Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band. Hugo Friedländer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hugo Friedländer
Издательство: Bookwire
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Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783754958056
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hören. Und das ist keine landläufige Redensart, sondern bitterer Ernst. Pflicht der Behörden wäre es, in dieser Beziehung schleunigst energischen Wandel zu schaffen.

      In der Nähe der rheinischen Metropole Köln befindet sich die Provinzialarbeitsanstalt Brauweiler, in der stets mehrere hundert »Korrigenden« beiderlei Geschlechts Aufnahme finden. Der Direktor Schellmann, der gleich dem Pastor Breithaupt die christliche Barmherzigkeit stets auf den Lippen hatte, schien ebenfalls noch nicht die Anschauungen des finsteren Mittelalters überwunden zu haben, sondern der Ansicht zu sein, daß man durch Prügel, Hunger und Marter aller Art die Menschen bessern könne. Eines Tages wurde einem jungen Mädchen, namens Wodtke, das Herrn Direktor Schellmann zum Zwecke der Besserung überwiesen war, »wegen Renitenz«

       eine Mundbinde

      angelegt. Dieses »Besserungsmittel« hat die Wirkung, daß es jede Luftzufuhr abschneidet und daß das zu bessernde Individuum nach kurzer Zeit ersticken muß. So erging es auch der jungen Wodtke. Dieses Mädchen hatte Elternliebe niemals kennengelernt, denn es war »unehelich« geboren. Es hatte, noch ein Kind, hart arbeiten müssen, um nicht zu verhungern. Da es ein hübsches Gesicht und eine schöne Figur hatte, wurde es frühzeitig verführt und – der Prostitution in die Arme getrieben. Nachdem es wegen Übertretung der sittenpolizeilichen Bestimmungen und wegen gewerbsmäßiger Unzucht bestraft war, wurde das Mädchen der Arbeitsanstalt Brauweiler »zwecks Besserung« überwiesen. Hier benahm sich das sonst gutmütige Mädchen gegen eine Aufseherin widerspenstig. Es wurde ihm deshalb die Mundbinde angelegt. Das junge Mädchen befürchtete, zu ersticken. Es erhob bittend ihre Hände, – die Sprache war ihr versagt – sie doch zu befreien, sie wollte ja wieder gehorsam sein. Allein ihre flehentlichen Bitten wurden nicht beachtet. Sie wurde, mit der Mundbinde angetan, in eine finstere Zelle gesperrt. Dadurch wurde es verhindert, daß selbst ein leises Wimmern nicht hörbar wurde. Als man nach einigen Stunden die Zelle öffnete, war das Mädchen tot. Dieses entsetzliche Vorkommnis führte zur Erhebung einer Anklage gegen den Direktor Schellmann und den Anstaltsarzt Dr. Bodet wegen fahrlässiger Tötung.. Die zweite Strafkammer des Kölner Landgerichts sprach jedoch am 1. März 1895 beide Angeklagte frei. Die in Köln erscheinende sozialdemokratische »Rheinische Zeitung« brachte im Anschluß an diese Gerichtsverhandlung einen Leitartikel, in dem Direktor Schellmann der Tötung und Mißhandlung von Gefangenen beschuldigt und ihm vorgeworfen wurde, daß er gegen die ihm unterstellten Beamten seine Amtsgewalt mißbrauche. Es hieß in dem Artikel u.a. »Von seinem Vorgesetzten und von verschiedenen anderen Seiten wird Schellmann als das Ideal eines musterhaften Beamten gefeiert. Aber leider hat bis jetzt noch niemand danach gefragt, welcher Mittel sich dieser Mann bedient, um seine Triumphe zu feiern. Die Anstalt soll glänzen innen und außen, es werden dafür keine Unkosten gescheut. Arme Künstler und Arbeitskräfte sind genug zur Verfügung. Aber die armen Gefangenen werden durch die rohesten Mittel zur Arbeit angetrieben. Alte Leute von 60 und 70 Jahren werden durch Hungerleiden bis zum Umfallen, durch Schläge, durch Anlegen einer Zwangsjacke oder Handeisen zur Arbeit angetrieben. Es kann sich niemand einen Begriff machen, wie viele arme Geschöpfe durch diese Behandlung ihren frühen Tod gefunden haben. Ein Gefangener, der es wagt, gegen diesen Menschen vorzugehen, hat schon seine Hungerkur unterschrieben, die ihn ins Jenseits befördert. Der Beamte, der nur eine Miene gegen den Direktor verzieht, kann sich auch schon um andere Arbeit umsehen. Es ist nicht zuviel behauptet, daß es keinen Zuchthäusler gibt, der soviel Menschenunglück auf seinem Gewissen hat, als der Direktor dieser Besserungsanstalt«, wenn er auch überzeugt sein mag, pflichtgemäß gehandelt zu haben. Alsdann wurde dem Landesdirektor der Rheinprovinz, Geh. Oberregierungsrat Dr. Klein unter anderem zum Vorwurf gemacht, er habe es an der ordnungsmäßigen Überwachung der Provinzialarbeitsanstalt zu Brauweiler fehlen lassen und habe, als er am 1. März in dem Prozeß, in dem Schellmann und Dr. Bodet wegen fahrlässiger Tötung angeklagt waren, als Zeuge erschien, seine Aussage wissentlich so eingerichtet, daß dadurch die mangelhafte Erfüllung seiner Aufsichtspflicht verborgen blieb. Endlich wurde in dem Leitartikel behauptet: »Ein Korrigende, namens Widder, wurde, obwohl er schon halbtot war, noch in eine Zelle gebracht, woselbst er sehr bald verstorben sei.«

