Verteidiger Rechtsanwalt Wronker: Bekanntlich ist es die Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die Anklage nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten, während es die Aufgabe der Verteidigung ist, die Anklage zu entkräften. Über das Strafmaß vermag ich nach Lage der Dinge nicht zu sprechen, ich muß das dem hohen Gerichtshofe anheimstellen, indem ich des Spruches, der da oben an der Decke des Saales angeschrieben steht, eingedenk bin: »Das Gesetz straft, nicht der Richter.« Ich bin nicht der Meinung, daß es lediglich zu den Aufgaben des »Unabhängigen« gehörte, Erpressungen auszuüben. Von diesem Standpunkt aus wird der Gerichtshof sein Urteil nicht sprechen können, sondern lediglich die vorliegenden Fälle sachlich zu prüfen haben. Der Verteidiger ging alsdann des Näheren auf die einzelnen Fälle ein und suchte nachzuweisen, daß die meisten Fälle mild aufzufassen seien.
Vert. Rechtsanwalt Saul: Daß durch die Verhaftung der Angeklagten im Publikum eine große Genugtuung hervorgerufen sei, möchte ich bestreiten. Das große Publikum hatte an der Verhaftung der Angeklagten ein nur sehr geringes Interesse genommen. Das größte Interesse an der Sache hat naturgemäß die anständige Presse und diese hatte allerdings die Verpflichtung, diese Ausgeburt von Presse in das rechte Licht zu stellen. Durch die Presse, die direkt mit dem Publikum verkehrt, ist das große Publikum hierbei erst in Mitleidenschaft gezogen worden. Bei Beurteilung der Sache wird man in Erwägung ziehen müssen, daß der Hauptbelastete, Herr v. Schleinitz, flüchtig geworden ist und nur die kleinen Schächer hier auf der Anklagebank stehen. Es ist charakteristisch, daß alles meinem Klienten Moser aufgebürdet wird. Ich muß leider hier die antisemitische Bewegung in die Diskussion ziehen. An wen sollten sich die angegriffenen Lewin, Seelig, Jaroczynski usw. wenden, um einen Ausgleich herbeizuführen? Etwa an den christlich-sozialen Agitator Grünewald? oder an den Antisemiten Lodomez? Am geratensten erschien es den genannten Herren, sich an den Juden Moser zu wenden. Und Moser sagte den Leuten: »Hier wird nichts weiter helfen, als zahlen, denn Grünewald kennt bloß Geld.« Damit hat aber Moser nur das getan, was Jaroczynski und Fischer auch getan haben. Eine Erpressung kann lediglich in dem Falle Seemann gefunden werden. Allein wenn diese Anklage auf zwei Augen ruht, so kann ich zu meinem großen Leidwesen nicht umhin, die Aussagen des Herrn Seemann in Zweifel zu ziehen. Der Verteidiger ging alsdann auf die einzelnen Fälle ein und bat, in Rücksicht auf die traurigen Verhältnisse, die Moser, einen ehemaligen, sehr wohlhabenden Bankier in Hannover, genötigt haben, Stellung beim »Unabhängigen« zu nehmen, diesem mildernde Umstände zuzubilligen.
Vert. Justizrat Jenzitzki beantragte für Sponholz, der lediglich im Abhängigkeitsverhältnis bei Grünewald stand, und wie nachgewiesen, keinen Gewinn aus den Erpressungen gezogen hat, ein mildes Strafmaß.
