können, den er über dem Arm getragen hatte. Der Mantel verhüllte alsdann Schmuckkette und Halskrause und wurde mit einem Seufzer geschlossen. Das Barett bereits auf dem Kopf, schritt der Doktor zur Tür.

      Philipp stellte die Laternen neben sich auf den Boden, fischte den Schlüsselbund vom Gürtel und schloss dem Kanzleiverwandten auf. „Einen schönen Martinsabend, Doktor Schöner.“

      Der Advokat hob die Hand zum Gruß und bedachte ihn mit einem Nicken, das „Ja, ja, schon recht“ heißen mochte, blieb auf der oberen Stufe stehen und sah müde in den noch immer fallenden Schnee. Er brummte etwas Unverständliches, während Philipp sich beeilte, eine Laterne wieder aufzunehmen, um dem Kanzleiverwandten die Stufen zu beleuchten. „Gebt acht auf den Weg, Advokatus Schöner. Wollt Ihr die Laterne nehmen?“

      Schöner winkte verneinend ab, wünschte ihm eine gute Nacht und machte sich Richtung Kanzleigasse davon. Ein kalter Wind wehte Schnee in den Flur. Die Gasse lag verlassen und leuchtete weiß. Philipp schloss die Tür und ging mit den Laternen zurück in die Schreibstube. Feierabend! Jäh fiel ihm Nickel ein. Wut und Trotz wallten in ihm empor. Vermaledeit! Kannst mich mal, Hundsfott! Er würde den Teufel tun und sich bei Nickel abmelden. Der war sicher ohnehin schon zu besoffen, um noch an seine Anweisung zu denken. Philipp warf sich seinen Mantel über, löschte die Kerzen und verließ die Stube. Er verschloss das Rundbogenportal des leicht zurückgesetzten Gebäudeteils und ging die Stufen hinab.

      Hinter dem Strebepfeiler zu seiner Linken löste sich eine Gestalt aus dem Dunkel.

      Philipp schrak zusammen. Überrascht machte er einen Schritt nach rechts. So spät noch ein Bote?, dachte er unbestimmt, bis ihm deutlich wurde, dass der Umhang des Mannes nicht der eines Boten war.

      Der Fremde warf ihm unter seiner Kapuze einen raschen, prüfenden Blick zu und raunte mit rauer Stimme: „Eichhorn, kommt hierhin.“ Er hob den Arm, die Geste wirkte eindringlich. Der Mann kannte seinen Namen? Philipp wunderte sich, folgte ihm. Drei knirschende Schritte bis zum Ersten der beiden rundbogigen Eingänge des östlichen Gebäudeteils der Kanzlei. Drei Schritte, die genügten, dass Philipp Unbehagen spürte, denn er bemerkte, wie der Mann flink die Gasse hinauf und hinunter sah. Philipp unterdrückte aufkommende Beklommenheit und bemühte sich um einen freundlichen Ton, als er sagte: „Die Kanzlei ist längst geschlossen, Herr, das wisst Ihr sicher. Wenn Ihr in Geschäften hier seid, kommt morgen früh wieder. Gegen halb acht Uhr. So es eilig ist, könnt Ihr auch um sieben bereits …“

      „Spar dir das!“, unterbrach der Mann ihn harsch, und aus seiner Stimme sprachen Kraft und Autorität. Er reckte den Hals, sah zur Gasse, zurück zu Philipp. Der spürte einen Stich in der Brust. Er war angehalten, höflich zu sein. Plötzlich schlug dieser Grobian den Mantel zurück, und Philipps Blick fiel auf das Schwert an seiner Seite.

      Er schluckte. Der Mann stand nah vor ihm, kein Schritt trennte sie, der Eingang war zu eng für zwei gleichzeitig. Was wollte er? Philipp sah ihm ins Gesicht – oder versuchte es jedenfalls. Doch die Gesichtszüge des Mannes blieben unter dessen tief heruntergezogener Kapuze verborgen. Philipps Gedanken stolperten übereinander. Gestalt und Stimme des Mannes ließen vermuten, dass er mittleren Alters war. „Wer seid Ihr, Herr?“ Philipp zwang sich weiterhin zu Freundlichkeit, obwohl ihm der Fremde deutlich zwielichtig erschien. „Ich bin Euch gerne behilflich, soweit es in meiner Macht steht“, sagte er und deutete mit einer Neigung des Kopfes seine