Seitdem man die wahren Verhältnisse der Wärme-Vertheilung auf der Oberfläche der Erde, d. i. die Inflexionen der Isothermen und Isotheren und den ungleichen Abstand derselben von einander, in den verschiedenen östlichen und westlichen Temperatur-Systemen von Asien, Mittel-Europa und Nordamerika, etwas genauer kennt; darf man nicht mehr im allgemeinen die Frage aufwerfen, welcher Bruchtheil der mittleren Jahres-oder Sommerwärme einer Veränderung der geographischen Breite von 1° entspricht, wenn man auf demselben Meridian fortschreitet. In jedem Systeme gleicher Krümmung der Isothermen herrscht ein inniger und nothwendiger Zusammenhang zwischen drei Elementen: der Wärme-Abnahme in senkrechter Richtung von unten nach oben, der Temperatur-Verschiedenheit bei einer Aenderung von 1° in der geographischen Breite, der Gleichheit der mittleren Temperatur einer Bergstation und der Polar-Distanz eines im Meeresspiegel gelegenen Punktes.
In dem ost-amerikanischen Systeme verändert sich die mittlere Jahres-Temperatur von der Küste von Labrador bis Boston jeden Breitengrad um 0°,88, von Boston bis Charleston um 0°,95; von Charleston bis zum Wendekreise des Krebses in Cuba hin wird die Veränderung aber langsamer: sie ist dort nur 0°,66. In der Tropenzone selbst nimmt die Langsamkeit dergestalt zu, daß von der Havana bis Cumana die einem Breitegrade zukommende Variation nur noch 0°,20 beträgt.
Ganz anders ist es in dem System der Isothermen von Mittel-Europa. Zwischen den Parallelen von 38° und 71° finde ich die Temperatur-Abnahme sehr übereinstimmend ½ Grad für einen Breitengrad. Da nun in demselben Mittel-Europa die Abnahme der Wärme 1° in 80 bis 87 Toisen (480 bis 522 Fuß) senkrechter Höhe beträgt, so ergiebt sich hieraus, daß 40–44 Toisen (240–264 Fuß) der Erhebung über dem Meeresspiegel dort einem Breitengrad entsprechen. Die mittlere Jahres-Temperatur des Bernhard-Klosters, das 1278 Toisen (7668 Fuß) hoch, in 45° 50’ Breite, liegt, würde sich also in der Ebene bei einer Breite von 75° 50’ wiederfinden.
In dem Theil der Andeskette, welcher in die Tropenzone fällt, haben meine bis zu 18000 Fuß Höhe angestellten Beobachtungen die Wärme-Abnahme von 1° auf 96 Toisen (576 Fuß) gegeben; mein Freund Boussingault hat 30 Jahre später als Mittelresultat 90 Toisen (540 Fuß) gefunden. Durch Vergleichung der Orte, welche in den Cordilleren in gleicher Höhe über dem Meere am Abhange selbst oder in weit ausgedehnten Hochebenen liegen, habe ich in den letzteren eine Zunahme der Jahres-Temperatur von 1°½ bis 2°,3 beobachtet. Ohne die nächtliche erkältende Wärmestrahlung würde der Unterschied noch größer sein. Da die Klimate schichtenweise über einander gelagert sind, von den Cacao-Wäldern des Tieflandes bis zum ewigen Schnee, und da die Wärme in der Tropenzone während des ganzen Jahres sich nur sehr wenig ändert; so kann man sich eine ziemlich genaue Vorstellung von den Temperatur-Verhältnissen machen, welchen die Bewohner der großen Städte in der Andeskette ausgesetzt sind, wenn man diese Verhältnisse mit der Temperatur gewisser Monate in den Ebenen von Frankreich und Italien vergleicht. Während daß an den Waldufern des Orinoco täglich eine Wärme herrscht, welche um 4° die des Monats August zu Palermo übertrifft; findet man, indem man die Andeskette ersteigt, zu Popayan (911t) die drei Sommermonate von Marseille, zu Quito (1492t) das Ende des Monats Mai zu Paris, und auf den mit krüppligem Alpengesträuch bewachsenen, aber noch blüthenreichen Paramos (1800t) den Anfang des Monats April zu Paris.
Der scharfsinnige Peter Martyr de Anghiera, einer der Freunde von Christoph Columbus, ist wohl der Erste gewesen, welcher (nach der im October 1510 unternommenen Expedition von Rodrigo Enrique Colmenares) erkannt hat, daß die Schneegrenze immer höher steigt, je mehr man sich dem Aequator nähert. Ich lese in dem schönen Werke de rebus Oceanicis Anglerius de rebus Oceanicis Dec. II. lib. 2 Bas. 1533 fol. 29 C. In der Sierra de Santa Marta, deren höchste Gipfel 18000 Fuß Höhe zu übersteigen scheinen (s. meine Relat. hist. T. III. p. 214), heißt noch jetzt eine Spitze Pico de Gaira.: »der Fluß Gaira kommt von einem Berge (in der Sierra Nevada de Santa Marta) herab, welcher nach Aussage der Reisegefährten des Colmenares höher ist als alle bisher entdeckten Berge. Er muß es ohne Zweifel sein, wenn er in einer Zone, die von der Aequinoctiallinie höchstens 10° absteht, den Schnee dauernd behält.« Die untere Grenze des ewigen Schnees in einer gegebenen Breite ist die Sommergrenze der Schneelinie: d. i. das Maximum der Höhe, bis zu welcher sich die Schneelinie im Laufe des ganzen Jahres zurückzieht. Man muß von dieser Höhe drei andere Phänomene unterscheiden: die jährliche Schwankung der Schneegrenze, das Phänomen des sporadischen Schneefalles, und das der Gletscher: welche der gemäßigten und kalten Zone eigenthümlich scheinen, und über welche, nach Saussure’s unsterblichem Werke über die Alpen, in diesen letzten Jahren Venetz, Charpentier und mit ruhmwürdiger, gefahrentrotzender Ausdauer Agassiz neues Licht verbreitet haben.
