Als wir die beiden Gefangenen von den Pferden gebunden hatten und neben dem Feuer niederlegten, war die Betäubung längst von ihnen gewichen. Sie hatten unterwegs geschwiegen; als sie jetzt unsere Gesichter sahen, sagte zwar der Häuptling auch jetzt kein Wort, aber Old Wabble rief erschrocken aus, indem er, allerdings vergeblich, an seinen Fesseln zerrte:
»Donnerwetter, das sind die frommen Hirten wieder, die dieses Mal nicht ein, sondern zwei Lämmlein auf die Weide führen! Was fällt euch denn ein, mich wieder festzunehmen! Haben euch die feurigen Kohlen doch gereut, die ihr euch einbildet, mir aufs alte, graue Haupt gelegt zu haben?«
Winnetou war zu stolz, eine Antwort zu geben; ich folgte seinem Beispiele. Aber Dick Hammerdull wußte, was der Alte gegen uns geplant hatte, denn ich hatte zu ihm und den beiden anderen unterwegs davon gesprochen; er war voller Zorn auf Old Wabble, hielt es für feig, die höhnenden Worte desselben ruhig hinzunehmen, und antwortete deshalb:
»Laßt es euch doch nicht einfallen, euch Schäflein zu nennen! Ihr seid ärger als die schlimmsten Raubtiere, die nur töten, weil sie leben müssen! Da ein Feuer brennt, habe ich große Lust, Euch wirkliche glühende Kohlen auf Eure alte Perücke zu legen. Ihr braucht gar nicht viele Worte zu machen, so thue ich es; darauf könnt Ihr Euch verlassen!«
»Das würde der fromme Shatterhand nicht dulden!« lachte der Cowboy.
»Ob er es duldet oder nicht, das ist ganz egal. Wenn gestern Euer Maß noch nicht voll war, so ist es heut am Ueberlaufen, und wenn Ihr meint, Eure Lage durch Frechheit verbessern zu können, so befindet Ihr Euch in einem Irrtum, den ich Euch sofort beweisen werde, wenn Ihr noch ein Wort sagt, welches mir nicht paßt!«
»Wirklich? So laßt Euch wenigstens fragen, mit welchem Rechte Ihr uns als Gefangene betrachtet und behandelt!«
»Fragt nicht so dumm, alter Sünder! Old Shatterhand und Winnetou haben im Wäldchen hinter Euch gelegen und jedes Eurer Worte gehört. Wir wissen also ganz genau, was Ihr mit uns vorhattet, und denken, daß wir allen Grund haben, Euch unschädlich zu machen!«
Diese Mitteilung ließ den Mut des alten Wabble sinken. Wenn wir wußten, daß man uns hatte gefangennehmen wollen, um uns zu töten, so reichte selbst seine Frechheit nicht aus, der Angst vor unserer Rache die Wage zu halten. Zwar hatte ich ihm seinen Mordanschlag auf mich verziehen, und es war ja immerhin möglich, daß ich, falls es sich nur um mich selbst handelte, mich noch einmal zur Verzeihung geneigt zeigte; aber der heutige Plan war gegen uns alle gerichtet gewesen, und so sah der Cowboy gar wohl ein, daß es unmöglich war, ferner durch Hohn etwas zu erreichen. Er sprach also nicht weiter, und so mußte auch Dick Hammerdull schweigen.
Nun geschah etwas, was mir abermals bewies, wie geistesverwandt mir der Häuptling der Apatschen war und mit welcher wunderbaren Uebereinstimmung sich unsere Gedanken zu begegnen pflegten. Gleich als wir das Wäldchen verließen, hatte ich an Fenner und an die andern Farmen gedacht, welche überfallen werden sollten. Die Besitzer waren ahnungslos; sie mußten gewarnt werden. Zwar war der Häuptling der Osagen in unsere Hände geraten, und wir konnten erwarten, daß dadurch die Ausführung seiner räuberischen Pläne einen Aufschub erleiden werde; aber wir waren so wenig Herren der gegenwärtigen Verhältnisse und auch unserer Zeit, daß allstündlich ein unvorhergesehenes Ereignis eintreten konnte, durch welches der Vorteil, den wir errungen hatten, uns wieder entrissen wurde. Der geplante Ueberfall war jetzt aufgeschoben, keineswegs aber ganz aufgehoben, und so mußte wenigstens Fenner, der die Warnung dann weiterschicken konnte, benachrichtigt werden. Aber durch wen? Durch Treskow keinesfalls. Hammerdull und Holbers waren zwar Westmänner, aber etwas so Wichtiges mochte ich doch keinem von ihnen anvertrauen; es handelte sich nicht nur um den glücklichen Hin-, sondern auch um den vielleicht noch schwierigern Wiederherritt. Also blieb nur Winnetou oder ich. Mir war es lieber, wenn der Apatsche die Botschaft Uebernahm, denn er paßte weniger als ich zu den drei Gefährten, mit denen ohne meine Vermittelung zusammen zu sein er gezwungen gewesen wäre, wenn ich den Ritt nach Fenners Farm unternommen hätte. Ich sah, daß er das Pferd Schahko Mattos mit scharfen Kennerblicken nicht nur betrachtete, sondern, sozusagen, abwog und taxierte. Nun stand er auf, ging zu dem Tiere hin, griff in die Satteltaschen, warf alles heraus, was sie enthielten, steckte mehrere Stücke Fleisch hinein, warf seine Silberbüchse über und wendete sich dann mit der Frage an mich:
