Wenn Winnetou mit solcher Bestimmtheit vorhergesagt hatte, daß unsere Gefährten zwei Gefangene bei uns finden würden, so war er überzeugt gewesen, daß der Osage uns nicht lange auf seine Rückkehr warten lassen werde. Dies war auch meine Ansicht, weil von der Erlegung eines Wildes nach eingebrochener Dunkelheit nicht mehr die Rede sein konnte. Als ob er die Richtigkeit dieser Ansicht zu beweisen habe, sahen wir, zwischen den Stämmen hindurch und hinaus auf die Prairie blickend, beim letzten Dämmerlichte einen Indianer, welcher so sorglos und grad auf das Wäldchen zugeschritten kam, daß er ganz gewiß nicht den Gedanken hegte, es könne sich ein ihm feindliches Wesen hier befinden.
Je mehr er sich in dem eigentümlichen Gange, welcher eine Folge der dünnen, absatzlosen Mokassins ist, uns näherte, desto deutlicher konnten wir ihn erkennen. Er war nicht groß, aber ungemein breit gebaut und machte trotz der ungewöhnlichen Krümmung seiner Beine und seines Alters – er mochte über fünfzig zählen – den Eindruck eines körperlich außerordentlich kräftigen Menschen. In der einen Hand trug er das Gewehr, in der andern ein erlegtes Prairiehuhn. Als er das Wäldchen fast erreicht hatte, mußte er trotz des jetzt herrschenden Dreivierteldunkels die Fährte des Alten sehen. Er blieb stehen und rief, gegen das Gehölz gerichtet, in leidlich gutem Englisch:
»Wer ist der Mann, der diese Spur machte und sich jetzt unter den Bäumen befindet?«
Winnetou legte mir die Hand auf den Arm, ihn leise drückend, ein Ersatz des mitleidigen Lächelns, welches ich nicht sehen konnte, ihm abgelockt durch das unbegreiflich thörichte Verhalten des Osagen, dessen Frage vollständig überflüssig war. Entweder befand sich sein Verbündeter im Wäldchen, welches er in diesem Falle getrost betreten konnte, oder es war ein Feind darin versteckt, vor dessen Anschlägen ihn die Frage unmöglich schützen konnte. Was er erwartet hatte, das geschah: der alte Cowboy antwortete mit lauter Stimme:
»Ich, Old Wabble, bin es; komm herein!«
»Sind noch andere Bleichgesichter bei dir?«
»Nein. Du mußt doch an meiner Spur sehen, daß ich allein gekommen bin!«
Das war nicht richtig. Er konnte auch Gefährten haben, die sich vorher von ihm getrennt und dann von einer entfernten Stelle aus, gerad so wie wir, nach dem Gehölz begeben hatten. Wir wußten, daß Old Wabble sich nicht allein am Republikan-River befand. Wo waren jetzt seine Begleiter? Durften sie von seiner Zusammenkunft mit dem Osagen nichts wissen, oder hatte er sie aus einem andern vielleicht uns betreffenden Grund zurückgelassen? Ich hoffte, das zu erfahren.
Schahko Matto kam herein, ging mit tastenden Schritten zu ihm hin, setzte sich bei ihm nieder und fragte:
»Wann ist Old Wabble hier angekommen?«
»Vor fast zwei Stunden,« antwortete der Alte.
»Hat er das Zeichen, welches wir verabredeten, sofort bemerkt?«
»Nicht gleich. Ich sah mich drüben an der Flußecke um und dachte, daß das Wäldchen hier ein guter Versteck sein müsse. Darum ritt ich her und sah, als ich näher gekommen war, dann auch die Lanze stecken. Du hast diesen Ort sehr gut gewählt.«
»Wir sind hier sicher, denn ich weiß, daß sich außer mir und dir kein Mensch im weiten Umkreis befindet. Ich bin schon seit gestern hier. Das war der Tag, an dem du kommen wolltest. Weil ich bis heut auf dich warten mußte, ist mein Fleisch zu Ende gegangen, und ich war gezwungen, fortzugehen, um diesen Vogel zu schießen.«
Das klang wie ein Vorwurf. Old Wabble antwortete:
»Der Häuptling der Osagen wird mir nicht zürnen, daß er warten mußte. Ich werde ihm dann sagen, weshalb ich später gekommen bin, und hege die Ueberzeugung, daß diese Nachricht ihm große Freude bereiten wird; th‘is clear.«
»Ist Old Wabble auf Fenners Farm gewesen?«
»Ja. Wir kamen gestern kurz vor Mittag dort an. Der Besuch der andern drei Farmen, die ihr auch überfallen wollt, hat uns länger aufgehalten, als wir dachten. Du hättest trotzdem nur bis heute nacht auf uns zu warten gehabt. Daran, daß ich nun erst vorhin kommen konnte, trägt ein großer und sehr wichtiger Fang die Schuld, welchen du machen kannst, wenn du auf die Vorschläge eingehst, welche ich dir machen werden.«
