Die Araber hatten nach der Eroberung des Landes die alten Einrichtungen und Rechte, und so auch die des Mukaukas bestehen lassen.
Der Gerichtshof, welcher in Sachen der Angehörigen des Hauses zusammenberufen wurde, bestand aus den höheren Privatbeamten der Statthalterei. Das Amt des Oberrichters bekleidete der Mukaukas selbst, und sein erwachsener Sohn war sein natürlicher Stellvertreter. Während Orions Abwesenheit hatte der Vorsteher des Rechnungswesens, Nilus, ein kluger und besonnener Aegypter, den Platz seines leidenden Herrn häufig eingenommen, aber heute war Orion beauftragt worden, seine Stelle zu vertreten und den Vorsitz zu führen.
Aus dem Speisesaal eilte der Statthalterssohn in das Schlafgemach seines Vaters und bat ihn um seinen Ring als Zeichen der Vollmacht, die er auf ihn übertragen, und der Mukaukas ließ sich ihn willig vom Finger ziehen und legte dem Jüngling ans Herz, unnachsichtliche Strenge zu üben. Er sei sonst zur Milde geneigt, doch auf einen Einbruch im Hause stehe der Tod, und in diesem Fall sei es schon um des arabischen Kaufmanns willen geboten, keine Schonung zu üben.
Orion bat nun den Vater, eingedenk seines Vertrages mit Paula, ihm ganz freie Hand zu lassen. Der alte Muslim sei ein gerechter Mann, der unter Umständen auch ein mildes Urteil billigen werde, außerdem sei der Verbrecher nicht eigentlich ein Hausgenosse, sondern stehe im Dienst einer Verwandten.
Der Mukaukas lobte den besonnenen Sinn seines Sohnes. Wenn es ihm selbst nur etwas besser gehe, werde er sich die Freude gönnen, der Sitzung beizuwohnen und ihn zum erstenmal eine ernste Pflicht, würdig seiner Geburt und Stellung, erfüllen zu sehen.
Orion küßte dem Vater innig und mit wehmütiger Bewegung die Hand; denn jedes anerkennende Wort des geliebten Mannes that ihm tief innerlich wohl, und er empfand es dabei wie ein Unglück, daß er seine Richterlaufbahn, deren Ernst und Heiligkeit er kannte, so — so antreten mußte.
Weicher gestimmt, in Gedanken versunken und erwägend, wie Hiram zu retten und Paulas Name am besten ganz aus dem Spiel zu lassen sei, begab er sich zu dem Gerichtssaal, und vor ihm fand er die Amme Perpetua in lebhaftem Gespräch mit dem Rentmeister Nilus.
Die Alte war außer sich. Beim Klappern der Webstühle hatte sie bis vor kurzem nichts von dem Vorgefallenen erfahren; nun beschwor sie die Unschuld des unglücklichen Hiram. Der Stein, den er verkauft habe, sei das Eigentum ihrer Herrin gewesen, und dafür fehle es gottlob nicht an Beweisen: die Fassung des Smaragds liege wohlverwahrt in der Truhe ihrer Herrin. Es sei ihr zum Glück noch möglich gewesen, sie zu sprechen, aber daß man sie, die Tochter des Thomas, wie jedes Bürger- oder Sklavenkind vor Gericht stellen wolle, das sei unerhört, das sei schändlich!
Da unterbrach sie Orion barsch, gebot dem alten Thorhüter, sie sogleich in das Gewebemagazin neben dem Tablinum, wo die fertigen, für den Gebrauch des Hauses bestimmten Stoffe aufbewahrt wurden, zu führen und sie dort bis auf weiteres wohl zu bewachen. Der Ton, in dem er diesen Befehl erteilte, war so beschaffen, daß ihm selbst die Amme nicht widersprach, und auch der Rentmeister gehorchte schweigend seinem Gebot, sich zu den Richtern zurückzubegeben.
Erstaunt und beunruhigt ging Nilus in den Sitzungssaal zurück. So hatte er den Sohn seines Herrn noch nie gesehen! Bei der Mitteilung der Amme waren ihm die Adern auf der jugendlichen, faltenlosen Stirn weit hervorgetreten, und seine Nasenflügel hatten in rascher, krampfhafter Bewegung zu beben begonnen, der Wohlklang war aus seiner Stimme gewichen gewesen, und sein Auge hatte drohend gefunkelt.
