Reise in Südamerika. Erster Band.. Freiherr von Ernst Bibra. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Freiherr von Ernst Bibra
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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und kleine Mißhelligkeiten, unvermeidlich auf dem engen uns zugemessenen Raume, blieben stets in den Gränzen des Anstandes. Ein Fall von momentaner Tobsucht, hervorgerufen durch ungewohnten Genuß von Spirituosen kann nicht wohl als Ausnahme betrachtet werden. Ich erwähne dessen vielleicht später. Daß indessen kleine Neckereien mit unterliefen, läßt sich denken, und fast wollte es in der ersten Zeit der Fahrt scheinen, als solle ein oder das andere Individuum zur ständigen Zielscheibe erwählt werden. Ich glaube einigen Theil zu haben, daß dieß nicht wirklich geschah.

      Was das Benehmen der Genossen gegen mich betraf, so muß ich wiederholen, daß solches das freundlichste gewesen, und mit dankbarer Anerkennung darf ich aussprechen, daß meine naturwissenschaftlichen Bestrebungen den lebhaftesten Anklang, und wo immer möglich, Hülfe und Beistand erfuhren. Was auch zu fischen und zu haschen war auf der See, brachte man mir, leistete hülfreiche Hand beim Präpariren und Zeichnen, und überließ mir willig den halben Raum der Kajüte zum Lesen und Schreiben. Aber auch in anderen Beziehungen war man gefällig, freundlich und zuvorkommend gegen mich, ich habe nie mit irgend einem der Genossen einen Aerger gehabt, ja ich erinnere mich keines Zwistes.

      Das Benehmen der Zwischendeck-Passagiere gegen mich war dasselbe wie das der Kajüten-Passagiere, und ich muß einfach das dort Gesagte wiederholen. Indessen kamen im Zwischendecke wohl einigemal Streitigkeiten vor, doch selten und bald geschlichtet. Da Leute von ziemlich verschiedener Bildung, wohl auch Ansicht und Leidenschaft, dort zusammen leben mußten, und bei noch beengterem Raume als in der Kajüte, waren dort Zwiste wohl unvermeidlich. Indessen waren mehrere recht liebenswürdige Leute im Zwischendecke und ich erwähne als einer auffallenden und angenehmen Erscheinung eines Franzosen, der früher in Algier gefochten hatte und nun im Goldlande sein Glück verfolgen wollte. Ein feiner und gebildeter Mann, der ernst in's Leben schaute, aber dabei, so viel es nur immer thunlich, die Sorgfalt seiner Toilette nicht versäumte. Ich glaube, er war der einzige Passagier der Reform, der sich wöchentlich mehrmal rasirte. Er war offenbar aus guter Familie. Was hatte ihn nach Algier, was nach Kalifornien getrieben? Man wußte es nicht, denn solche Fragen werden nie an Bord gestellt und noch weniger in überseeischen Ländern selbst gethan. Häkchen oder Haken hat es da wohl nicht selten und so mag dort der alte Mantel christlicher Liebe in die gefällige Form moderner Weltanschauung gebracht, gegenseitig ersprießliche Dienste leisten. –

      Auch musikalische Talente fehlten nicht im Zwischendecke, und wurden mit mehr oder minderem Erfolge anerkannt. Noch muß ich eines Pudels errwähnen, intelligent wie alle seiner Race und vielfach erfahren in hündischen Künsten. Er unterhielt nicht selten die ganze Genossenschaft, hätte aber später fast zu einer Tragödie Anlaß gegeben.

      Zu den 18 Passagieren der Kajüte und den etlichen vierzig im Zwischendecke kommen noch zwei weitere Passagiere, die in der oberen Kajüte des Kapitains Platz gefunden hatten. Der Schiffsarzt und seine Frau hatten eine kleine Koje ohnweit der Kapitains-Kajüte inne.

      Ich kann nicht wohl dem freundlichen Leser meine Reise und Begebnisse erzählen, ohne daß ich ihnen eben die erhaltenen Eindrücke vorführe, wie sie sich mir einprägten. Werde ich auch häufig den Ort anzugeben genöthigt sein, so mag doch die Tagbuchform nur im Nothfalle zu Hülfe genommen werden. So melde ich denn jetzt, daß wir am 28. April gegen Mittag in den Kanal einfuhren. Wir hatten abwechselnd gutes und schlechtes Wetter, das heißt frischen Wind oder flauen, wie nämlich die Seeleute das Wetter betrachten, nach unseren Begriffen wurde ein kalter Regen, der häufig fiel, auch zum schlechten Wetter gerechnet.

      Am 2. Mai hatten wir den Kanal passirt. Die Fahrt durch den Kanal ist mannichfach geschildert worden, und ich will die Freunde und mich nicht damit ermüden, Dinge zu wiederholen, die wohl besser beschrieben worden sind, als ich es vermöchte, nach den flüchtigen Skizzen in Zeichenmappe und Tagebuch. Daß der Kanal belebt ist, was man in diesem Sinne belebt nennt, nämlich mit Hunderten von Fahrzeugen bedeckt, weiß jedermann und auch wir sahen Schiffe jeder Art in Nähe und Ferne. Ohnweit Dover, welches ich der Nähe halber erträglich zeichnen konnte, kamen Fischer an Bord, weniger in der Absicht Fische an uns zu verkaufen, als Briefe nach Europa von uns, gegen eine Vergütung, zu befördern. Ich weiß nicht, ob sie Geschäfte machten, und kann mich nur erinnern, daß ich in einem Anfalle von Sparsamkeits-Laune ihre Forderung zu hoch fand, und keinen Brief nach Hause sendete, was ich später bereute.

