Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild. Gustav von Bodelschwingh. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gustav von Bodelschwingh
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
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nicht leben. In preußische Dienste zurückgekehrt, war er schließlich Generalinspekteur der Artillerie geworden und lebte jetzt als „der schöne Diest”, wie die Berliner Jungen ihn nannten, in Berlin. Er war in der Tat eine hervorragend schöne Erscheinung, aber in dem stattlichen Manne lebte ein kindlich frommer, demütiger Sinn, der ganz mit dem Geist seiner Geschwister Bodelschwingh übereinstimmte. Seine drei Kinder standen in gleichem Alter mit den älteren Kindern des Hauses Bodelschwingh, und so oft die beiden Geschwisterkreise sich zusammenfanden, was jede Woche mehrmals geschah, gab es das fröhlichste Leben. „Denn die Diests konnten lachen aus dem Effeff.”

      Zu dem innersten Freundeskreis gehörte in den ersten Berliner Jahren besonders auch der westfälische Ober-Präsident von Vincke, dessen erste Frau eine Kusine des Ministers von Bodelschwingh gewesen war. Klein und unscheinbar von Person, war dieser Mann vor und nach den Freiheitskriegen einer der größten Wohltäter seiner engeren und weiteren Heimat geworden. Er hatte einen klaren Blick für das Kleinste und für das Größte und entwickelte bei äußerster persönlicher Anspruchslosigkeit für die wichtigsten wie für die unscheinbarsten Dinge den gleichen Eifer. An den Akten pflegte er in echt preußischer Sparsamkeit jeden freien Streifen Papier abzuschneiden, um ihn zu seinen schriftlichen Notizen zu benutzen. Im blauen Kittel, um seinen darunter befindlichen guten Anzug zu schonen, visitierte er in Westfalen die Landräte und Amtleute, reiste auch in demselben blauen Kittel von Westfalen nach Berlin. Immer führte er eines oder mehrere dieser Kleidungsstücke bei sich, um sie seinen Freunden und Bekannten zu empfehlen oder zu schenken und ihnen bei der ersten Anprobe behilflich zu sein, die bisweilen nicht ohne Schwierigkeit vor sich zu gehen pflegte, da der Kittel ohne Knöpfe war und über den Kopf fix und fertig auf den Körper gezogen werden mußte. Er konnte keine Reise von Westfalen nach Berlin unternehmen, ohne sich mit allerlei Paketen zu beladen für die in Berlin studierenden Söhne seiner westfälischen Freunde und Bekannten.

      Eine Reise, auf der Friedrich mit seinem Vater den alten aus Westfalen gekommenen Oberpräsidenten nach Eberswalde begleitete, blieb ihm unvergeßlich. Nachdem die Dienstgeschäfte erledigt waren, durcheilte der kleine über siebzigjährige Mann die Stadt, um die westfälischen Schüler der dortigen Forstakademie aufzusuchen und sich von ihnen Grüße und Aufträge für ihre Verwandten nach Münster zu holen. Als er 1844 starb und auf seinem Gute „Haus Busch” im westfälischen Lennetal begraben wurde, setzte man ihm auf seinen Grabstein nur die Worte: Vixit propter alios – er lebte für andere.

      In demselben Sinne hatten auch Bodelschwinghs ihr Leben eingerichtet. Darum ging es im Hause einfach und sparsam zu. Wenn es freilich galt, bei festlichen Gelegenheiten den Staat zu vertreten, wurde nicht gespart. Der junge Friedrich hatte den Kandidaten, der seinen jüngeren Bruder unterrichtete, bisweilen auf seinen Gängen zu armen Leuten begleitet. Bei der Rückkehr nach Hause fiel ihm der Abstand zwischen den behaglichen und stattlichen Räumen seines Elternhauses und den Stuben der armen Leute schwer aufs Herz. Und einmal, als die Tafel für Gäste des Finanzministeriums festlich gedeckt und mit allerlei Prunkgeschirr und köstlichen Speisen besetzt war, fing der Knabe bitterlich an zu weinen im Gedanken daran, wie reichlich es hier zuging und wieviel statt dessen die armen Leute entbehren mußten. In beiden Fällen kostete es die Mutter Mühe, ihn über diesen Unterschied, unter dem er litt, zu beruhigen.

      Bedeutsam für Friedrich v. Bodelschwingh und seine spätere Arbeit wurde es auch, als 1845 an einige Gymnasien und an die Kadettenanstalten die Aufforderung kam, zu Gespielen des Prinzen Friedrich Wilhelm, des Sohnes des Prinzen von Preußen, geeignete Altersgenossen vorzuschlagen. Unter den Vorgeschlagenen war auch der junge Bodelschwingh. Mit sieben oder acht Kameraden fand er sich von nun an wöchentlich einmal, namentlich Sonntags, bei dem jungen Prinzen ein, im Winter in Berlin, im Sommer in Babelsberg bei Potsdam.

