Die Hallig. Johann Christoph Biernatzki. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johann Christoph Biernatzki
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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Reize zu fesseln, obwohl ihr ganzes Benehmen von einer Absichtlichkeit geleitet wurde, zu welcher sonst nur eine Kokette und nie eine wahrhaft Liebende fähig ist. Godber hing mit stummem Entzücken an dem Anblick der lieblichen Erscheinung. Festgebannt auf der Stelle, wo er stand, sah er sie mit einem Blicke auf sich zuschweben, der alle Tiefen seiner Seele durchdrang. Wie sie nun seine Hand faßte, sie an ihre Brust drückte und mit schmelzenden Tönen und dem traulichen Du fragte: „Godber, mein Retter, wie konntest Du uns so früh verlassen ohne meinen Dank für den Morgen zu erwarten, den ich ohne Dich nie gesehen?“ Da wäre er fast ihr zu Füßen gesunken, und Idalia feierte den vollständigsten Sieg, der ihr, wie das zufriedene Lächeln um ihre Lippen verkündete, auch nicht unbemerkt blieb. An ihrer Seite mußte er sich niedersetzen, während Maria, scheu und verlegen und plötzlich verstummt in der Nähe der Fremden, ihr gegenüber kaum sich zu setzen wagte und nur halbe Blicke zu Idalia aufrichtete, deren zarte Schönheit und deren ihr wohl bekannte und doch wieder fremdartige Tracht ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie konnte sich eines unheimlichen Gefühls nicht erwehren, das mehr war, als bloße Befremdung über die ungewöhnliche Erscheinung und über das zutrauliche Benehmen der Fremden gegen Godber. Sie mußte unwillkürlich die bei weicher Fülle schlanken Formen und die blendenden Reize Idalia’s mit dem eignen, von der Sonne gebräunten Antlitz, den von anstrengender Arbeit zeugenden Armen und Händen und der gedrungenen, nur Rührigkeit und Gewandtheit versprechenden, aber keineswegs in stolzer Hoheit imponirenden Gestalt vergleichen. Sie, unter den Halligmädchen leicht die Schönste, stellte sich in ihrer Bescheidenheit tief unter die Fremde, tiefer wohl noch, als sie wirklich zu stehen verdiente. Was Godber’s kalte Erwiderung auf die Aeußerungen ihrer Freude beim Wiedersehen nicht zu wecken vermocht hatte, das drängte beim Anblick der Fremden sich ihr auf: Zweifel an des Verlobten Treue. Und nicht Idalia’s Benehmen gegen Godber war es allein, das solchen Stachel in ihr Herz drückte, sondern die Eifersucht der Liebe, die auch dem einfachsten Mädchen einen nicht leicht zu täuschenden Scharfblick leiht, wenn sie mit dem Geliebten in der Nähe eines andern weiblichen Wesens weilt, würde ihr, auch ohne die Zutraulichkeit der Fremden gegen den Jüngling, manche ihr unwillkommene Bemerkung aufgedrungen haben. Maria’s Herz sollte bald ganz gebrochen werden.

      „Wer ist das liebe Mädchen?“ fragte Idalia mit dem freundlichsten Tone, der aber mit einem scharfen, forschenden Blicke auf Godber begleitet war, als wüßte sie schon, wie viel ihr an der Antwort gelegen sei.

      Maria errötete tief, sah aber doch dabei mit einem gewissen Trotz zu der Fremden auf. Godber erglühte noch tiefer; sein Auge senkte sich zu Boden, und seine Stimme zitterte, als er erst nach einer Pause antwortete: Maria Nommens. – Er schien noch etwas hinzusetzen zu wollen, aber – er schwieg. Maria horchte noch eine tötliche Minute lang, aber – er schwieg. Da sank sie bleich in sich zusammen, preßte die Hand auf’s Herz, in welchem alle Pulse stockten, und sah und hörte nun nichts weiter. Daß er nicht hatte hinzusetzen können oder wollen: meine Braut! das war für sie genug zur Entscheidung ihres Geschicks. Mit diesem seinem Schweigen war das Glück ihres Lebens vernichtet. Sie wußte nun, daß sie ihn verloren. Idalia ahnete wohl etwas von den Verhältnissen. Ihr konnte die Bewegung Beider nicht entgehen; aber die Freude, Godber für sich gewonnen zu haben, überwog fast ganz ihr Mitleid mit der armen Maria. Auch Godber fühlte, wie er durch das Verschweigen seines Verhältnisses zu Maria schon Alles gesagt habe, und dachte gar nicht daran, wie ja möglicherweise sie gar keine Bedeutung auf dies Verstummen gelegt habe. Er wagte es nicht, aufzusehen und saß in der peinlichsten Unruhe da, woraus er erst durch die Frage Mander’s: „ob er nichts von dem Schiffe gesehen?“ zu seiner Freude gerissen wurde. Er erzählte nun, indem er aufsprang, mit einer Hast und mit einer Teilnahme, die mit seinem bisherigen Stillschweigen über diesen Gegenstand gar nicht zu vereinigen war, was er gesehen und wie die Zurückgebliebenen wohl ihren Tod in den Wellen gefunden hätten.

      Alle beschlossen jetzt nach dem Wrack hinzuwandern. Maria folgte allein und langsam nach. Sie sah nur noch, wie an dem oben bezeichneten Steg Idalia vor dem Schwindel erregenden Uebergang zurückbebte und nach mehreren vergeblichen Versuchen, von Godbers Hand geführt, hinüberzugehen, zuletzt ihren Arm um seinen Nacken schlang, und so, von ihm getragen, das jenseitige Ufer erreichte. Nun flossen ihre Thränen ungehemmt. Sie dachte nicht mehr daran, den Andern zu folgen, sondern wankte, bei ihrer Wohnung angekommen, die Werfte hinauf und warf sich laut weinend auf ihren Sitz nieder.

