Thibault hörte das alles, antwortete aber nicht, sondern blieb in jene nachdenkliche Träumerei versunken, die bei ehrgeizigen Menschen so eigenthürmlich ist.
Und gleichwohl hatte er inmitten seiner ehrgeizigen Pläne Augenblicke der Ermüdung und des Ueberdrusses.
Er, der so oft ganze Stunden damit vertändelt hatte, die schönen und edlen Damen am Hof des Herrn Herzogs von Orleans zu betrachten, wenn sie die Freitreppe herauf oder herab gingen; er, der so oft ganze Nächte lang zu den spitzbogigen Fenstern des Schloßthurms von Vez emporgeschaut, wenn sie in festlicher Beleuchtung erglänzten, er fragte sich seht, ob das, was so oft seinem Ehrgeiz als höchstes Ziel vorgeschwebt, eine vornehme Dame und ein prächtiges Haus, einem Strohdach mit diesem holden und schönen Kind, das sich schlechtweg Agnelette nannte, an Werth gleichkäme.«
Allerdings war dieses brave Mädchen auch so hübsch, daß alle Grafen und Barone der Umgegend ihn ganz gewiß um ihren Besitz beneidet haben würden.
»Je nun, Agnelette,« sagte Thibault, »wenn z.B. ein Bursche wie ich sich zu Eurem Mann anböte, würdet Ihr ihn nehmen?«
Wir haben bereits gesagt, daß Thibault ein hübscher Junge war, daß er schöne Augen und schöne schwarze Haare besaß, daß er sich auf seinen Reisen zu Etwas mehr als zu einem gewöhnlichen Handwerker herangebildet hatte. Ueberdies wird man Leuten, denen man Gutes gethan hat, bald hold, und Agnelette hatte höchst wahrscheinlich Thibault das Leben gerettet, denn so wie Markotte zerschlug, würde der Delinquent vor dem sechsunddreißigsten Hieb gestorben sein.
»Ja,« sagte sie, »wenn er gegen meine Großmutter gut wäre.
Thibault ergriff ihre Hand.
»Nun Wohl, Agnelette,« sagte er, »wir werden darauf zurückkommen, und zwar so bald wie möglich, mein Kind.«
»So bald Ihr wollt, Herr Thibault.«
»Und Ihr müßt mir schwören, daß Ihr mich recht lieben wollt, wenn ich Euch heirathe, Agnelette.«
»Kann man auch einen Andern lieben, als seinen Mann?«
Gleichviel; ich wünschte dennoch einen ganz kleinen Schwur, der ungefähr so lauten müßte: Herr Thibault, ich schwöre Euch, daß ich nie einen Andern lieben werde als Euch.«
»Was soll ein Schwur nützen? Das Versprechen eines braven Mädchens muß einem braven Burschen genügen.«
»Und wann soll die Hochzeit sein, Agnelette?« sagte Thibault, indem er seinen Arm um die Hüfte des Mädchens zu schlingen versuchte.
Aber Agnelette entwand sich sanft.
»Kommt zu meiner Großmutter,« sagte sie; »Sie hat darüber zu entscheiden; für heute Abend aber begnüget Euch damit, daß Ihr mir meinen Bund Haidekraut machen helfet, denn es wird spät, und ich habe beinahe eine Stunde nach Preciamont.«
Thibault half ihr wirklich ihren Bund zusammen machen, und begleitete sie dann, bis man den Kirchthurm ihres Dorfes sah.
Hier bat er die schöne Agnelette so lange, bis sie ihm erlaubte, auf Abschlag seines zukünftigen Glückes einen Kuß zu rauben.
Weit mehr bewegt von diesem einzigen Kuß, als von dem doppelten des Barons, eilte Agnelette ihres Wegs, obschon die Last, die sie auf ihrem Kopfe trug, für ein so schwächlich aussehendes Mädchen viel zu schwer schien.
Thibault schaute ihr noch eine Zeit lang nach, wie sie über die Heide ging.
Die schönen Arme des verführerischen Mädchens, womit sie die Last auf ihrem Kopfe festhielt, ließen ihren Wuchs in seiner ganzen Zierlichkeit hervortreten und schienen seine Biegsamkeit und Anmuth zu verdoppeln.
Ihre seine Silhouette zeichnete sich auf eine anbetungswürdige Art am blauen Grund des Horizontes ab.
