»Daß Gott erbarm, so ein junges Blut«, sagte sie mit vibrierender Stimme. »Die kranke Mutter betreuen, den Haushalt besorgen, dazu noch viel lernen und das schwere Examen bestehen. Hatten Sie wenigstens genügend Geld zum Leben?«
»Für mich allein wäre es reichlich gewesen, aber ich mußte ja noch meine Mutter mitunterhalten. Zwar hatte sie die Pension, doch da sie sehr anspruchsvoll war, kam sie nie damit aus, zumal Arzt und Medikamente viel Geld kosteten. Außerdem trank sie, wozu ich ihr natürlich nicht verhalf. Sie muß jemand gehabt haben, der sie mit Alkohol versorgte, wenn ich am Vormittag im Labor war.
Gern hätte ich sie in ein Sanatorium gegeben, aber dafür reichte das Geld nicht aus.
Daß sie nun so armselig leben mußte, daran gab sie ihrem Vater die Schuld, der Frau und Kind gewissenlos verließ und mit einer anderen durchging.«
»Durchging?« wiederholte Fröke verständnislos. »Ja wissen Sie denn nicht, daß Ihr Großvater sich von seiner Frau scheiden ließ?«
»Nein. Wann soll das gewesen sein?«
»Vor fünf Jahren, als er dieses Haus gekauft hatte.«
»Aber meine Mutter schrieb mir doch, gerade an dem Tag, da ich das Abitur bestanden hatte, daß der Verrat meines brutalen Großvaters seiner sensiblen Frau das Herz brach, so daß sie bald darauf starb.«
»Auch das noch.«
»Stimmt es denn nicht?«
»Nein und das wohl nicht allein.«
Mein Gott, was werde ich denn noch alles zu hören bekommen?«
»Sie brauchen es ja nicht«, begütigte Frau Fröke, doch da begehrte das Mädchen auf:
»Ich will es aber wissen! Alles, bis ins kleinste. War mein Großvater schon frei, als er mit der anderen Frau…?«
»Schon längst, sonst hätte er sie ja gar nicht heiraten können.«
»Er, er hat noch einmal geheiratet?« stammelte das Mädchen mit zuckenden Lippen. »Wo ist denn jetzt seine Frau?«
»Er hat sie vor zwei Wochen auf dem Dorffriedhof hier begraben lassen«, sprach nun der Arzt, der sich Sorge machte. »Das war ihr Wunsch, dem er natürlich nachkam. Und nun wollen wir es genug sein lassen. Es ist für Sie schwer genug, was Sie bisher zu hören bekommen haben, mehr können Sie heute nicht verkraften. Sonst klappen Sie womöglich noch zusammen und das darf wegen Ihres Großvaters nicht sein.«
»Keine Angst, so leicht mache ich nicht schlapp«, beruhigte sie. »Das habe ich bei dem zermürbenden Leben, das ich bei meiner Mutter führte, mehr als einmal bewiesen. Weshalb mag meine Mutter ihren Vater so sehr gehaßt haben?«
»Weil sie bald nach dem Tode ihres Gatten einen Mann kennenlernte«, sprach nun wieder der Kapitän. »Einen bildhübschen Tunichtgut und Spieler, der sie so richtig ausplünderte. Doch sie war in ihn so vernarrt, daß sie ihm nicht nur ihr Vermögen bis auf den letzten Heller gab, sondern auch die Villa, Schmuck und anderes mehr verkaufte. Als er auch das Geld vergeudet hatte und außerdem noch bis über beide Ohren in Schulden steckte, verlangte Frau Freda Geld von ihrem Vater, was schroff abgelehnt wurde. Und als der gewissenlose Kerl merkte, daß bei seinem Opfer nichts mehr zu holen war, verschwand er klammheimlich. Das ist die Wahrheit. Alles andere, was Ihnen eingeflüstert wurde und was Sie in Ihrer Unerfahrenheit glaubten, ist erlogen.«
»Aber, aber, wie kann man nur so geradeaus sein«, sagte Lottchen ärgerlich, doch Fröke ließ sich nicht beirren.