»Was sagt mein Bruder zu diesem Osagenhengste?«
»Seine Lunge ist gesund,« antwortete ich; »seine Sehnen dauern aus, und seine Beine gleichen den Läufen der Antilope. Der Rappe meines roten Bruders mag sich für den Ritt nach Colorado Kräfte sammeln; ich werde ihn unter meine besondere Aufsicht nehmen, und so mag Winnetou diesen Dunkelbraunen besteigen, der ihn schnell hin- und wiederbringen wird.«
»Uff! Mein Bruder Shatterhand weiß, wohin ich will?«
»Ja. Wir werden hier liegen bleiben und warten. Du kommst morgen wieder, ehe die Sonne untergeht.«
»Howgh! Meine Brüder leben wohl!«
Er schwang sich in den Sattel und ritt von dannen. Er wußte, daß er mir nichts weiter zu sagen brauchte, am allerwenigsten aber Verhaltungsmaßregeln zu erteilen hatte. Anders freilich stand es mit meinen drei Kameraden, welche mich, kaum daß er den Rücken gewendet hatte, nach dem Zwecke und dem Ziele seines nächtlichen Rittes fragten. Ich teilte ihnen das Nötige leise mit, denn die Gefangenen brauchten nicht zu erfahren, daß die Besitzer der bedrohten Farmen gewarnt werden sollten. Hierauf aßen wir, und dann verteilte ich die Wachen, und zwar so, daß ich bis nach Mitternacht schlafen konnte. Die Zeit zwischen da und dem Morgen ist im Prairieleben stets die kritische; da wollte ich munter sein, weil ich mir mehr traute als den Kameraden.
Nachdem ich meinen drei Genossen die größte Aufmerksamkeit in Beziehung auf die Gefangenen und auf das Feuer eingeschärft hatte, legte ich mich nieder und schlief augenblicklich ein. Es gab ja keine Sorge, welche mir den Schlaf hätte verscheuchen können, Ich schlief so lange, bis mich Dick Hammerdull weckte, welcher die dritte Wache hatte. Ich fand alles in Ordnung und stieg, während mein Vormann sich niederlegte, aus der Vertiefung heraus, um außerhalb der Büsche auf und ab zu schreiten. Dabei überlegte ich mir, was mit den beiden Gefangenen zu geschehen habe.
An das Leben wollte ich ihnen nicht, obgleich wir durch die Gesetze der Savanne vollberechtigt waren, sie dadurch, daß wir sie töteten, für uns und andere unschädlich zu machen. Aber durfte ihr Mordanschlag ganz ohne Ahndung bleiben? Und wenn nicht, welche Strafe sollten wir für sie wählen? Es kam mir der Gedanke, sie soweit mit uns hinauf nach Colorado zu nehmen, daß inzwischen die geeignete Zeit zum Ueberfalle der Farmen verstreichen mußte; aber es gab gewichtige Bedenken dagegen. Die Gegenwart zweier gefesselter Menschen mußte uns sehr aufhalten und in vielen Beziehungen unbequem werden, ganz abgesehen davon, daß wir sie grad dahin schleppten, wohin sich ihre Rachsucht dann richten mußte. Am besten war es, ich ließ diese Gedanken für einstweilen fallen und wartete, was Winnetou für eine Meinung äußern werde.
Den Ort, wo sich die Osagen jetzt befanden, kannte ich ganz genau; ich war mit Winnetou schon wiederholt dort gewesen. Die im Herbst nach Süden und im Frühjahre wieder nach Norden ziehenden Büffelherden pflegten immer genau dieselben Wege einzuhalten, Wege, welche stellenweise tief ausgetreten wurden und während des ganzen Jahres kenntlich blieben. An einem solchen Büffelpfade lag das Wara-tu, zu deutsch »Regenwasser«. Es war eine Stelle, ähnlich derjenigen, an welcher wir uns jetzt befanden, nur daß sie weit mehr Gebüsch und Graswuchs hatte und viel tiefer lag, so daß sich das Regenwasser sammeln konnte, ohne selbst in der heißen Jahreszeit ganz zu verdunsten. Winnetou hatte uns absichtlich nach dem Orte geführt, an welchem wir lagerten, denn dieser lag genau in der Richtung, welche von dem Wäldchen,