Die Nacht verging, und der Morgen brach an; ich weckte dennoch die Gefährten nicht, sondern ließ sie weiterschlafen. Wir hatten ja nichts vor und konnten die Kräfte, welche der Schlaf uns brachte, später wahrscheinlich gut gebrauchen. Als sie später erwachten, aßen wir als Morgenbrot ein Stückchen Fleisch. Die Gefangenen bekamen nichts; eine Hungerkur von einigen Tagen konnte solchen Menschen gar nichts schaden; ich hatte oft genug gehungert, ohne andern nach dem Leben getrachtet zu haben. Dann legte ich mich wieder zum Schlafen nieder, und so verging uns der Vor- und auch der Nachmittag unter abwechselndem Schlafen und Wachen, bis gegen Abend, wie ich gestern vorausgesetzt hatte, Winnetou zurückkehrte. Er war gegen zwanzig Stunden unterwegs gewesen, hatte keinen Augenblick geschlafen und sah doch so frisch und munter aus, als ob er sich ebenso ausgeschlafen und ausgeruht hätte wie wir. Auch der Dunkelbraune, den er geritten hatte, schien gar nicht überanstrengt zu sein, und ich sah, mit welchem befriedigten, ja stolzen Blicke sein bisheriger Besitzer, der Häuptling der Osagen, dies bemerkte. Ich hatte mir vorgenommen, diesen seinen Stolz in Wut zu verwandeln. Nach den Gesetzen der Savanne gehört der Gefangene nebst allem, was er bei sich hat, demjenigen, in dessen Hände er gefallen ist. Wir brauchten gute Pferde. Winnetous und mein Rappen waren vorzüglich. Dick Hammerdulls Stute war zwar grundhäßlich, aber stark und ausdauernd; er wäre auch nicht dazu zu bewegen gewesen, sich von ihr zu trennen. Treskows Pferd war unter denen, die uns zur Verfügung gestanden hatten, das beste gewesen, hatte sich aber schon in der kurzen Zeit bis heut als ungenügend erwiesen. Ganz dasselbe war mit dem Gaule von Pitt Holbers der Fall. Wir hatten das zwar noch nicht zu beklagen gehabt; aber wenn einmal, was kaum zu vermeiden war, der Fall eintreten sollte, daß die Erreichung eines wichtigen Zweckes oder gar unsere Rettung von der Schnelligkeit unserer Pferde abhing, so hatten wir in den beiden genannten Pferden zwei Hemmschuhe, die uns verderblich werden konnten. Schahko Matto sollte seinen Dunkelbraunen nicht wiederbekommen; das war bei mir eine fest beschlossene Sache und zugleich eine Strafe für ihn, die er jedenfalls verdient hatte.
Winnetou sprang vom Pferde, nickte uns grüßend zu und setzte sich neben mich. Wir wechselten die Blicke und wußten nun ohne Worte, woran wir waren: er hatte seine Warnung glücklich nach Fenners Farm gebracht, und hier bei uns war nichts Erwähnenswertes vorgekommen; dies hatten wir uns durch diesen Wechselblick gesagt, und Worte waren also unnötig. Treskow, Hammerdull und Holbers freilich sahen ihn erwartungsvoll an; sie waren enttäuscht, daß er nichts sagte, wagten aber doch nicht, ihn mit Fragen zu belästigen.
Wenn er über seinen soeben beendeten Ritt jedes Wort für überflüssig hielt, so kannte ich ihn doch gut genug, um zu wissen, daß in anderer Beziehung sein Schweigen nicht lange dauern würde. Wir mußten wissen, wie es mit den am »Regenwasser« lagernden Osagen stand, doch lag dieser Ort nicht in der Richtung, welche wir auf dem Wege nach Colorado einzuschlagen hatten. Auch konnten wir, wenn wir die Osagen beschleichen wollten, die beiden Gefangenen nicht mit bis in die Nähe dieser Roten nehmen, wo wir mit der Möglichkeit zu rechnen hatten, daß sie uns wieder abgenommen wurden. Diese Angelegenheit mußte Winnetou ebenso beschäftigen wie mich, und so war ich überzeugt, recht bald darüber eine Aeußerung von ihm zu hören. Ich hatte mich da auch nicht geirrt, denn er saß noch keine fünf Minuten neben mir, so fragte er mich:
»Mein Bruder Scharlih hat gut ausgeruht. Ist er bereit, jetzt gleich nach dem Wara-tu zu reiten?«
»Ja,« antwortete ich natürlich.