»Ich habe unserem Freund Frederik versprechen müssen, alle Fäden der Intrige, mit denen man seine unerfahrene, gutgläubige Enkelin umspann, rücksichtslos zu zerreißen. Also dürfen Sie mir darum nicht gram sein…«
»Im Gegenteil«, warf Armgard gelassen ein. »Ich bin Ihnen für Ihre Offenheit sogar dankbar. Denn jetzt wird mir so manches klar, woran ich herumrätselte. So wird es wohl auch nicht wahr sein; was meine Mutter von dem verlassenen Ehemann schrieb. Stimmt es, daß er sich aus Verzweiflung über seine durchgebrannte Frau erschoß?«
»Daß er sich erschoß, stimmt. Aber nicht wegen seiner Frau, sondern weil der gemeine Kerl so in die Enge getrieben wurde, daß ihm nichts anderes übrigblieb, als zum Revolver zu greifen.«
»Danke, das genügt mir vorerst. So nach und nach werde ich wohl alles bis ins kleinste erfahren. Doch eins möchte ich jetzt noch wissen: Woher kannten Sie meine Anschrift, Herr Doktor?«
»Von Ihrem Großvater. Der wiederum erfuhr sie von seinem Bruder.«
»Onkel Jonathan? Aber der kennt mich doch kaum.«
»Weil Ihre Mutter sich mit ihm und seiner Familie überworfen hatte und deshalb auch ihre Tochter von den Verwandten fernhielt. Um keinen Ärger zu machen, ging man Ihnen aus dem Wege und besuchte Ihren Vater, den man sehr schätzte, nur, wenn seine Frau verreist war oder sich auf einer Fete befand, ohne die sie ja nicht leben konnte.«
»Und wo war ich?«
»Im Bett, da die verschwiegenen Gäste sich ja erst abends einfanden. Auch Ihr Großvater, der seinem Schwiegersohn sehr zugetan war und ihn besuchte, sofern es nur anging.«
»Und wie war das Verhältnis der Brüder zueinander?«
»Gut, was wiederum Ihre Großmutter zu hintertreiben versuchte, was ihr jedoch trotz aller Hinterhältigkeit nicht gelang. Als Frederik nach seiner Scheidung dieses Haus erwarb, waren sein Bruder Jonathan und dessen Frau hier oft zu Gast, daher sind sie uns auch gut bekannt.
Ohne daß Sie es wissen, hat Jonathan Sie auf Wunsch Frederiks regelrecht bespitzelt, und zwar während der Zeit, die Sie bei Ihrer Mutter wohnten, die er mied wie die Pest.
Also wußte er auch, daß Sie nach dem Tod der Mutter die kleine Wohnung in Bausch und Bogen verkauften und sich mit einem möblierten Zimmer behalfen. So war es leicht, Sie zu finden. Sind Sie jetzt so einigermaßen im Bilde?«
»Ja, danke. Und wo kann ich nun mein müdes Haupt betten?«
»Ich gehe mit Ihnen«, erbot sich Frau Fröke. »So ein bißchen bemuttert zu werden, wird Ihnen jetzt guttun.«
So verabschiedete sich Armgard von den beiden Herren, bedankte sich für die ausführlichen Informationen und folgte der mütterlichen Frau.
*
Als Armgard erwachte, fühlte sie sich frisch und ausgeruht. Mit einem Blick auf die Armbanduhr stellte sie fest, daß es neun Uhr war. Jetzt aber mal hurtig.
Sie schwang die Beine aus dem Bett, schlüpfte in die Pantöffelchen und sah sich in dem Zimmer um, in dem alles in lichten Farben gehalten war. So schön war alles, so elegant, so recht was für eine verwöhnte Tochter des Hauses.
Die schmale Tür führte ins Bad, das in Kacheln und Chrom nur so blitzte. Baden, nein, heute mußte alles husch husch gehen. Also duschte sie, zog sich flink an und war ihn zwanzig Minuten fertig. Weich schmiegte sich das blaue Wollkleid an den ranken Körper, das natürlich gewellte Haar gleißte wie köstlicher Bernstein, blau strahlten die Augen aus dem feinen Antlitz. Schön war sie, so eine rechte Augenweide für Schönheitskenner.
Es klopfte, und auf ihr »Herein« steckte Schwester Agnes zuerst den haubengeschmückten Kopf durch den Türspalt und trat dann ein.
»Guten Morgen, Fräulein von Hollgan. Ich wollte Sie aus dem Bett werfen, und nun haben Sie mich um das Vergnügen gebracht.
Sehen Sie mich bloß nicht so ängstlich an, unserm Kranken geht es erstaunlich gut. Er hat die Morgentoilette bestens überstanden, hat gefrühstückt und wartet nun auf Ihren Besuch.«
Als sie das Zimmer betraten, wollte der Kranke sich aufrichten, was die Pflegerin verhinderte.
»Man immer langsam, Herr Doktor, soweit sind wir denn doch noch nicht. Schauen Sie mal, wen ich mitgebracht habe, so einen richtigen