»Was für einen Fang meint Old Wabble?«
»Davon später. Zunächst will ich dir berichten, wie ich die vier Farmen, auf welche ihr es abgesehen habt, gefunden habe.«
Wir hatten uns leise bis an die andere Seite des Kaninchenbaues vorgeschoben und hörten jedes Wort, zumal die beiden unvorsichtigen Männer gar nicht auf den Gedanken kamen, leise zu sprechen. Aus dem, was wir belauschten, bekam ich zunächst die Gewißheit, daß ich recht gehabt hatte, als ich annahm, daß Old Wabble den Spion der Osagen mache. Es handelte sich um den Ueberfall und die Beraubung von vier großen Farmen, Fenners Besitztum eingerechnet. Es war die alte leider immer wiederkehrende Geschichte: Die Osagen waren von den Weißen in Beziehung auf die ihnen zukommenden Lieferungen betrogen worden und hatten, um sich einigermaßen zu entschädigen und das nötige Fleisch zu haben, die Rinder einer Farm weggetrieben. Man hatte sie verfolgt und eine Anzahl ihrer Krieger getötet. Nach ihren Anschauungen forderte das ihre Rache heraus, und so wurde am Beratungsfeuer der Kampf gegen die Bleichgesichter beschlossen. Zunächst sollten die vier größten Farmen am Republikan-River überfallen werden. Da auf diesen aber eine ansehnliche Zahl von Cowboys bedienstet waren und die Roten diese halbwilden und verwegenen Kerls mehr als alle andern Gegner fürchten, mußten Kundschafter ausgesandt werden, die zu erfahren suchen sollten, mit wieviel Cowboys ungefähr man es zu thun haben werde. Die Klugheit verbot, Indianern, wenigstens Kriegern des eigenen Stammes, diese Aufgabe zu erteilen. Schon richtete Schahko Matto sein Augenmerk auf einige Mischlinge, von denen er wußte, daß sie in Beziehung auf den Unterschied zwischen gut und böse gar nicht wählerisch seien, wenn sie nur ihren Vorteil dabei fänden, da führte der Zufall ihm Old Wabble und seine Begleiter zu. Er schien mit ihm schon früher einmal in einer ähnlichen Verbindung gestanden zu haben; das Gespräch brachte zwar nichts Bestimmtes darüber, doch mußte es so sein, denn sonst hätte der Osage dem Alten einen solchen Vorschlag, auf den sofort eingegangen wurde, nicht gemacht. Das Uebereinkommen lautete sehr einfach dahin, daß die Osagen die Skalpe, Waffen und Herden der Ueberfallenen bekommen sollten, während Old Wabble für sich und seine Leute alles übrige in Anspruch nahm. Natürlich war es seinerseits nur auf Geld und sonstige Gegenstände abgesehen, welche leicht verkauft werden konnten. Wer von beiden, Schahko Matto oder Old Wabble, der eigentliche Halunke war, braucht wohl nicht erst gesagt zu werden. Wir bemerkten, daß der Häuptling den »König der Cowboys« nicht ein einziges Mal »mein weißer Bruder«, sondern stets nur bei seinem Namen nannte, ein Beweis, daß derartige Subjekte bei den Indsmen auch nicht mehr Achtung besitzen als bei den civilisierten Bleichgesichtern.
Als Old Wabble seinen Spionenritt begann, waren die Osagen noch nicht mit ihrer »Mobilmachung« zu Ende, und da die Erkundung der Verteidigungsverhältnisse der vier Farmen von größter Wichtigkeit für das Gelingen war, so hatte sich der Häuptling selbst und allein aufgemacht, um den Bericht des Alten an der Biegung des Republikan-River entgegenzunehmen. Die Lanze sollte die Stelle bezeichnen, an welcher Schahko Matto zu treffen sei.
Nun hatten sie sich hier im Wäldchen zusammengefunden, und Old Wabble erstattete seinen Bericht dahin, daß die Farmen mit nur geringem Verluste an roten Kriegern wegzunehmen seien. Er machte Vorschläge, welche ich übergehen kann, weil infolge unsers heutigen Einschreitens die geplanten Ueberfälle aufgegeben werden mußten. Der Häuptling ging teilweise auf dieselben ein und kam dann auf den »wichtigen Fang« zurück, den Old Wabble ihm beim Beginne des Gespräches in Aussicht gestellt hatte. Der alte Cowboy antwortete in seiner schlauen, wohlberechnenden Weise:
»Der Häuptling der Osagen muß mir einige Fragen beantworten, ehe ich ihm sagen kann, um was es sich handelt. Kennst du den Apatschenhäuptling Winnetou?«
»Diesen Hund? Ich kenne ihn.«
»Du nennst ihn einen Hund. Hat er sich dir gegenüber etwa einmal feindlich gezeigt?«
»Mehr als einmal! Wir hatten vor drei Sommern die Kriegsbeile