      Er erzählt darüber: „Wir waren zumeist zwischen 14 und 15 Jahren alt. Jedesmal, wenn ein neuer Gespiele hinzukam, begrüßte ihn der Prinz auf das zutraulichste und bot ihm gleich das Du an. Im Winter tummelten wir uns in dem geräumigen Turnsaal. Im Sommer, in Babelsberg, war unser Treiben meist noch viel freier und fröhlicher, weil wir nicht so unter den Augen des Generals von Unruh, des Gouverneurs des Prinzen, waren. Hier wurden nicht nur die gewöhnlichen Laufspiele gespielt, sondern wir durften uns wohl auch die Pferde aus dem Stall holen, große und kleine, und so, beritten, allerlei Spiele spielen, die sonst Knaben zu Fuß zu treiben pflegen. Am meisten Freude machte uns die kleine Flotte auf dem See, mit der wir unsere Seeschlachten lieferten. Ich erinnere mich noch, wie wir eines Tages den Prinzen Friedrich Karl angriffen, der eine kleine Fregatte kommandierte. Aber bei dem Versuch, mit meinem Freunde Zastrow zusammen die Fregatte zu entern, wurden wir von dem Prinzen durch verschiedene Eimer Wasser in die Flucht geschlagen.

      Unser Prinz Friedrich Wilhelm war wohl der gesittetste unter uns Knaben, der in keiner Weise uns seine hohe Geburt fühlen ließ, sondern ganz wie mit seinesgleichen seine Spiele mit uns trieb und sich von uns Kleinen etwas gefallen ließ, da wir zumeist gelenkiger und hurtiger waren als er. Öfter kam auch Emanuel Geibel, um mit uns kleine Aufführungen einzuüben.”

      Aber die tiefsten Erinnerungen und Einflüsse blieben doch auch in dieser Berliner Zeit dem Elternhause vorbehalten. Die Ministerin sah es bei dem mühevollen und unruhigen Leben ihres Mannes als ihre Hauptaufgabe an, Frau und Mutter des Hauses zu sein. Darum hatte sie sich schon bald nach ihrer Ankunft in Berlin, unter Hinweis auf ihren kränker werdenden Sohn Karl, beim König und der Königin die Erlaubnis ausgebeten, den Hoffestlichkeiten fern bleiben zu dürfen. Ihr Mann konnte sich diesen natürlich nicht entziehen. Aber ehe er ins Schloß fuhr, pflegte er vorher mit den Seinen die Abendandacht zu halten. Dann meldete er sich beim König und der Königin, ging nacheinander, bald den einen, bald den andern anredend, durch die Reihe der Festsäle, und manchmal, noch ehe die Kinder eingeschlafen waren, hörten sie den Wagen ihres Vaters wieder zurückkommen. Dann fand ihn der Rest des Abends wieder an seinem Schreibtisch; und früh um fünf Uhr war er aufs neue bei der Arbeit.

      Nachmittags aber, nach dem einfach und eilig eingenommenen Mittagbrot und der kurzen daran sich anschließenden Ruhepause, fand sich die ganze Familie zum Kaffee zusammen, im Sommer im Garten, im Winter im geräumigen Saale. Dann gehörte der Vater ganz seinen Kindern, scherzte und tollte mit ihnen in größter Heiterkeit, als wenn niemals die ungeheure Last seines Amtes auf ihm gelegen hätte. Und wenn gelegentlich einmal sein Bruder Karl dazu kam, der ihm später im Finanzministerium folgte, dann mischte auch dieser sich in das fröhliche Spiel, und die Kinder sahen zu, wie die beiden schon ergrauten Brüder sich mit Kissen warfen. In der Erinnerung an solche Stunden sagte später der Sohn: „Ich glaube nicht, daß es einen so edlen, glücklich veranlagten Mann wie unseren Vater noch einmal gab.” Die Brüder unterhielten sich einmal über ihn. Der eine: „Solchen Menschen wie Vater gibt es nur einmal in Preußen!” Der zweite: „In Preußen? In Deutschland!” Der dritte: „In Deutschland? Nein, in Europa!” „Und”, fügte die Tochter hinzu, „dabei war er ein strenger Vater.”

      Auch die Dienstboten nahmen an diesem Glück des Hauses teil. Durch den treuen Pastor Smend von Lengerich, der durch seine Briefe der seelsorgerliche Freund des Hauses geblieben war, wurde die Verbindung mit dem Tecklenburger Land wach erhalten, und mehr wie ein Tecklenburger Kind trat in Berlin in die Dienste des früheren Landrates und seiner Frau und wurde, auch wenn es sich verheiratet hatte, nicht vergessen, sondern als bleibendes Glied des Hauses angesehen.

      Aber ohne seine Bürde war das Glück des Hauses nicht. Das ernste Leiden des dritten Sohnes Karl führte zu dauerndem Siechtum. Nie dachte die Mutter, obwohl sie selbst die Kaiserswerther Schwestern in die Charité eingeführt hatte, daran, sich eine Diakonisse zu Hilfe zu nehmen. „Die Schwestern gehören den Armen”, pflegte sie zu sagen. Die Kranken im eigenen Hause pflegte sie selbst. So hatte sie einen schwindsüchtigen Studenten aufgenommen und bis zum Tode gepflegt und blieb nun auch die Pflegerin ihres Sohnes, der in kindlichem Glauben sein Ende erwartete, bis seine Mutter ihm die Augen zudrücken konnte.

      Auch ihr Bruder, der General von Diest, siechte dahin, und auch bei ihm, der seit langem Witwer war, hielt sie in treuster Pflege bis zuletzt aus. An dem Tage, an dem er starb, schrieb sie in ihr Tagebuch: „Todestag? – Gott sei Dank, daß ich mit Gewißheit sagen darf, nicht Todestag, sondern seliger Heimgang meines treuen, noch einzigen Bruders Heinrich. Sein großes schweres Leiden machte ihn keinen Augenblick zweifelnd an der Liebe seines Gottes. Des Herrn Kraft ist in dem Schwachen mächtig,