Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild. Gustav von Bodelschwingh. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gustav von Bodelschwingh
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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war des Vaters Bruder Karl, mein späterer Schwiegervater, als Minister nach Berlin versetzt worden. Er hatte mich zum Mittagessen eingeladen, und als statt meiner die Nachricht kam, daß ich krank im Lazarett läge, hatte er meinen Vater benachrichtigt. Der Vater blieb drei bis vier Tage bei mir, bis ihn die liebe Mutter ablöste, die freilich die Pflege besser verstand als die Lazarettgehilfen, zumal sie ja den Vater so oft in der Lungenentzündung gepflegt hatte.

      Die Krankheit ging aber nicht so schnell vorüber. Durch den übermäßigen Blutverlust bei den beiden Aderlässen war eine Art Wassersucht eingetreten, zu der dann noch ein typhöser Zustand hinzukam. Doch erinnere ich mich noch mit Freuden daran, wie mich einmal ein starker Grenadier auf die Arme nahm und die drei Treppen hinunter in den Garten trug, wie er mich in einen Lehnstuhl, der zwischen blühenden Blumen auf dem Rasenplatz stand, legte und wie mich dann ein Gefühl des Dankes und der Freude über meine Genesung ergriff. Einige Wochen später wurde ich zu meinem Onkel ins Finanzministerium transportiert. Hier bekam ich mein Quartier in dem schönen Gartensaal, wo wir als Kinder so glücklich gewesen waren. Nach fünf Wochen hatte sich die Kraft so weit eingestellt, daß ich die Reise in die Heimat antreten konnte.

      Diese ernste Krankheit blieb mir ein Zeichen der Erbarmung und Freundlichkeit meines Gottes. Ich hatte ihn öfter gebeten, wenn er sähe, daß die große Stadt mit ihren Versuchungen mir gefährlich werden würde, dann möge er mich selbst hinausführen an seiner Hand. Ich konnte seine Gnadenführung deutlich erkennen. Namentlich die ersten beiden Tage im Lazarett, ehe ich die Besinnung verlor, hatten einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Ich lag ja mit den beiden Freiwilligen auf dem Krankenzimmer und zwar zwischen beiden. Der eine, der Schäferssohn aus Pommern, auch an der Brust leidend wie ich, wenn auch nicht gerade an Lungenentzündung, war freundlich, dankbar, still, ergeben, voll Lied und Lobgesang im Herzen. Der andere, ein junger Kaufmannssohn aus Elberfeld, infolge seines leichtsinnigen Lebens erkrankt, war beständig am Schimpfen und Fluchen, worüber er von meinem Nachbarn zur Linken mit großer Offenheit gestraft wurde. Als meine Krankheit zu schwer wurde, bekam ich ein Zimmer allein. Von meinen beiden Leidensgefährten habe ich nie wieder etwas gehört, aber der Eindruck blieb mir, was es doch für ein Unterschied sei zwischen einem gottlosen Menschen und einem Kinde Gottes.

      Weil meine Krankheit einen chronischen Charakter annahm, so hatte ich, als ich in die Heimat reiste, einen langen Urlaub bekommen. Aber auch jetzt wollten sich die alten Kräfte nicht so schnell wieder einstellen. Als ich mich darum nach abgelaufenem Urlaub bei dem alten Regimentsarzt stellte, erklärte mich dieser für dauernd dienstuntauglich. Doch bekam ich meine definitive Entlassung erst neun Monate nach meinem Diensteintritt und zwar, wie es in meinen Militärpapieren hieß, „als ein mit der Muskete ausgebildeter Halbinvalide”.

      Als Landwirt in Pommern. 1852–1854

      „Nun war guter Rat teuer. Was sollte weiter aus mir werden? Als ich von dem alten Doktor wieder auf die Straße kam und der Droschkenkutscher mich fragte, wohin er fahren solle, sagte ich zu ihm, das wisse ich selbst nicht. Er möge fahren, wohin er Lust hätte. So fuhr er mich auf die nahegelegene Post, und ich entschloß mich flink, da die Postpferde gerade angespannt wurden, um nach Luckau zu fahren, einen kleinen Abstecher zu meinem Freunde Ernst von Senfft zu machen, der damals auf dem Hauptgute des alten Herrn Koppe in die Lehre getreten war.

      Ernst von Senfft war in der Berliner Zeit, wo wir zusammen das Friedrich-Wilhelms-Gymnasium besuchten, mein nächster Freund geworden und seitdem auch geblieben. Die Freundschaft zu ihm war mit ein Grund gewesen, weshalb ich den landwirtschaftlichen Beruf ergriffen hatte, in der Hoffnung, mit ihm gemeinsam landwirtschaftliche Studien treiben zu können. Während der Schülerzeit hatte ich von Berlin aus meinen Freund einige Male auf das Gut seines Vaters, Gramenz in Hinterpommern, begleitet, und es bestand ursprünglich die Absicht, daß wir dort gemeinsam unsere erste landwirtschaftliche Lehrzeit zubringen sollten. Aber gerade als wir diesen Plan in die Wirklichkeit umsetzen wollten, wurde mein Freund berufen, den Prinzen Friedrich Wilhelm (unseren späteren Kronprinzen und Kaiser) nach Bonn auf die Universität zu begleiten. Auf diese Weise waren wir auseinander gekommen und freuten uns nun um so mehr des Wiedersehens.

