Die Einsicht in die Wärme-Vertheilung im Luftkreise hat einigermaßen an Klarheit gewonnen, seitdem man versucht hat die Punkte, in welchen die mittleren Temperaturen des Jahres, des Sommers und des Winters genau ergründet worden sind, durch Linien mit einander zu verbinden. Das System der Isothermen, Isotheren und Isochimenen, welches ich zuerst im Jahr 1817 aufgestellt, kann vielleicht, wenn es durch vereinte Bemühungen der Physiker allmälig vervollkommnet wird, eine der Hauptgrundlagen der vergleichenden Klimatologie abgeben. Auch die Ergründung des Erd-Magnetismus hat eine wissenschaftliche Form erst dadurch erlangt, daß man die zerstreuten partiellen Resultate in Linien gleicher Abweichung, gleicher Neigung und gleicher Kraft-Intensität mit einander graphisch verband.
Der Ausdruck Klima bezeichnet in seinem allgemeinsten Sinne alle Veränderungen in der Atmosphäre, die unsre Organe merklich afficiren: die Temperatur, die Feuchtigkeit, die Verändrungen des barometrischen Druckes, den ruhigen Luftzustand oder die Wirkungen ungleichnamiger Winde, die Größe der electrischen Spannung, die Reinheit der Atmosphäre oder die Vermengung mit mehr oder minder schädlichen gasförmigen Exhalationen, endlich den Grad habitueller Durchsichtigkeit und Heiterkeit des Himmels: welcher nicht bloß wichtig ist für die vermehrte Wärmestrahlung des Bodens, die organische Entwicklung der Gewächse und die Reifung der Früchte, sondern auch für die Gefühle und ganze Seelenstimmung des Menschen.
Wenn die Oberfläche der Erde aus einer und derselben homogenen flüssigen Masse; oder aus Gesteinschichten zusammengesetzt wäre, welche gleiche Farbe, gleiche Dichtigkeit, gleiche Glätte, gleiches Absorptions-Vermögen für die Sonnenstrahlen besäßen und auf gleiche Weise durch die Atmosphäre gegen den Weltraum ausstrahlten: so würden die Isothermen, Isotheren und Isochimenen sämmtlich dem Aequator parallel laufen. In diesem hypothetischen Zustande der Erdoberfläche wären dann, in gleichen Breiten, Absorptions-und Emissions-Vermögen für Licht und Wärme überall dieselben. Von diesem mittleren, gleichsam primitiven Zustande: welcher weder Strömungen der Wärme im Inneren und in der Hülle des Erdsphäroids, noch die Fortpflanzung der Wärme durch Luftströmungen ausschließt, geht die mathematische Betrachtung der Klimate aus. Alles, was das Absorptions-und Ausstrahlungs-Vermögen an einzelnen Theilen der Oberfläche, die auf gleichen Parallelkreisen liegen, verändert, bringt Inflexionen in den Isothermen hervor. Die Natur dieser Inflexionen, der Winkel, unter welchen die Isothermen, Isotheren oder Isochimenen die Parallelkreise schneiden: die Lage der convexen oder concaven Scheitel in Bezug auf den Pol der gleichnamigen Hemisphäre sind die Wirkung von wärme-oder kälteerregenden Ursachen, die unter verschiedenen geographischen Längen mehr oder minder mächtig auftreten.
Die Fortschritte der Klimatologie sind auf eine merkwürdige Weise dadurch begünstigt worden, daß die europäische Civilisation sich an zwei einander gegenüberstehenden Küsten verbreitet hat, daß sie von unserer westlichen Küste zu einer östlichen jenseits des atlantischen Thales übergegangen ist. Als die Briten, nach den von Island und Grönland ausgegangenen ephemeren Niederlassungen, die ersten bleibenden Ansiedlungen in dem Littoral der Vereinigten Staaten von Nordamerika gründeten; als religiöse Verfolgungen, Fanatismus und Freiheitsliebe die Colonialbevölkerung vergrößerten: mußten die Ansiedler (von Nord-Carolina und Virginien an bis zum St. Lorenz-Strome) über die Winterkälte erstaunen, die sie erlitten, wenn sie dieselbe mit der von Italien, Frankreich und Schottland unter denselben Breitengraden verglichen. Eine solche klimatische Betrachtung, so anregend sie auch hätte sein sollen, trug aber nur dann erst Früchte, als man sie auf numerische Resultate mittlerer Jahreswärme gründen konnte. Vergleicht man zwischen 58° und 30° nördlicher Breite Nain an der Küste von Labrador mit Gothenburg, Halifax mit Bordeaux, Neu-York mit Neapel, San Augustin in Florida mit Cairo; so findet man unter gleichen Breitengraden die Unterschiede der mittleren Jahres-Temperatur zwischen Ost-Amerika und West-Europa, von Norden gegen Süden fortschreitend: 11°,5; 7°,7; 3°,8 und fast 0°. Die allmälige Abnahme der Unterschiede in der gegebenen Reihe von 28 Breitengraden ist auffallend. Noch südlicher, unter den Wendekreisen selbst; sind die Isothermen überall in beiden Welttheilen dem Aequator parallel. Man sieht aus den hier gegebenen Beispielen, daß die in gesellschaftlichen Kreisen so oft wiederholten Fragen: um wie viel Grade Amerika (ohne Ost-und Westküsten zu unterscheiden) kälter als Europa sei? um wie viel die mittleren Jahreswärmen in Canada und den Vereinigten nordamerikanischen Staaten niedriger als unter gleicher Breite in Europa seien? allgemein ausgedrückt, keinen Sinn haben. Der Unterschied ist unter jedem Parallel ein anderer; und ohne specielle Vergleichung der Winter-und Sommer-Temperatur an den gegenüberstehenden Küsten kann man sich von den eigentlichen klimatischen Verhältnissen, in so fern sie auf den Ackerbau, auf die Gewerbe und das Gefühl der Behaglichkeit oder Unbehaglichkeit Einfluß haben, keinen deutlichen Begriff machen.