      Maria blieb mit ihrem Schmerz allein. Ihre Mutter hatte die Neugierde an den Strand geführt, wo schon fast alle Bewohner der Hallig versammelt waren.

      Als Godber sich mit den Freunden dazu gesellte, wurden nach der ersten herzlichen Begrüßung des glücklich Wiedergekehrten Anstalten gemacht, ein Boot über den Schlick hinauszuziehen bis dahin, wo das Wasser tief genug ward, es mit seiner Bemannung zu tragen. Von dieser wurde das halb mit Wasser gefüllte Wrack bestiegen, und auf das Genaueste untersucht. Wie von lebenden Wesen fand man auch von Leichen keine Spur. Wahrscheinlich war beim Kentern des Schiffes der Kapitän mit seinen Leuten durch die Gewalt der Wogen vom Verdeck hinweggerissen, und es stand zu erwarten, daß in einer der nächsten Flutzeiten die Leichen ans Land getrieben werden würden. Einiges Wertvolle wurde sogleich mitgenommen, und Godber vergaß nicht, für Idalia eine Kiste mit Südfrüchten und einen Korb, worin ein paar Bouteillen süßen Weins verpackt waren, beizufügen. Die Bergung der übrigen Ladung, die größtenteils aus Fässern mit Wein und aus Citronenkisten bestand, wurde dadurch vorbereitet, daß mehrere Schiffsseile, um die Stümpfe der Masten und um andere Teile des Wracks geschlungen, mit dem andern Ende am Strande befestigt werden sollten.

      Während die Zurückgekommenen Alles berichteten, wie sie Schiff und Ladung gefunden, und Mander, der Vater, dann mit den Leuten um den Berglohn sprach, worüber sie aber zu seiner Verwunderung jede eigentliche Unterhandlung verwarfen und Alles in seinen guten Willen stellten, wobei sie ihm ihre besten Dienste mit einer Herzlichkeit gelobten, die für die Aufrichtigkeit ihrer uneigennützigen Gesinnung sprach, hatte Idalia, mit Hülfe ihres nach einer, wie er sagte, menschlichen Erquickung begierigen Bruders, das Kästchen mit Apfelsinen und eine Flasche Wein geöffnet, aus welcher Oswald sogleich ein paar kräftige Züge that. Darauf schälte sie mit ihren weißen Fingern eine der süßen Früchte ab, teilte sie mit gewandter Kunsterfahrung in zwei Hälften und bot Godber mit dem freundlichsten Dank für seine Aufmerksamkeit die eine Hälfte. Lächelnd schlürfte auch sie dann aus der Flasche und reichte sie ihm mit der Bitte, den labenden Trunk nicht zu verschmähen, wenn er auch dadurch mit ihren Lippen mittelbar in Berührung käme. Des beglückten Jünglings Lippen waren wie festgebannt auf der Stelle, wo ihr Mund gesogen, und erst Idalias Frage: warum er nicht daran gedacht habe, lieber ihren Koffer mit ihren Kleidern mitzubringen? riß ihn aus seiner Begeisterung.

      „Ach,“ sagte er, „ich möchte Sie nie in einer andern Kleidung sehen, als in dieser Kleidung meiner Heimat.“

      Er errötete selbst vor dem Geständnis, das in diesen Worten lag; Auch Idalia’s Wangen färbten sich höher, und erst nach einer Pause erwiderte sie mit leiser Stimme, indem sie sich voll Anmut zu ihm neigte:

      „Ich werde keine andere mehr tragen, so lange es Dir Freude macht. Aber Ihr seid auf diesem Eilande, wie ich glaube, Alle mit einander verwandt oder verschwägert, denn ich habe noch keine andere Anrede gehört, als das liebe Du. Nimmst Du mich nun als ein Mädchen Deiner Hallig an, warum denn mir allein das kalte Sie?“

      Ueberraschung und Schauer des Entzückens verschlossen Godber den Mund. Eine Sekunde noch ruhte sein Auge fragend an ihrem Blick; doch der weiche Anhauch einer tiefern Empfindung lag zu deutlich in diesem freundlichen Lächeln, in dieser lieblichen Stimme. Er konnte nicht länger zweifeln an der Erfüllung seiner kühnsten Hoffnungen. Als jetzt die langen, seidnen Wimpern sich niedersenkten, um gleichsam das Auge zu strafen, weil es zu viel verkündet, als die enger angezogenen Lippen die Furcht, mehr zu sagen, und zugleich die Erwartung, wie das Gesagte aufgenommen würde, anzudeuten schienen, da riß es ihn allmächtig hin zu ihren Füßen. Sie aber scheute die Nebenstehenden, und schnell besonnen, obwohl überrascht durch die leidenschaftliche Bewegung des jungen Mannes, ergriff sie seine Hand, und mit einer leichten Wendung von ihm führte sie ihn in seine Schranken zurück. Wer aber konnte es dem Liebetrunkenen wehren, in ihren Händedruck, wie in den Blick, der diesen begleitete, ein antwortendes: „Dein!“ hineinzulegen? Sie rief nun ihren Vater herbei und forderte ihn auf, an der Labung Teil zu nehmen, mit welcher Alicante den Strand einer Hallig