7. Erstes politisches Wirken. Eigene Häuslichkeit
(1837. 1838)
Selten hat ein Land in den ersten Jahren seiner constitutionellen Aera so wenig politische Regsamkeit gezeigt, als das Königreich Sachsen. Im Jahre 1831 war die Verfassung gegeben worden. In den andern deutschen Staaten, namentlich in Süddeutschland, waren die ersten Jahre des constitutionellen Lebens für die Betheiligung der Bürger an öffentlichen Dingen die lebendigsten und fruchtbringendsten gewesen. In Sachsen dagegen verhielt sich der Unterthan im ersten halben Jahrzehnt des Verfassungsstaates fast so ruhig und langweilig, wie in den vergangenen Tagen des absoluten Königthums. Mannigfache Gründe wirkten hierfür zusammen. Schon der erste Landtag des neuen Verfassungsstaates hatte eine lebhafte Reaction am Werk gefunden: die Bundesbeschlüsse von 1832 standen in frischer Wirksamkeit, die Presse war noch mehr gefesselt als zuvor, weit wurden die Rechte der Krone, eng diejenigen der Landtage überall ausgelegt. Zudem war den Mißständen, welche in Sachsen die Bewegungen von 1830 hervorgerufen hatten, schon durch die Verfassung im Wesentlichen abgeholfen und das erleuchtete humane Ministerium Lindenau arbeitete eifrigst daran, alle noch unerledigten gerechten Wünsche des Landes auf dem Wege der Gesetzgebung zu befriedigen. Dem Ackerbau wurden die drückenden Lasten abgenommen, eine neue Städte- und Landgemeindeordnung gab den städtischen und ländlichen Gemeinden die Anfänge der Selbstverwaltung. Die ungeheuren Vorrechte des Adels wurden überall zum gemeinen Nutzen beschnitten. Außerordentlich bedeutend und epochemachend sind die Reformen des Rechtslebens, die Sachsen dieser Zeit verdankt. Die Finanzen des Staates erfreuten sich einer blühenden Lage; durchaus loyal gestaltete die Regierung den Ständen die verfassungsmäßige Feststellung und Controle des Staatshaushaltes. Ueberall ergreift die Regierung in diesem Zeitraum die Führung zu Reformen, gestützt durch das bürgerliche, oft auch durch das bäuerliche Element der Kammern, häufig gehindert und fast immer befehdet durch den Adel der ersten und zweiten Kammer. Die Regierung selbst erkennt schon in den ersten Jahren die schweren Fehler des Wahlgesetzes. Streng nach Standes- und Klasseninteressen sind beide Kammern zusammengesetzt. In ungeheurer Mehrheit befindet sich das Element des ländlichen Grundbesitzes. Der schwere Fehler, an dem noch heute die Sächsische Gesetzgebung in allen Zweigen krankt, daß sie von Bauern für Bauern gemacht wird, trat damals besonders grell hervor. Die Intelligenz, der selbstlose patriotische Idealismus fanden kaum Zutritt zur Kammer nach diesem Wahlgesetz, nach dem der Stand den Standesgenossen, und zwar immer aus dem eigenen Wahlkreise (!), wählen mußte. Die Kammerverhandlungen der ersten Jahre nach 1831 zeigen daher fast überall nur Standeshader, höchst selten die Erörterung wichtiger politischer Princip- oder Freiheitsfragen.
Das wurde schon in etwas anders, als das rührige Voigtland, das schon 1831 einen Preßverein nach dem Muster der süddeutschen gegründet hatte, im Jahre 1836 die Abgeordneten Carl Todt (Bürgermeister von Adorf) und von Dieskau (Advocat und Patrimonialrichter aus Plauen) in den Landtag sandte. Sie durchbrachen zum ersten Male die landesübliche Nüchternheit und Genügsamkeit und ließen zum ersten Male im „Landhaussaale“ zu Dresden jenen Ton des schwungvollen, kühnen und rücksichtslosen Liberalismus vernehmen, der bisher nur aus weiter südlicher Ferne nach Sachsen herübergedrungen war. Und wenn auch die beschränkte Bureaukratie und Aristokratie, welcher hauptsächlich die Gegnerschaft dieser jungen Opposition galt, sich über die Kleinheit dieser Fraction vorläufig nur lustig machte, so erweckte doch die Unverzagtheit und Ueberzeugungstreue, das unleugbare Geschick dieser Redner überall im Lande den freudigsten Wiederhall und regte an zur Bildung thätiger, die Opposition im Lande verstärkender politischer Kreise.