»Wir nehmen die Gefangenen bis an die Grenze von Colorado mit, müssen aber wissen, wie es hinter uns mit den Kriegern der Osagen steht. Das wird mein Bruder zu erfahren wissen.«
»Reitet mein Bruder Winnetou mit ihnen von hier aus auf geradem Wege fort?«
»Ja.«
»Wann?«
»Sobald das hungrige Pferd des Osagen Gras gefressen hat.«
»Will Winnetou nicht lieber warten bis morgen früh? Er hat die ganze Nacht nicht schlafen können, und wir wissen nicht, ob die nächste Nacht uns Ruhe bringen wird.«
»Der Häuptling der Apatschen ist gewohnt, nur dann zu schlafen, wenn er Zeit hat. Mein Bruder Shatterhand hat auch so einen eisernen Körper; er weiß also, daß ich nicht müde bin.«
»Gut, wie du willst! Wo treffen wir uns?«
»Mein Bruder Scharlih kennt das große Loch, welches die Dakota Kih-pe-ta-kih[3] nennen?«
»Ja. Es wird so genannt, weil es die Gestalt eines sitzenden alten Weibes hat. Willst du mich dort erwarten?«
»Ja. Da du einen Umweg machen mußt und auch Zeit zur Beobachtung der Osagen brauchst, werden wir eher dort ankommen als du und Hammerdull.«
»Hammerdull? Der soll mit? Ich soll nicht allein reiten?«
»Nein.«
»Denkt mein Bruder, daß diese Begleitung für mich nötig ist?«
»Ja, doch nicht der Zahl der Osagen wegen. Old Shatterhand würde sich nicht vor ihnen fürchten, wenn ihre Zahl zehnmal größer wäre, als sie ist; aber es ist leicht möglich, daß er einen Gehilfen braucht, und wenn es auch nur wäre, um sein Pferd zu bewachen, welches er doch nicht so weit, wie er sich vorwagen muß, mitnehmen kann. Giebt mir mein Bruder Scharlih recht?«
»Ja, obgleich ich sehr wohl weiß, daß mehr deine Liebe als deine Sorge mir diesen Begleiter an die Seite stellt.«
Er sah sich durchschaut und nickte lächelnd. Dann wendete er sich an den gefangenen Häuptling der Osagen, mit dem er bis zu diesem Augenblicke noch kein Wort gesprochen hatte:
»Schahko Matto mag meine Frage beantworten: Ihr habt vier Farmen der Bleichgesichter überfallen wollen?«
Der Osage antwortete nicht, und so wiederholte Winnetou die Frage. Als er auch hierauf keine Antwort bekam, sagte er:
»Der Häuptling der Osagen hat solche Angst vor dem Häuptling der Apatschen, daß ihm die Worte im Munde stecken bleiben.«
Er erreichte den Zweck, den diese Worte hatten, denn Schahko Matto fuhr ihn zornig an:
»Ich, der oberste Häuptling der Osagen, habe sieben graue Bären mit dieser meiner Hand getötet; mein Name sagt es jedem, der es hören will. Wie kann ich mich da vor einem Coyoten fürchten, der zum Volke der Pimo gehört?«
Das Wort Pimo war hier als Schimpfwort für Winnetou gebraucht; er blieb trotzdem ruhig und fuhr fort:
»Schahko Matto wird nicht zugeben, daß er beabsichtigt hat, die Farmen zu überfallen?«
»Nein. Ich gebe es nicht zu; es ist nicht wahr.«
»Wir wissen dennoch, daß es so ist, denn wir haben hinter euch gelegen, ehe du mit dem Prairiehuhne kamst, und dann jedes Wort vernommen. Deine Lanze ist auf dem Aste stekken geblieben. Sie soll denen, die sie später sehen, verkünden, wie dumm ein Mensch sein kann, der sich einen Häuptling nennt. Winnetou hat noch nie gehört, daß ein Mensch, der sich verstecken will, sein Versteck mit einem Zeichen versieht, welches jedem Menschen sagt, daß sich jemand hier verborgen hat. Du brauchst den Ueberfall der Farmen nicht einzugestehen, denn er wird nicht stattfinden können. Ich bin gestern abend fortgeritten und habe die Bleichgesichter gewarnt. Sie würden die Hunde der Osagen, wenn sie ja noch kämen, mit Peitschen erschlagen. Ich habe auch gesagt, daß Old Wabble dein Spion gewesen ist. Wenn er sich noch einmal sehen läßt, bekommt er keine Kugel, sondern einen Strick um den Hals, wie es sich für einen Spion geziemt.«
Der Osage antwortete nicht, doch sah man es ihm an, wie grimmig er darüber war, daß Winnetou seine Pläne verraten hatte. Der alte König der Cowboys aber rief:
»Ich ein Spion? Das ist die größte Lüge, die es giebt! Wenn Winnetou mich als Spion bezeichnet hat, so ist er der größte Schuft, den man auf Erden finden kann!«
Der Geschmähte antwortete nicht. Mir aber, dem Freunde des unvergleichlichen Apatschen, war diese Frechheit denn doch zu groß, als daß ich sie ungestraft hätte hingehen lassen können. Dieser Kerl verdiente Hiebe, solche Hiebe, daß ihm die Haut zerplatzen mußte! Ich gab aber Holbers einen andern Befehl:
»Pitt, schnürt ihm die Fesseln so fest um die Gelenke,