Ralf tat’s, rauchte dazu die geschenkten Zigaretten, und als er eine halbe Stunde später aufstand, war er so müde, daß er taumelte.
Nachdem er festgestellt hatte, daß Lenore schlief, streckte er sich aufs Bett, wo er fast augenblicklich in einen bleiernen Schlaf versank.
Und somit endete das erste Weihnachtsfest in dieser jungen Ehe.
*
Ein Arzt hat es bestimmt nicht leicht, hauptsächlich dann nicht, wenn er so gewissenhaft ist, wie Doktor Skörsen es war. Daher hatte er die beiden Ruhetage, die der Chefarzt ihm Weihnachten zubilligte, auch redlich verdient und wollte sie als wirkliche Ruhetage verbringen.
Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ew’ger Bund zu flechten – sagt Schiller, und er hat recht.
Denn es war acht Uhr morgens, als die Flurglocke aufreizend schrillte und den Arzt, dem so ein Alarmzeichen geläufig war, aus dem festen, wohlverdienten Schlaf riß. Mit einem Satz war er aus dem Bett, warf rasch den Morgenmantel über, schlüpfte in die Pantoffeln, eilte zur Tür und stand gleich darauf dem Hauswirt gegenüber, der erregt sprach:
»Herr Doktor, Verzeihung! Ich weiß, Sie üben keine Praxis aus, aber meine Schwiegertochter – helfen Sie ihr!«
»Was hat sie denn?«
»Sie kriegt ein Kind.«
»Olala, ausgerechnet zu Weihnachten?«
»Es kommt nach unserer Berechnung um eine Woche zu früh, sonst hätten wir uns
besser eingerichtet.« Der alte Herr wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Sie hat wohl gestern zuviel Bowle getrunken.«
»Ist die Hebamme schon da?«
»Keine zu bekommen. Drei rief ich an – alle unterwegs.«
»Da scheint ja das Geschäft zu blühen«, schmunzelte der Arzt. »Ich ziehe mich rasch an; so schnell wie möglich bin ich unten.«
»Besten Dank, Herr Doktor, besten Dank.«
Der Mann polterte die Treppe hinunter, und Ralf schloß die Korridortür. Lenore, die den Gatten erst gar nicht zu fragen brauchte, weil sie durch die halbgeöffnete Tür das Gespräch mit angehört hatte, stellte sich schlafend, obwohl ihr sterbenselend war. Das kam wohl daher, daß sie seit vorgestern abend nichts gegessen und auf den leeren Magen die starken Tabletten gekommen hatte.
Als Ralf fort war, stand sie auf und schlich in die Küche, um sich etwas zu essen zu holen. Denn soweit sie die Schwiegermutter kannte, war diese ins Bett zurückgegangen und würde sich auch später nicht bequemen, der verhaßten Schwiegertochter gar noch das Frühstück ans Bett zu bringen. Also mußte die kranke Lenore sich selbst damit versorgen.
In der Küche, die sie immer so blitzblank gehalten hatte, sah es jetzt lustig aus. Gebrauchtes Geschirr, angebrannte Töpfe und Lebensmittel aller Art bildeten ein kunterbuntes Durcheinander. Lenore kribbelte es förmlich in den Fingern, hier Ordnung zu schaffen, aber erstens fühlte sie sich zu matt, und dann würde man ihr die Arbeit gewiß nicht danken, sondern für eine Selbstverständlichkeit halten.
Außerdem bereitete es der jungen Frau eine Genugtuung, daß die bequeme Dame nun einmal gezwungen war, den Haushalt selbst zu versorgen, noch dazu ausgerechnet am Feiertag. Lenore konnte sich denken, wie sehr Frau Rosalia das erboste.
So beeilte sie sich denn, aus der Küche zu kommen, nachdem sie eine Schnitte Brot und einen Wurstzipfel gewissermaßen stibitzt hatte. Im Bett angelangt, wollte sie es heißhungrig verzehren, doch schon nach dem ersten Bissen wurde ihr übel. Trotzdem würgte sie Brot und Wurst hinunter, in der Hoffnung, daß ihr dann besser werden würde, was jedoch nicht zutraf.
Was hatte sie nur? Sollte etwa... Es war nicht das erste Mal, daß ihr übel wurde, hauptsächlich morgens nach dem Aufstehen.