Kurz und gut, das Mädchen war beinahe schon an den ersten Häusern, als sie auf einmal hinter einer Erhöhung den Blicken Thibaults entschwand.
Dieser stieß einen Seufzer aus und blieb einen Augenblick in seine Betrachtungen versunken.
Dieser Seufzer wurde seiner Brust nicht durch den wonnevollen Gedanken erpreßt, daß dieses gute und reizende Geschöpf sein werden könne.
Nein, er hatte Agnelette gewünscht, weil sie jung und schön war, und weil es in der unglückseligen Natur Thibaults lag, alles das zu wollen, was einem Andern gehörte oder gehören konnte.
Er hatte sich unter dem Eindruck der Naivität, womit sie zu ihm gesprochen hatte, diesem Wunsch hingegeben.
Aber Agnelettes Bild war in seinem Kopf und nicht in seinem Herzen.
Thibault war unfähig, so zu lieben, wie man lieben muß, wenn man, selbst arm, ein armes Mädchen liebt, d.h. ohne etwas Anderes im Auge zu haben oder zu begehren, als volle, innige Gegenliebe.
Nein, im Gegentheil, je weiter er sich von Agnelette, von seinem guten Engel, entfernte, um so heftiger regten sich in seiner Seele die neidischen Gelüste wieder, die ihn so häufig quälten.
Es war Nacht, als er nach Hause kam.
IV
Der schwarze Wolf
Thibault ließ sein erstes Geschäft darin bestehen, daß er sich Etwas zu Gemüthe führte, denn er war sehr erschöpft.
Der Tag war ereignißreich, und unter seinen Ereignissen waren mehrere von der Art gewesen, daß er wohl einen langen Magen davon bekommen konnte.
Sein Abendbrod war bei Weitem nicht so schmackhaft, als er sich bei seiner Jagd auf den Damhirsch gelobt hatte.
Aber der Damhirsch hatte sich, wie wir bereits erzählt, von Thibault nicht erlegen lassen, und so mußte der schreckliche Heißhunger, der den unglücklichen Wilderer quälte, seinem schwarzen Brod den Damhirschgeschmack verleihen.
Kaum hatte dieses äußerst bescheidene Mahl begonnen, als Thibault bemerkte, daß seine Ziege – wir glauben gesagt zu haben, daß er eine Ziege besaß – ganz verzweifelt blöckte.
Er dachte, daß sie ebenfalls nach einem Abendbrod verlange, holte also unter dem Schirmdach einen Armvoll frisches Gras und wollte es ihr bringen.
Als er das Stallthürchen öffnete, sprang die Ziege so heftig heraus, daß sie ihren Herrn beinahe umgeworfen hätte.
Sodann jagte sie, ohne das Futter zu berühren, das Thibault ihr brachte, ins Haus.
Thibault warf seinen Vorrath zur Erde und fing das Thier ein, um es in seine Wohnung zurück zubringen. Aber es wollte ihm nicht gelingen. Er mußte Gewalt anwenden, und auch der Gewalt setzte das arme Thier die ganze Widerstandskraft entgegen, deren eine Ziege fähig ist, indem es sich auf seine Hinterbeine stemmte, während der Holzschuhmacher es an den Hörnern zerrte.
Nach langem Kampf gab sich die Ziege endlich überwunden und ging in ihren Stall zurück.
Aber obschon Thibault ihr mehr als genug Futter dagelassen hatte, stieß sie fortwährend klägliche Töne aus.
Voll Ungeduld und Aerger stand der Holzschuhmacher zum zweiten Male von seinem Tische auf und öffnete den Stall von Neuem, aber so behutsam, daß die Ziege nicht ausreißen konnte.
Dann tappte er mit seinen Händen in allen Ecken und Winkeln umher, um der Ursache dieser Beängstigung auf den Grund zu kommen.
Auf einmal geriethen seine Finger in den dicken und warmen Pelz eines fremden Thieres.
Thibault war kein Hasenfuß, nichts weniger.
Gleichwohl zog er sich eiligst zurück.
Er ging in seine Stube, nahm das Licht und kam in den Stall zurück.
Die Lampe wollte seinen Händen entfluten, als er in dem Thier, das seine Ziege so sehr erschreckt hatte, den Damhirsch des Barons Jean erkannte, denselben, den er verfolgt, gefehlt und sich im Namen des Teufels gewünscht hatte, da er ihn in Gottes Namen nicht bekommen konnte; denselben,