      Quallen und allerlei anderes Seegethier wurde auch während der Fahrt durch den Kanal häufig aufgefischt und mir überbracht. Aber auch Landbewohner kamen an Bord; Sperlinge nämlich und ein finkenähnlicher Vogel. Sie verließen uns wieder, nachdem sie im Tauwerk sich hinlänglich ausgeruht.

      An der Stelle des Kanals, von welcher man die französische und englische Küste zugleich in Sicht hat, hing sich endlich das Gespinnst von Tetragnatha extensa an Taue und Segel. Da ich bescheidene Zweifel hege, daß alle meine freundlichen Leser genau wissen, wer oder was Tetragnatha extensa ist, so nehme ich mir die Freiheit zu bemerken, daß es die Spinne ist, deren fliegendes Gewebe man Sommerfäden, oder alten Weibersommer nennt. Da wir Seitenwind von der englischen Küste her hatten und mithin die Fäden ohne Zweifel in England gesponnen worden waren, so nahm ich Gelegenheit den Reisegefährten zu erzählen, daß ein Engländer Chaucer im 14. Jahrhundert zuerst der Sommerfäden Erwähnung thut, und sie in einem Gedichte besang.

      Man bewunderte meine Gelehrsamkeit und einige Stunden darauf eben so die Virtuosität, welche ich in der Konsumtion von Portwein an den Tag legte. Zu jener anfänglichen Zeit der Reise bestand zwischen dem Kapitain und den Reisenden noch ein freundliches Vernehmen, und ersterer hatte mehrere von uns eingeladen mit ihm ein Glas Wein in seiner Kajüte zu trinken. Es blieb nicht bei einem Glase, und mancher wurde todtenähnlich vom Schlachtfelde gebracht. Dort habe ich Süddeutschland glänzend vertreten.

      Aber während ich mannichfacher Besuche erwähnte, die wir von See und Land aus erhielten, habe ich noch mit keiner Sylbe von jenem schlimmsten Gaste gesprochen, der dem beginnenden Seefahrer schon am Lande Angst und Schrecken einjagt, auf der See aber directe Verzweiflung bringt. Jedermann weiß, daß ich die Seekrankheit meine. – Schon auf der Weser wurde einigen der Passagiere übel zu Muthe. Als wir in die Nordsee eingelaufen waren, war der größte Theil derselben seekrank. Aber während bei einigen das Unwohlsein kaum einige Tage dauerte, und dann selbst beim stärksten Sturme1 später nicht wiederkehrte, hatten andere während der ganzen Reise zu kämpfen, und waren nur bei vollständiger Windstille verschont. So z. B. W. aus Nürnberg, welcher nur selten seine Koje verlassen konnte und dessen Ausdauer ich stets bewundert habe.

      Aber es giebt noch eine dritte Modifikation der Seekrankheit, jene welche jedesmal bei schlimmem Wetter, bei hoher See wiederkehrt, und mit mehr oder weniger Heftigkeit sich Jahre lang, Jahrzehente und selbst länger wiederholt.

      Ich habe einen alten sehr tüchtigen Seemann, einen ächten »Seebären«, gekannt, der dreißig Jahre lang alle Meere der Erde befahren und wahrlich nicht aus weichlichem Stoffe geformt war. Aber bei hoher See wurde ihm unheimlich zu Muthe. Ich habe später eine längere Fahrt mit ihm bestanden, und als wir jene unangenehmen Stellen besuchten, wo fast fortwährend 20 bis 25 Fuß hohe Wellen ihre Tücke übten, habe ich nicht selten mit Bedauern das leidige »mich ist flau« aus seinem Munde vernommen.

      Das eigentliche Erbrechen, – nennen wir es beim rechten Namen, ohne die bei dieser Gelegenheit üblichen Umschreibungen zu gebrauchen, – ist aber nicht allein der Ausdruck der Seekrankheit. Ich habe Passagiere gesehen, welche lange Zeit bleich und still umherschlichen, so bald ein wenig Wind die See bewegte, ohne sich zu erbrechen, und diese behaupteten nicht seekrank zu sein. Aber ich glaube nicht, daß sie um Vieles besser daran waren, als die übrigen.

      Unter den Reisenden auf der Reform befanden sich, wie ich glaube, kaum mehr als vier oder fünf Personen, welche verschont blieben, und ich hatte das Glück zu diesen Bevorzugten zu gehören.

      Allerdings hatte ich in den ersten Tagen der Fahrt einigemal das Gefühl leichten Schwindels, nie aber irgendwie ein weiteres Unwohlsein, mit dem bekannten unangenehmen Anhängsel. Durch ein Glas irgend eines geistigen Getränks waren jene unbedeutenden Anfälle indessen leicht gehoben.

      Einigermaßen mag durch ein keckes Entgegentreten und festen Willen immerhin der Seekrankheit zu begegnen sein. Ich meine nämlich die leichteren Modifikationen derselben, deren erste Motive gewiß im Nervensystem


<p>1</p>

Landratten-Ausdruck. Seemanns-Sprache: schlimmes Wetter.