Vert. Rechtsanwalt Dr. Sello (für Lodomez): Bei meinem Antrage auf Freisprechung meines Klienten gehe ich nicht davon aus, für ihn etwa eine Ehrenerklärung zu erzielen. Aus den Verhandlungen haben wir erfahren, daß wir es bei Lodomez mit einem Prototyp eines modernen Hochstaplers zu tun haben. Nicht Uneigennützigkeit, sondern vornehmlich Gewinnsucht haben ihn zu den Schritten bewogen, die er gegangen ist. Aber diese fallen nicht unter irgendeinen strafrechtlichen Gesichtspunkt. Die Tathandlungen in der ersten Periode im Mai und Juni v.J. hat der Herr Staatsanwalt selbst nicht als strafbar erachtet; Lodomez hat sich nur als unberufener Vermittler in die Ottensche Streitangelegenheit eingedrängt, um eine recht hohe Vermittlerprovision zu verdienen. In der zweiten Periode trat lediglich Freiherr v. Schleinitz auf, um unter Bruch seines Ehrenworts, ohne Wissen und hinter dem Rücken des Lodomez, eine Erpressung gegen Pflüg zu verüben. Daß diese Behauptungen des Angeklagten Lodomez nicht ohne Wahrscheinlichkeit sind, beweist ein einfacher Blick auf den Charakter des Hauptschuldigen, Herrn v. Schleinitz, den der Staatsanwalt vollständig zutreffend geschildert hat. In der Tat war Schleinitz der böseste aller bösen Geister, die sich jemals an die Fersen eines Schuldbewußten geklammert haben. Daß Schleinitz in der Tat ein Mann ist, der eines Bruches seines Ehrenwortes fähig ist, zeigt die charakteristische Geschichte mit den von Herrn Pflüg gezahlten 1200 Mark. Es ist zweifellos, daß v. Schleinitz in dieser ganzen Sache ganz auf eigene Rechnung und Gefahr erpreßt hat. Herr v. Schleinitz ist somit eine Persönlichkeit, bei der man sich der Tat versehen kann; Schleinitz hat diese 1200 Mark einfach unterschlagen unter dem frivolen Vorwande, daß die Hälfte dem »Börsen-Kurier« zufließen solle. Es ist unnötig, unter Beweis zu stellen, daß Schleinitz gar keine Berührung mit dem »Börsen-Kurier« gehabt hat und gänzlich ohne Einfluß auf diese Zeitung gewesen ist. Wenn aber dies erwiesen ist, wenn sich Herr v. Schleinitz nicht entblödet, ein geachtetes Blatt in dieser Weise bloßzustellen, so gewinnt es an Wahrscheinlichkeit, daß er in der Tat Herrn Lodomez sein Ehrenwort gebrochen hat. Es bleibt nun derjenige Teil des Pflügschen Falls bestehen, den der Herr Staatsanwalt als den Erpressungsversuch bezeichnet hat. Es ist zweifellos, daß der Angeklagte an der Veröffentlichung der schimpflichen Broschüre teilgenommen hat. Hat denn aber Lodomez diese zum Zweck der Drohung gegen Pflüg benutzt? Nichts ist dafür erbracht, ebensowenig eine Komplottmäßigkeit mit Grünewald und Genossen. An der Veröffentlichung der Broschüre hatte mein Klient ein Interesse, weil durch deren Verkauf in Lübeck und Umgegend viel Geld zu verdienen war. Als Pressionsmittel hat er die Broschüre nicht benutzt, denn dazu konnte sie nur dienen, solange sie als Manuskript im Kasten lag. Dafür, daß dies seitens des Grünewald geschehen ist – denn die Treue haben die Angeklagten sich nicht bewahrt –, kann Lodomez nicht verantwortlich gemacht werden. Die Lüge des Lodomez, daß er geglaubt habe, der Reichsregierung mit der Veröffentlichung der Broschüre einen Dienst zu erweisen, ist nur vorgebracht worden, um die eigene Schlechtigkeit, die niederträchtige Gesinnung seiner verwerflichen Rachsucht nicht eingestehen zu müssen. Man wird ihm das deshalb nacht belastend anrechnen dürfen. Aus all diesen Gründen wird der hohe Gerichtshof sich dem Antrage des Herrn Staatsanwalts nicht anschließen können. Evtl. wird eine recht milde Strafe, unter Anrechnung der langen Untersuchungshaft, am Platze sein, da der Angeklagte im November vorigen Jahres dem Verhungern nahe war. Für meinen Klienten Dr. Vogelsang bitte ich, in dem zu fällenden Urteil auszusprechen, daß ihm nicht der mindeste Makel in dieser Sache anhaftet. Die sorgfältigsten Recherchen der Kriminalbeamten haben nicht ergeben, daß Dr. Vogelsang auch nur im mindesten mit den Männern des »Unabhängigen« in Verbindung gestanden, und daß er nie auch nur eine Zeile für dieses Blatt geschrieben hat. Er ist aus dieser Sache mit unbefleckten Händen hervorgegangen.
Vert.