Gesammelte Schulhumoresken. Eckstein Ernst. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eckstein Ernst
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
isbn:
Скачать книгу
stand! Ich will nicht untersuchen, wer sich diesen sakrilegischen Akt erlaubt hat: ich überlasse den Betreffenden dem Gefühl seiner eigenen Schande. Aber traurig ist es doch, daß so etwas in einer Klasse von gesitteten jungen Leuten vorkommen kann! Pfui!«

      Ich mußte mir auf die Lippen beißen, um nicht in helles Gelächter auszuplatzen. Der Herr Pastor bemerkte es.

      »Was lachen Sie?« sagte er mit einem vernichtenden Blick auf mein unschuldiges Gesicht. »Gehen Sie hinaus: Sie sind in dieser Stimmung nicht würdig, der Schulandacht beizuwohnen.«

      »Aber Herr Pastor« … sagte ich demütig.

      »Sie verlassen das Zimmer!« wiederholte er schneidig. »Wenn Sie bei einem solchen Anlaß überhaupt lachen können, so läßt das tief blicken.«

      Ich verließ also das Zimmer, stand aber nahe genug an der Tür, um zu hören, daß der Herr Pastor noch eine längere Rede hielt. Hierauf öffnete er wieder das Gebetbuch und las ein anderes Kapitel vor, das halb so lang war, als die »Stufen des Thrones«, und schon um seiner Neuheit willen die gebührende Aufmerksamkeit fand.

      »Amen!« sagte der Herr Pfarrer wuchtig und salbungsvoll, und gleich darauf fügte er hinzu: »Sie können den Heppenheimer jetzt wieder hereinholen.«

      War das nicht ein köstlicher Streich? Aber nicht genug! Das Gerücht von dem herausgerissenen Gebet verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch alle Klassen, und ehe der folgende Morgen graute, waren die »Stufen des Thrones« aus sämtlichen Gebetbüchern entfernt! So ging dem Herrn Pastor denn ein für allemal die Möglichkeit verloren, seiner langjährigen Leidenschaft fürder zu frönen!

      Er verhängte jetzt eine umfassende Untersuchung, die jedoch ohne Resultat blieb. Wenn ich der Eventualität einer Karzerstrafe so gleichmütig gegenüberstünde, wie Schwarz oder Rumpf, die beide einen unbeschreiblichen Stoizismus besitzen, so würde ich dem Herrn Pastor ohne weiteres entgegentreten und ihm zurufen: »Ja, Verehrtester, c'est moi qui l'ai fait! Und wissen Sie, warum ich's getan habe? Weil es ein Sprüchlein gibt, das da lautet: So Ihr betet, sollt Ihr nicht plappern wie die Heiden, die da meinen, sie würden erhöret, wenn sie viele Worte machen! Weil ferner sich der Betende in sein stilles Kämmerlein einschließen soll! Und weil schließlich geschrieben steht, daß der Buchstabe tot macht, um wieviel mehr ein ellenlanges Geleier, das aus mehreren tausend Buchstaben besteht!«

      Da ich heute gerade bei der Persönlichkeit des Herrn Pastors bin, so will ich noch die Geschichte von den Bescherungen meines Freundes Boxer notieren. Die Sache ist zwar sehr einfach, aber sie hat mich königlich amüsiert.

      Vor einiger Zeit nämlich, es mögen jetzt vielleicht acht oder zehn Wochen her sein, hatten wir es eingeführt, dem Herrn Pastor jedesmal morgens bei dem Beginn der Lehrstunde eine Bescherung auf den Katheder zu setzen. Mein Freund Boxer war in dieser Beziehung der Haupt-Entrepreneur und ging dabei ebenso malerisch als humoristisch zu Werke. Der Herr Pastor entdeckte beim Eintritt in das Lehrzimmer folgende Gegenstände in zierlicher Gruppierung auf der Platte seines Lehrpultes: in der Mitte eine große, halb zerbrochene Blumenscherbe, mit zwei alten Schreibärmeln behangen, wie eine Totenurne; oben darauf eine Schneelawine (es war damals noch Winter und hatte tüchtig geschneit), recht fest geknetet und von der Form eines menschlichen Kopfes. Die Augen hatten wir aus gekautem, blauem Papier gefertigt; desgleichen die Nase; den Mund stellte ein hereingedrücktes Bleistiftchen dar. Unser Mitschüler Schwarz hatte seine brandrote Mütze hergeben müssen, auf daß sie diesem Schneekopfe zur Bedeckung diene. Rechts und links prangten zwei stattliche Haufen frischgeschlagener Chausseesteine und ein Paar alte Stiefel, die Boxer sich von dem Hausknecht im »Goldenen Pfau« hatte schenken lassen. Die Lücken unseres künstlichen Aufbaues waren mit Äpfeln und Eierschalen, rohen Kartoffeln, Besenreisern und ähnlichen Gegenständen dergestalt ausgefüllt, daß man eine Barrikade en miniature vor sich zu sehen glaubte, wie denn Boxer überhaupt viel Talent zum Kommunismus verrät. Der Herr Pastor näherte sich dieser Bescherung jedesmal mit einem Blick, als könne das Ding explodieren, bestieg den Katheder und legte dann seinen Arm links auf die Platte des Pultes. Mit einem einzigen, gewaltigen Ruck fegte er die Barrikade herunter, daß wir jedesmal Angst hatten, der Wandschrank, der rechts vom Katheder steht, möge durch den Anprall so mannigfacher Objekte zertrümmert werden.