Wir kennen nur die untere, nicht die obere Grenze des ewigen Schnees; denn die Berge der Erde steigen nicht hinauf bis zu der ätherisch-olympischen Höhe: zu den dünnen, trockenen Luftschichten, von welchen man mit Bouguer vermuthen kann, daß sie nicht mehr Dunstbläschen, in Eiskrystalle verwandelt, dem Auge sichtbar darbieten würden. Die untere Schneegrenze ist aber nicht bloß eine Function der geographischen Breite oder der mittleren Jahres-Temperatur: der Aequator, ja selbst die Tropen-Region, ist nicht, wie man lange gelehrt hat, der Ort, an welchem die Schneegrenze ihre größte Erhebung über dem Niveau des Oceans erreicht. Das Phänomen, das wir hier berühren, ist ein sehr zusammengesetztes: im allgemeinen von Verhältnissen der Temperatur, der Feuchtigkeit und der Berggestaltung abhängig. Unterwirft man diese Verhältnisse einer noch specielleren Analyse, wie eine große Menge neuerer Messungen Vergl. meine Tafel der Höhe des ewigen Schnees in beiden Hemisphären von 71°¼ nördlicher bis 53° 54’ südlicher Breite in der Asie centrale T. III. p. 360. es erlauben, so erkennt man als gleichzeitig bestimmende Ursachen: die Temperatur-Differenz der verschiedenen Jahreszeiten, die Richtung der herrschenden Winde und ihre Berührung mit Meer und Land, den Grad der Trockenheit oder Feuchtigkeit der oberen Luftschichten, die absolute Größe (Dicke) der gefallenen und aufgehäuften Schneemassen, das Verhältniß der Schneegrenze zur Gesammthöhe des Berges, die relative Stellung des letzteren in der Bergkette, die Schroffheit der Abhänge; die Nähe anderer, ebenfalls perpetuirlich mit Schnee bedeckter Gipfel; die Ausdehnung, Lage und Höhe der Ebene, aus welcher der Schneeberg isolirt oder als Theil einer Gruppe (Kette) aufsteigt: und die eine Seeküste oder der innere Theil eines Continents, bewaldet oder eine Grasflur, sandig und dürr und mit nackten Felsplatten bedeckt, oder ein feuchter Moorboden sein kann.
Während daß die Schneegrenze in Südamerika unter dem Aequator eine Höhe erreicht, welche der des Gipfels des Montblanc in der Alpenkette gleich ist: und sie im Hochlande von Mexico gegen den nördlichen Wendekreis hin, in 19° Breite, nach neueren Messungen, sich ohngefähr um 960 Fuß senkt; steigt sie nach Pentland in der südlichen Tropenzone (Br. 14°½–18°): nicht in der östlichen, sondern in der meernahen westlichen Andeskette von Chili, mehr als 2500 Fuß höher als unter dem Aequator unfern Quito, am Chimborazo, am Cotopaxi und am Antisana. Der Dr. Gillies behauptet sogar noch weit südlicher, am Abhange des Vulkans von Peuquenes (Br. 33°), die Schneehöhe bis zwischen 2270 und 2350 Toisen Höhe gefunden zu haben. Die Verdunstung des Schnees bei der Strahlung in einer im Sommer überaus trockenen Luft gegen einen wolkenfreien Himmel ist so mächtig, daß der Vulkan von Aconcagua nordöstlich von Valparaiso (Br. 32°½), welchen die Expedition des Beagle noch um mehr als 1400 Fuß höher als den Chimborazo fand, einst ohne Schnee gesehen wurde. Darwin, Journal of the Voyages of the Adventure and Beagle p. 297. Da der Vulkan von Aconcagua zu der Zeit nicht im Ausbruch begriffen war, so darf man wohl nicht das merkwürdige Phänomen der Schneelosigkeit (wie bisweilen am Cotopaxi) innerer Durchwärmung (dem Ausziehen erhitzter Luft auf Spalten) zuschreiben. (Gillies im Journal of Nat. Science 1830 p. 316.)
In der fast gleichen nördlichen Breite (30°¾ bis 31°), am Himalaya, liegt die Schneegrenze am südlichen Abhange ohngefähr in der Höhe (2030 Toisen oder 12180 Fuß), in welcher man sie nach mehrfachen Combinationen und Vergleichungen mit