      Ich brachte einige schöne, stille Wochen mit meinem Freund zusammen zu und lernte zugleich bei dem originellen alten Koppe manches, was ich im Oderbruch nicht hatte lernen können. Die Abende aber las ich mit Ernst Senfft, nach unserer gemeinsamen alten Jugendlust, Homers Ilias und dergl. mehr. Während unseres dortigen Zusammenseins traf eine Einladung des Vaters meines Freundes ein. Dessen Berufung als Oberpräsident von Pommern stand bevor. So konnte er sich wenig um seinen Besitz kümmern und forderte uns auf, daß wir im kommenden Frühling gemeinsam unsere bisher in der Landwirtschaft erworbenen Kenntnisse auf den Gütern in Hinterpommern verwerten sollten. Da die Ärzte vor der Hand bei dem Zustand meiner Lunge ein wissenschaftliches Studium nicht für geraten hielten, so willigte mein Vater ein.

      Um mich auf meine Tätigkeit noch weiter vorzubereiten, folgte ich der Anregung eines andern Freundes, den ich in Kienitz kennen gelernt hatte, und ging zu dessen Bruder Franz Bieler nach Machern bei Friedeberg, einem trefflichen Landwirt, in dessen Hause ich viele Freundlichkeit und Förderung genoß.

      In den ersten Tagen des April 1852 langte ich zugleich mit meinem Freunde Ernst in Gramenz an. Wir bezogen miteinander das Vorwerk Raffenberg, eine halbe Stunde von dem Hauptgute Gramenz entfernt. Raffenberg sollte von meinem Freunde Ernst bewirtschaftet werden, während mir zunächst die beiden andern Güter, Schoffhütten und Zechendorf, zugeteilt wurden, die ich von Raffenberg aus inspizieren sollte.

      Der alte Herr von Senfft hatte Gramenz in den dreißiger Jahren für 60 000 Taler erworben. Er hätte bei diesem günstigen Ankauf ein sorgenfreies Leben führen können, denn das Hauptgut, das für sich allein 500 Morgen groß war, besaß sehr alte fruchtbare Ländereien und war darum recht wertvoll. Allein der rastlose Geist des alten Herrn war darauf gerichtet, alles unbebaute Land urbar zu machen. Um das dafür nötige Vieh halten zu können, legte er großartige Rieselwiesen an, zu deren Bewässerung das Wasser in drei großen Bassins durch aufgeführte Dämme gesammelt wurde. Allein diese Anlage, die Hunderttausende verschlang, brachte den gewünschten und erhofften Ertrag nicht, zumal gleichzeitig über 100 verschiedene Häuser gebaut wurden, sowohl für die wirtschaftlichen Zweige als für die Tagelöhner. Die Wasser des pommerschen Landrückens waren zu arm und darum der Ertrag der Wiesen zu gering. Infolgedessen befand sich der alte Herr beständig in den drückendsten Sorgen. Da sollten wir jungen Leute nun raten und helfen, und die Hoffnung, die er auf uns setzte, ging dahin, daß binnen kurzem alle Sorgen von ihm genommen sein würden.

      Immerhin war, äußerlich angesehen, Gramenz ein prachtvoller Besitz, zwei Meilen (15 Kilometer) lang, eine halbe Meile (3 bis 4 Kilometer) breit, von rieselnden Bächen und anmutigen Tälern durchzogen und an seinem Rande von lieblichen Seen umgeben, die mit Buchenwald eingefaßt waren. Was aber die Hauptsache war, um den Aufenthalt für mich segensreicher zu machen als meine drei letzten landwirtschaftlichen Orte Kienitz, Wollup und Machern: es bestand von alter Zeit her ein kirchlicher Sinn in der Gemeinde, und der Pfarrer Diekmann meinte es sehr treu. In der aufs freundlichste ausgestatteten Dorfkirche wurden erquickende Gottesdienste gehalten, zu denen wir uns regelmäßig Sonntags einfanden.

      Wir beiden jungen Leute führten auf unserem Vorwerk ein eigenartiges Junggesellenleben. Die Schäfersfrau besorgte uns unsere Küche. Wir hatten jeder unser Reitpferd. Das meines Freundes hieß Soliman, meins Dido. Ich hatte es bald so gewöhnt, daß es, wenn es auf der Weide ging, auf einen Pfiff herankam und ich ihm bloß die Gerte, die ich in der Hand hatte, ins Maul zu legen brauchte. Dann ließ es sich ungesattelt in allen Gangarten reiten, indem ich es mit der Gerte, deren beide Enden ich gefaßt hatte, lenkte.

      Wir beiden Freunde sahen uns gewöhnlich nur morgens und abends, gönnten uns aber doch bisweilen in einer trauten Einsamkeit an irgend einem Bachufer ein Ruhestündchen, um unsere klassischen Studien fortzusetzen. Unsere Freundschaft war sehr innig, auch in bezug auf die äußeren Dinge. Wir waren beide genau gleich groß, sodaß uns unser Zeug gegenseitig paßte. So hielten wir denn auf völlige Gütergemeinschaft, und jeder schaffte nach seinen Mitteln etwas in den gemeinsamen Kleiderschrank an, wobei man mit Vorliebe das anzog, was der andere angeschafft hatte.

      So scharf und heiß unsere Arbeit meist den Tag über war, so fehlte es doch auch nicht an Erquickungen. Abends ritten wir oft auf unsern schnellen