      Die Klasse aber brach in ein diabolisches Jauchzen aus, und die Vordersten liefen herzu, um die Brocken der Schneelawine aus dem Fenster zu werfen, und besonders um die alten Stiefel in Sicherheit zu bringen, die bei jeder Bescherung aufs neue verwendet wurden.

      Der Herr Pastor beobachtete bei solchen Vorgängen stets das Prinzip des unbedingten Ignorierens. Kein Wort kam über seine Lippen: er strafte uns mit stiller Verachtung.

      Zuweilen fiel ihm das recht schwer, denn einmal hatten wir ihm einen alten, zerrissenen Familienschirm an die Lehrtafel genagelt, dessen Fischbeindrähte dergestalt über den Kathedersessel hinausragten, daß es nur bei einer eigentümlichen Haltung des Kopfes möglich war, ihnen auszuweichen. Der Herr Pastor ertrug diese Tortur mit einer bewundernswerten Geduld etwa fünf Minuten hindurch; dann sagte er dem Katheder Valet und tat, als ob er nur zur Abwechslung einmal einen anderen Standpunkt einnehme, während er bisher niemals seinen gewöhnlichen Platz hinter dem Pult verlassen hatte.

      Endlich aber zerriß auch diesem Gerechten der Faden der Geduld. Boxer hatte ihm nämlich, des ewigen Hinabwerfens müde, einen großen Eimer voll Wasser auf die Platte gestellt, dessen Fall eine wahre Sündflut herbeigeführt haben würde.

      Der Herr Pastor kam, beschaute sich das Ding mit rollenden Blicken, blähte die Nüstern, stieg wieder vom Katheder herunter, schritt zornig im Zimmer auf und ab, bestieg den Katheder von neuem und sagte endlich mit Donnerstimme:

      »Boxer, schaffen Sie das augenblicklich hinweg!«

      Ich bewunderte hier den Instinkt des scheinbar so stillen Mannes, der sofort wußte, wo er den Feind seiner Ruhe zu suchen hatte.

      Boxer erhob sich.

      »Ich?« sagte er indigniert. »Weshalb denn gerade ich?«

      »Tun Sie, was ich Ihnen sage! Augenblicklich schaffen Sie mir das Ding da fort!«

      »Wenn ich den Eimer dahin gesetzt hätte,« entgegnete Boxer, »mit Vergnügen! Aber so sehe ich in der Tat nicht ein …«

      »Augenblicklich!« wiederholte der Herr Pastor, indem er den Arm ausstreckte und die Spitze seines Zeigefingers auf den Boden richtete.

      »Gut!« sagte Boxer, »ich bin Schüler und muß gehorchen. Aber ich will mich doch einmal bei dem Herrn Direktor erkundigen, ob ich Ihnen die Eimer ausleeren muß.«

      Mit diesen Worten trat er aus den Bänken heraus und schritt langsam und würdevoll dem Katheder zu. Stirnrunzelnd ergriff er das in diesen Räumen sehr ungewöhnliche Gefäß und wußte es so einzurichten, daß er beim Herabtreten vom Katheder stolperte und langwegs ins Zimmer fiel.

      Ein Hallo sondergleichen durchbrauste die Räume Sekundas. Ich versichere bei allen Göttern, es hat ganz über alle Maßen schön geklatscht, und das Wasser floß bis in den fernsten Winkel des Saales. Die Verwirrung wurde noch dadurch gesteigert, daß einige von uns riefen, sie könnten es in einem so feuchten Zimmer nicht aushalten, sie hätten sich neulich erst erkältet, als der Pedell so unsinnig aufgewaschen, und sie bäten um ihre Entlassung. Vier oder fünf wurden in der Tat beurlaubt; dann aber wandte sich der Herr Pastor zu Boxer und sagte:

      »Boxer, ich mache Sie von jetzt an für alles verantwortlich, was in diesen Räumen geschieht. Ist morgen wieder etwas auf die Kathederplatte gestellt, so werden Sie die Folgen zu tragen haben!«

      Boxer trocknete sich inzwischen die Beinkleider und erwiderte in vorwurfsvollem Tone:

      »Also wenn der Schwarz ein Paar alte Stiefel auf den Katheder legt, dann bin ich dafür verantwortlich?«

      »Was?« rief Schwarz, »ich hätte ein Paar alte Stiefel auf den Katheder gelegt? Herr Pastor, das muß ich mir doch sehr von dem Boxer verbitten.«

      »Ich sage ja nur: wenn«, erwiderte Boxer.

      »Still,« gebot der Herr Pastor; »was ich gesagt habe, dabei bleibt es! Und nun rufen Sie den Pedell, daß er hier aufwischt!«

      Die Situation Boxers war offenbar eine