Gesammelte Schulhumoresken. Eckstein Ernst. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eckstein Ernst
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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wie der Sand am Meer,

      Zahllos wie Herrn Brömmels Kinder.

      Oder in knapperer Form:

      »Wie ist die Stadt verwaist!«

      Die Brömmels sind verreist.

      Ja, selbst ethnographische Streiflichter blitzten aus unseren geistsprühenden Epigrammen:

      »Das deutsche Volk vermehrt sich flott,

      Und Frankreich senkt beschämt die Fahne …«

      Kein Wunder das, beim ew'gen Gott!

      Herr Doktor Brömmel ist Germane!

      Unter solchen und ähnlichen Perfidien verstrich Woche um Woche, und nun ging es ungefähr, wie ich nachstehend verzeichne.

      Es war etwa in der Nachmittagsstunde zwischen zwei und drei. Doktor Brömmel erging sich gerade in einer ausführlichen Darlegung der griechischen Literaturverhältnisse seit dem Tode des Euripides … Plötzlich vernahm man an der Tür des Schulsaales ein schüchternes Pochen.

      »Herr Professor, es klopft!«

      Über die Züge Brömmels flog ein eigentümliches Leuchten.

      »So, es klopft?« sagte er mit unsicherer Stimme. »Sehen Sie einmal nach, Boxer, wer da ist.«

      Boxer ging, um zu öffnen. Im Rahmen der Pforte ward das ernste Haupt des Pedells sichtbar.

      »Ah, Sie sind es, Quaddler«, sagte der Professor, nur mit Mühe eine gewisse Erregung bewältigend. »Was wollen Sie?«

      »Herr Professor, Ihr Mädchen ist draußen, Sie möchten doch rasch mal nach Haus kommen.«

      Durch die versammelte Sekunda ging ein leises, fast unhörbares Murmeln. Boxer, der sich wieder auf seinen Platz zurückzog, streckte uns bedeutsam die Zunge heraus und zog die Brauen in die Höhe, als wollte er sagen: »Jamjam adest!« Professor Brömmel aber beauftragte den Primus, einstweilen ein Kapitel aus Xenophons Memorabilien übersetzen zu lassen, griff hastig nach Stock und Hut und eilte ins Freie.

      Sofort bemächtigten wir uns des Pedells.

      »Was ist denn los, Herr Quaddler?« riefen wir, eine naive Unkenntnis heuchelnd. »Die Frau Professorin ist doch nicht krank geworden?«

      Quaddler schüttelte unwillig das Haupt.

      »Ach, die Herren Sekundaner müssen immer ihre Possen machen«, sagte er ärgerlich. »Sie werden wohl sehr gut wissen, was geschehen ist.«

      »Aber wir haben keine Ahnung, bester Herr Quaddler!« riefen wir im Chor.

      »Ach, gehen Sie weg, ich kenne das. Seit zwanzig Jahren bin ich Pedell, und die Herren Sekundaner haben es noch jedesmal so gemacht.«

      »Das ist wohl bis jetzt in jedem Semester passiert?« fragte Boxer.

      »Herr Boxer,« sagte Quaddler sehr ernst, »ich muß mir gütigst erlauben, zu vermerken, daß ich unmöglich zugeben kann, wo es sich um den Respekt handelt, und wofern Sie immer so Narrenspossen im Kopfe haben!«

      »Aber ich frage ja nur, – ereifern Sie sich doch nicht! Also es ist wirklich was Kleines?«

      Quaddler wurde jetzt ungemütlich.

      »Wenn Sie meinen, Sie können hier Ihren Spott mit mir treiben, so muß ich mir ergebenst zu vermerken erlauben, daß Sie gütigst im Irrtum sind. Wenn der Herr Professor zurückkommen, werde ich vermelden, was vorgefallen ist.«

      »Was? Er droht?« rief jetzt eine Stimme von den hinteren Bänken.

      »'naus! 'naus!« donnerte eine zweite.

      Quaddler richtete sich hoch auf.

      »'naus, sagen Sie? 'naus? Wissen Sie was, wenn Sie mir so kommen und 'naus sagen, dann gehe ich.«

      Und hiermit machte er kehrt und verschwand im Korridor.