Ob sie sich Ralf anvertraute? Nein zuerst noch abwarten. Und wenn es stimmte, was sie befürchtete, wollte sie es verheimlichen, solange es ging.
Befürchten, dachte sie bitter. Eine häßliche Bezeichnung für das, worüber man sich freuen müßte.
Aber konnte sie das – hier, unter der Fuchtel einer rücksichtslosen, hochfahrenden Frau? Da würde nicht nur sie selbst zu leiden haben, sondern auch...
Weiter kam sie mit ihren trostlosen Gedanken nicht, weil der Gatte ins Zimmer kam und an ihr Bett trat.
»Ach, da sind wir ja schon wieder!« sprach er in dem Ton, den er bei seinen Patienten anzuwenden pflegte. »Wie geht es dir?«
»Danke, ich habe wunderbar geschlafen.«
»Du scheinst zu den Patienten zu gehören, die sich gesundschlafen«, stellte er lächelnd fest, nachdem er den Puls gefühlt hatte. »Das Fieber hat erheblich nachgelassen, was mich beruhigt. Denn ich kann mich jetzt nicht um dich kümmern, weil ich die junge Frau Warteck ins Krankenhaus bringen muß. Ich möchte den schwierigen Fall nicht allein übernehmen.«
»Kommst du wieder zurück, wenn du die junge Frau im Krankenhaus eingeliefert hast?«
»Ich glaube nicht. Die Ärmste bat mich so flehentlich, sie nicht zu verlassen, und sie leidet schwer.«
»Du hast doch heute deinen freien Tag.«
»Na, wenn schon«, sagte er ungeduldig. »Das verstehst du eben nicht, Lenore. Da höre ich unten die Hupe des Krankenwagens. Bleib ja im Bett, Lenore, hörst du?«
Fort war er. Und Lenore drückte das Gesicht in die Kissen und weinte bitterlich.
*
Sie schlief über alle Not und Kümmernisse hinweg, bis der keimkehrende Gatte an ihr Bett trat – müde und erschöpft von den heißen Stunden, da er der Gebärenden, die wirklich schwer leiden mußte, alle nur erdenkliche Hilfe geleistet hatte. Darüber war es Kaffeezeit geworden.
»Nun, Kind, wie geht es dir?« fragte er, dabei gewohnheitsgemäß den Puls fühlend. »Nun, schon ganz ordentlich. Irgendwo Schmerzen?«
»Nein.«
»Guten Appetit gehabt?«
»Bisher nicht.«
»Und jetzt?«
»Allerdings«, mußte sie zugeben, da sie ja außer Brot und Wurst am Morgen seit zwei Tagen nichts genossen hatte. Nun jedoch verlangte der Magen energisch sein Recht.
»Dann werde ich dir wohl was servieren müssen«, scherzte er. »Mama und Anka sind nämlich ins Kino gegangen, wie der hinterlassene Zettel besagt. Trotzdem sollst du deine Atzung haben. Nur noch ein wenig Geduld.«
Bevor Lenore ihn zurückhalten konnte, hatte er bereits das Zimmer verlassen – und sah dann in der Küche betroffen auf die Unordnung. So viel gebrauchtes Geschirr stand herum, daß nicht nur Tisch und Abwaschtisch damit vollgestellt waren, sondern auch ein Teil des Fußbodens. Aus dem Geschirrschrank dagegen, dessen Türen weit offenstanden, gähnte Leere.
Und doch fand der Sohn dafür eine Entschuldigung. Nun ja, die Mutter hatte alles allein machen, außerdem noch eine Kranke und eine Rekonvaleszentin versorgen müssen. Schließlich war sie nicht mehr die Jüngste.
Allerdings, Anka war von der Mutter gepäppelt worden – als verhätscheltes, als vielgeliebtes Töchterchen. Doch daß dieselbe Frau der Schwiegertochter weder Speise noch Trank gereicht hatte, darauf kam der arglose Mann nicht. Er nahm mit Selbstverständlichkeit an, daß Lenore zu Mittag gegessen hatte, und brachte ihr daher Kaffee nebst Kuchen ans Bett. Wohl hatte die Kranke Appetit auf ein warmes Mahl, doch sie sagte nichts, aß ein Stück Kuchen und trank zwei Tassen des belebenden Tranks.
»Ist der Kaffee gut?« fragte