      Landesdirektor Geh. Oberregierungsrat Dr. Klein und der Brauweiler Arbeitsanstaltsdirektor Schellmann stellten deshalb gegen den verantwortlichen Redakteur der »Rheinischen Zeitung«, den jetzigen Reichstagsabgeordneten für Köln, Adolf Hofrichter, Strafantrag wegen einfacher und verleumderischer Beleidigung. Hofrichter hatte sich deshalb vom 13. bis 20. Dezember 1895 vor der zweiten Strafkammer des Kölner Landgerichts, auf Grund der §§ 185, 186 und 187 des Strafgesetzbuches zu verantworten. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Reichensperger. Die Staatsanwaltschaft vertrat Staatsanwalt Nacke. Die Verteidigung führte Rechtsanwalt Oestreich. Direktor Schellmann und Landesdirektor Dr. Klein hatten sich der Anklage als Nebenkläger angeschlossen und mit ihrer Vertretung Rechtsanwalt Gammersbach betraut.

      Der Verhandlung gegen Hofrichter ging eine gegen den früheren Aufseher, späteren Bauwächter Joh. Szaplewski voran. Dieser war wegen Sittlichkeitsvergehens, vorsätzlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruchs und Beleidigung vorbestraft. Er war von 1882 bis 1889 Gendarm und von 1889 bis 1892 Aufseher in der Arbeitsanstalt Brauweiler. Er wurde beschuldigt, in mehreren Fällen die Häuslinge in der Arbeitsanstalt vorsätzlich körperlich mißhandelt zu haben. Verteidiger dieses Angeklagten war Rechtsanwalt Dr. Schrammen. Der Angeklagte bemerkte auf Vorhalt des Vorsitzenden: Er sei mehrfach in Brauweiler disziplinarisch bestraft worden; dies komme aber daher, daß er von dem Direktor Schellmann verfolgt wurde.

      Vors.: Dieser Einwand scheint nicht glaubhaft, zumal Sie von dem Direktor Schellmann, trotz Ihrer Vorstrafen, eine Vertrauensstellung in Brauweiler erhalten haben.

      Auf das dem Angeklagten zur Last gelegte Vergehen äußerte der Angeklagte auf Befragen des Vorsitzenden: Er erinnere sich nicht, jemals Häuslinge vorsätzlich körperlich mißhandelt zu haben; allerdings war er bisweilen genötigt, sobald die Häuslinge renitent wurden, fest zuzugreifen. Daß er aber die Häuslinge mit dem Seitengewehr blutig geschlagen habe, sei ihm nicht erinnerlich.

      Direktor Schellmann bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Der Angeklagte Szaplewski habe sich bei ihm im Juli 1889 als Hilfsaufseher um eine Anstellung beworben. Er habe sich zunächst bei der früheren vorgesetzten Behörde des Szaplewski über dessen Vorleben erkundigt. Von den Vorstrafen des Szaplewski habe er (Schellmann) keine Kenntnis erhalten. Es sei ihm nur mitgeteilt worden, daß Szaplewski wegen Trunkenheit im Dienst und respektwidrigen Verhaltens gegen seine Vorgesetzten ohne Pension entlassen worden sei. Er habe, da Szaplewski zivilversorgungsberechtigt war, ihn zunächst als Hilfsaufseher, später als Aufseher angestellt. Szaplewski habe sich verschiedener Vergehen im Amte schuldig gemacht, weswegen er disziplinarisch bestraft und schließlich im Jahre 1892 entlassen worden sei. Er (Schellmann) habe erst, nachdem Szaplewski schon längst entlassen war, von den hier zur Anklage stehenden Mißhandlungen gehört.

      Vert.: Herr Direktor, Sie haben, als Sie von diesen Mitteilungen hörten, keine Anzeige gemacht?

      Zeuge: Nein.

      Vert.: War dies nicht Ihre Pflicht?

      Zeuge: Nein.

      Vert.: Sind die Aufseher berechtigt, von der Prügelstrafe Gebrauch zu machen?

      Zeuge: Keineswegs.

      Vert.: Sind die Aufseher berechtigt, die Häuslinge disziplinarisch zu bestrafen?

      Zeuge: Jawohl.

      Vert.: Worin bestehen diese Disziplinarstrafen?

      Zeuge: In der Entziehung der warmen Kost, in einem Geldabzug oder in der Verhängung von Arrest. Schlagen dürfen die Aufseher die Häuslinge nur dann, wenn sie durch Angriffe bedroht werden. In solchen Fällen haben die Aufseher aber sofort dem Direktor Anzeige zu machen.

      Vert.: Gehört nicht zu den Disziplinarstrafen in Brauweiler auch die Prügelstrafe?

      Zeuge: Nein.

      Vert.: Dann beantrage ich, aus den Akten festzustellen, daß Direktor Schellmann in einer anderen Sache als Zeuge bekundet hat,