      Jetzt brach ein unendlicher Jubel los. Einer von uns bestieg den Katheder und machte seine Mitschüler in einer kurzen Ansprache auf das Wichtige und Erhebende des Momentes aufmerksam. Am Schluß dieser Rede betonte er die Notwendigkeit, dem gefeierten Lehrer durch eine möglichst glänzende und einstimmige Demonstration die Teilnahme der Sekunda an dem freudigen Ereignis recht unmittelbar auszudrücken. Nach längeren Debatten ward der Beschluß gefaßt, Herrn Brömmel des anderen Tages bei seinem Erscheinen im Lehrzimmer ein großes Bukett und eine ad hoc zu verfertigende lateinische Ode zu überreichen. Da wir nichts Besseres zu tun hatten, so gingen unsere berufensten Lateiner sofort ans Werk, das projektierte Festgedicht in seinen Umrissen zu Papier zu bringen. Sechs oder sieben Entwürfe gelangten zur Verlesung. Es fand sich da eine reiche Auswahl der wunderbarsten und überraschendsten Wendungen. Eine dieser Hymnen begann mit den Worten:

      Praeceptori nostro caro,

      Viro justo ac praeclaro,

      Ridet Zeus haud ita raro –

      eine Strophe, deren Schlußwendung nicht der Grazie entbehrt. Ich selbst hatte eine tiefempfundene Ode verfaßt, die mit dem Ausrufe begann:

      Iterum iterumque …

      Sie wurde jedoch von der Majorität meiner Kameraden als zu karzergefährlich abgelehnt.

      Des anderen Tages mit dem Glockenschlag neun trat Doktor Brömmel nicht ohne eine gewisse Befangenheit in das Schulzimmer. Sofort erhob sich der Primus von Obersekunda und streckte die Rechte wie zum Eidschwur nach der Decke. Auf dieses verabredete Signal brach die ganze Klasse in ein stürmisches Hoch aus: Hoch! und abermals Hoch! und zum drittenmal Hoch! Doktor Brömmel wußte nicht, ob er danken oder eine Untersuchung einleiten sollte. Ehe er sich jedoch über dieses Dilemma entschieden hatte, trat unser bester Redner aus den Bänken, schritt, in der Linken das riesige Bukett, in der Rechten die auf sauberes Velinpapier geschriebene Ode haltend, nach dem Katheder hin und begann seine Deklamation. Das Festgedicht war so eingerichtet, daß nach jeder achtzeiligen Strophe der Chor einfallen mußte, was denn auch jedesmal bestens besorgt wurde. Herr Doktor Brömmel schwankte während der ganzen Zeremonie fortwährend zwischen den verschiedenartigsten Stimmungen hin und her. Einmal biß er sich so entschieden auf die Lippe und legte die geballte Faust auf die Kathederfläche, daß wir unbedingt überzeugt waren, er würde die ganze Klasse wegen Komplotts beim Lehrerkollegium anzeigen; dann aber, unseren heiligen Ernst wahrnehmend, lächelte er still vor sich hin und gedachte an Berta, die ja in der Tat, die ja wirklich, die ja genau so, wie es in dem Festgedicht hieß, sein Haus mit Freude und Segen erfüllt hatte. Im stillen aber mochte er Gott danken, daß der ganze Umfang seines Glückes den Schülern zurzeit noch verborgen geblieben war. Hätten wir gewußt, daß sich das oben mitgeteilte Quatrain Boxers verwirklichen sollte, hätten wir geahnt, daß die Welt um zwei junge Brömmels reicher geworden war: wir würden ohne Zweifel zwei Redner ins Feld gesandt, zwei Oden gedichtet und zwei Buketts überreicht haben, eine Huldigung, deren unverkennbare Komik die Reserve, mit welcher Doktor Brömmel uns jetzt anhörte, unmöglich gemacht hätte.

      Nachdem unser Spruchvermelder seine Aufgabe erledigt hatte, sagte Doktor Brömmel mit gemessener Freundlichkeit: »Ich danke Ihnen. Wir wollen uns durch diesen Zwischenfall indessen nicht weiter stören lassen und unsere Arbeit da wieder aufnehmen, wo wir sie unterbrochen haben.«

      Es dauerte zwei Tage, bis wir erfuhren, daß die Sonne des Brömmelschen Hauses in das Zeichen der Zwillinge getreten war. Jetzt aber kannte die Flut der Epigramme, Distichen und Quatrains keine Grenzen mehr. Boxer verfertigte allein an zweihundert Vierzeiler, und da wir seine Aperçus in hohem Grade originell fanden, so beschlossen wir, dieselben auf gemeinschaftliche Kosten drucken zu lassen. Gedacht, getan. Jeder von uns bekam zwei Exemplare der köstlichen Sammlung: die übrigen zerschnitten wir in kleine Streifen, und zwar so, daß jedesmal ein Quatrain durch diese Teilung isoliert wurde, und verstreuten die eigentümlichen Bonbonzettel kurz vor dem Beginne der nächsten Brömmelschen Lehrstunde im Schulzimmer und insbesondere auf dem Katheder.

      Brömmel erschien wie gewöhnlich mit einer gewissen Schüchternheit. Der Soldat mag noch so oft den Donner der Schlachten gehört haben: beim Beginn des Gefechts verspürt er immer ein gewisses Unbehagen, das