Bei der Aufzählung der Ursachen, welche Störungen in der Gestalt der Isotherme hervorbringen, unterscheide ich die temperaturerhöhenden und temperatur-vermindernden Ursachen. Zu der ersten Classe gehören: die Nähe einer Westküste in der gemäßigten Zone; die in Halbinseln zerschnittene Gestaltung eines Continents, seine tiefeintretenden Busen und Binnenmeere; die Orientirung, d. h. das Stellungsverhältniß eines Theils der Feste: entweder zu einem eisfreien Meere, das sich über den Polarkreis hinaus erstreckt, oder zu einer Masse continentalen Landes von beträchtlicher Ausdehnung, welches zwischen denselben Meridianen unter dem Aequator oder wenigstens in einem Theile der tropischen Zone liegt; ferner das Vorherrschen von Süd-und Westwinden an der westlichen Grenze eines Continents in der gemäßigten nördlichen Zone; Gebirgsketten, die gegen Winde aus kälteren Gegenden als Schutzmauern dienen; die Seltenheit von Sümpfen, die im Frühjahr und Anfang des Sommers lange mit Eis belegt bleiben, und der Mangel an Wäldern in einem trockenen Sandboden; endlich die stete Heiterkeit des Himmels in den Sommermonaten: und die Nähe eines pelagischen Stromes, wenn er Wasser von einer höheren Temperatur, als das umliegende Meer besitzt, herbeiführt.
Zu den, die mittlere Jahres-Temperatur verändernden, kälteerregenden Ursachen zähle ich: die Höhe eines Orts über dem Meeresspiegel, ohne daß bedeutende Hochebenen auftreten; die Nähe einer Ostküste in hohen und mittleren Breiten, die massenartige (compacte) Gestaltung eines Continents ohne Küstenkrümmung und Busen, die weite Ausdehnung der Feste nach den Polen hin bis zu der Region des ewigen Eises (ohne daß ein im Winter offen bleibendes Meer dazwischen liegt); eine Position geographischer Länge, in welcher der Aequator und die Tropenregion dem Meere zugehören: d. i. den Mangel eines festen, sich stark erwärmenden, wärmestrahlenden Tropenlandes zwischen denselben Meridianen als die Gegend, deren Klima ergründet werden soll; Gebirgsketten, deren mauerartige Form und Richtung den Zutritt warmer Winde verhindert: oder die Nähe isolirter Gipfel, welche längs ihren Abhängen herabsinkende kalte Luftströme verursachen; ausgedehnte Wälder: welche die Insolation des Bodens hindern, durch Lebensthätigkeit der appendiculären Organe (Blätter) große Verdunstung wäßriger Flüssigkeit hervorbringen, mittelst der Ausdehnung dieser Organe die durch Ausstrahlung sich abkühlende Oberfläche vergrößern, und also dreifach: durch Schattenkühle, Verdunstung und Strahlung, wirken; häufiges Vorkommen von Sümpfen, welche im Norden bis in die Mitte des Sommers eine Art unterirdischer Gletscher in der Ebene bilden; einen nebligen Sommerhimmel, der die Wirkung der Sonnenstrahlen auf ihrem Wege schwächt; endlich einen sehr heiteren Winterhimmel, durch welchen die Wärmestrahlung begünstigt wird Humboldt, recherches sur les causes des inflexions des Lignes isothermes in der Asie centr. T. III. p. 103–114, 118, 122, 188..
Die gleichzeitige Thätigkeit der störenden (erwärmenden oder erkältenden) Ursachen bestimmt als Total-Effect (besonders durch Verhältnisse der Ausdehnung und Configuration zwischen den undurchsichtigen continentalen und den flüssigen oceanischen Massen) die Inflexionen der auf die Erdoberfläche projicirten Isothermen. Die Perturbationen erzeugen die convexen und concaven Scheitel der isothermen Curven. Es giebt aber störende Ursachen verschiedener Ordnung; jede derselben muß anfangs einzeln betrachtet werden; später, um den Total-Effect auf die Bewegung (Richtung, örtliche Krümmung) der Isothermen-Linie zu ergründen,