Aus dem großen, mehr zufällig zusammengewürfelten Kreise der Leipziger Bekanntschaften hatte Robert Blum allmählich einen kleineren Ring wirklicher Freunde ausgesondert, mit denen er und die mit ihm immer inniger zusammenwuchsen. Harmlose gesellige Heiterkeit hatte die jungen Männer anfangs zusammengeführt. Bald aber wurden die allgemeinen Angelegenheiten der Stadt, des Landes, des großen deutschen Vaterlandes in den Bereich der Verhandlungen gezogen und ernsthaft durchgesprochen; gemeinsam wurde zu wichtigen Tagesfragen Stellung genommen und in bestimmtem Sinne Einwirkung auf die öffentliche Meinung beschlossen, durch die Presse, durch persönliche Agitation in der Bürgerschaft, durch Betheiligung der Freunde an öffentlichen Festen mit patriotischer Tendenz. In diesem engeren Kreise verkehrten die Schriftsteller Hermann Marggraff, Carl Herloßsohn, Th. Hell, der feurige Julius Mosen, so oft er Leipzig berührte, der kenntnißreiche, ruhig erwägende Karl Andree, der joviale gottbegnadete Componist Lortzing und Kapellmeister Stegmeyer, der blinde Dichter Dr. Theodor Apel, der eifrig zur Localgeschichte der großen Völkerschlacht sammelte; sie Alle patriotisch bewegt, wenn auch der practischen Politik ihrer Natur oder ihrer Berufsthätigkeit nach nicht unmittelbar zugewandt. Auf ein unmittelbares politisches Wirken dagegen drängten andere Genossen dieses Freundeskreises: der feurige Dr. Georg Günther, Mitredacteur der Leipziger Allgemeinen Zeitung, nicht minder der von allen Revolutionen hoch begeisterte junge Historiker Burkhardt, der eben an seiner Geschichte der neuesten Zeit arbeitete, lange Jahre das beste Buch dieser Art, bis es durch die archivalischen Forschungen späterer Geschichtsschreiber in Schatten gestellt wurde; außerdem der bescheidene, fleißige und opferfreudige Journalist Carl Cramer; der gelehrte und in allen öffentlichen Dingen eifrig und scharfsinnig thätige junge Privatdocent der Rechte Dr. Schaffrath; die patriotischen jungen Advocaten Dr. Hermann Joseph und Dr. Rudolf Rüder, der formgewandte feine Buchhändler Robert Friese, der bald nachher es wagte, in den „Sächsischen Vaterlandsblättern“ das erste Sächsische Blatt herauszugeben, das, ganz unabhängig von der Regierung[19], die radicalen Wünsche des jungen Deutschlands und des vorgeschrittenen Sächsischen Liberalismus laut werden ließ. Bald, zu Anfang der 40er Jahre, war dieses Blatt die gelesenste politische Zeitung Sachsens, Blum einer der fleißigsten Mitarbeiter desselben.
Es darf nicht wunder nehmen, daß die ersten Schritte in das politische Gebiet, welche dieser Freundeskreis that, der Ermunterung und theilnehmenden Förderung patriotischer Feste galten. Haben wir Deutschen doch noch mehr als zwanzig Jahre später, vom Ausgange der Reaktionszeit 1859 an bis zum Kriege des Jahres 1866 in solchen patriotischen Festen die geeignetste Form gesehen, um vaterländische Gesinnungen und Wünsche auszusprechen und nationalen Sinn in den Massen zu fördern. In dieser Absicht wurde von Blum und seinen Freunden alljährlich das Constitutionsfest gefeiert, zu Schützenfesten angeregt und vor Allem die für den 6. November 1837 projectirte Einweihung des Gustav-Adolph-Denkmals bei Lützen zu einem großartigen vaterländischen Volksfeste gemacht. Selbst ein so rein sächsisches Gemüth wie das Große’s hat in seiner Geschichte Leipzigs mit Rührung bekannt, wie mächtig der Hauch deutschen Geistes an jenem Festtage zu spüren gewesen und daß diese Richtung der Feststimmung vor Allem Leipzig zu danken gewesen sei[20]. Schon wochenlang vorher hatten Blum und seine Freunde in diesem Sinne gewirkt. Wir besitzen eine höchst weihevolle Schilderung des Festes aus Blum’s Feder[21], aus der hier einige der characteristischsten Stellen folgen mögen:
„So ist er denn glücklich vorüber der feierliche Tag, der die Völker zweier Nachbarländer in eine ungewöhnliche Bewegung setzte und im ganzen norddeutschen Vaterlande einen freudigen Anklang fand, oder doch finden sollte. Himmel und Erde schienen sich verschworen zu haben, das Fest zu stören; in Leipzig stürzte am Abend vorher die Brücke zusammen, über welche die ganze Karawane der Theilnehmer ziehen mußte, und am Morgen regnete der Himmel unbarmherzig herab auf den langen Zug der Fahrenden und Gehenden und machte ein so unfreundliches Gesicht, daß man glauben mußte, er wolle allein trauern an diesem Tage. Aber es war nur Verstellung; der Himmel hatte uns eine Ueberraschung vorbehalten und gab ohne Subscription und königliche Beisteuer eine Darstellung des 6. Nov. 1832 aus eigenen Mitteln, denn die Geschichte erzählt uns ja, daß an diesem Tage der Himmel in einen grauen Nebelmantel gehüllt war bis gegen Mittag, und dann erst Licht herabsandte auf die kampfdürstenden Schaaren, daß sie sich erkennen und erfassen konnten… Viele mochten den Sinn der Feier fühlen, für den Gedanken der Religionsfreiheit, der sich an den Schwedenkönig knüpft, begeistert sein; allein an den Ausspruch einer Begeisterung ist die deutsche