Nun war Orion allein und knirschte tief aufgebracht mit den Zähnen. Trotz des gegebenen Versprechens hatte Paula ihn verraten, und wie elend war die Weiberlist, mit der sie es gethan! Vor den Richtern, herrlich! Vor denen konnte sie nun schweigen, ganz getrost schweigen bis ans Ende der Sitzung, die Amme, ihr Sprachrohr, hatte ja Nilus, den ernstesten und schärfsten im ganzen Kollegium, mit den Beweismitteln vertraut gemacht, welche für sie und gegen ihn zeugten. Unerhört, nichtswürdig! Ein schmählicher, ausgesucht tückischer Verrat! Aber noch war sie nicht am Ziele, noch hatte er freie Hand, den bösen Streich mit einem Gegenhieb zu pariren. Wie er zu führen sei, war ihm schon bei der Mitteilung der Amme klar gewesen, aber das Gewissen, die angeborene Neigung, die lange Gewohnheit, sich in den Schranken des Rechten, Guten, Schicklichen zu halten, hielt ihn zurück. Niedriges und Gemeines hatte er nicht nur niemals selbst begangen, sondern es auch nur mit Widerwillen an anderen gesehen, und das einzige, was er unternehmen konnte, um Paulas Verrat unschädlich zu machen, das war — er konnt’ es nicht leugnen — das war zwar eigenartig und kühn, aber ebenso verabscheuungswürdig und schändlich.
Doch er wollte und durfte in diesem Streite nicht unterliegen. Die Zeit drängte, langes Erwägen war hier nicht möglich, und plötzlich überkam ihn grimmige und wilde Kampflust, ward ihm zu Mute wie an den Wettfahrtstagen im Zirkus, wenn er das eigene Gespann den anderen zuvor trieb.
Vorwärts denn, vorwärts, und wenn das Fahrzeug zerschellte, wenn die Rosse zu Grunde gingen und seine Räder die gestürzten Genossen im Sand der Arena zermalmten; vorwärts, nur vorwärts!
Mit wenigen raschen Schritten erreichte er das Stübchen des Thorhüters, eines wackern Alten, der seit vierzig Jahren seinem Amte vorstand. Früher war er Schlosser gewesen, und jetzt lag es ihm ob, die kleinen Reparaturen an dem einfacheren Hausgerät vorzunehmen. Orion war als Knabe ein holdes, jedes Herz bestrickendes Bürschchen und auch der Liebling dieses tüchtigen Mannes gewesen, hatte sich mit Vorliebe in seinem Stübchen aufgehalten und ihm die Kunstgriffe seines Handwerks abgesehen. Mit besonderem technischem Geschick begabt, war er ein gelehriger Schüler des Alten gewesen und hatte es so weit gebracht, für die Eltern zu ihren Geburtstagen, in Aegypten besonders feierlich begangenen und durch Geben und Nehmen gewürzten Festen, zierliche Kästchen, Gebetbuchdecken und dergleichen zu schnitzen und mit Schlosserarbeit zu versehen. Er verstand alle Instrumente zu führen und wählte sich jetzt hastig diejenigen aus, welche er zu benützen gedachte. Auf dem Fensterbrett des Stübchens stand ein Blumenstrauß, den er gestern Abend für Paula bestellt und an diesem schrecklichen Tage abzuholen vergessen hatte. Mit ihm in der Hand und den Instrumenten in den Brustfalten seines Gewandes eilte er die Treppe hinan.
»Vorwärts, immer nur vorwärts!« rief er sich selbst zu, wie er in Paulas Zimmer drang, den inneren Riegel vorstieß und sich vor ihrer Truhe nieder und die Blumen aus der Hand warf. Ward er entdeckt, so war er in Paulas Gemach eingedrungen, um ihr den Strauß zu überbringen.
»Und vorwärts, nur vorwärts!« dachte er immerfort, wie er die Scharniere losschraubte, an denen sich der Deckel der Truhe bewegte. Seine Hände zitterten, sein Atem flog dabei, aber die Arbeit förderte dennoch. Dies Verfahren war das rechte, denn das Kunstschloß an dem Kasten ließ sich nicht aufthun, ohne es zu verderben. Jetzt hob er den Deckel, und — als unterstützten ihn freundliche Mächte — auf den ersten Griff in die Truhe hielt er das Halsband mit der leeren Fassung in der Hand. Sie hing an dem sorgfältig gearbeiteten Schmuck; sie loshaken und zu sich stecken war das Werk eines Augenblicks.
Aber nun wollte auch das lauteste »Vorwärts« nicht länger fruchten. Das war ein Diebstahl, damit raubte er derjenigen etwas, die er, hätte sie nur gewollt, mit allem zu überhäufen bereit gewesen wäre, womit ihn die Schickung so überreich gesegnet. Nein, das, das...
Da schoß