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Aber auch diese Auffassungen, die dem oben (Rn. 11) sog. Prinzip der überwiegenden Einflussnahme folgen, verfehlen die gesetzliche Verantwortungszuweisung. Der Ausführende bleibt in vollem Umfang strafbar und übersieht das Geschehen in demselben Maße wie der Hintermann. Der Hintermann ist auf die freie und verantwortliche Entscheidung des Ausführenden zur Tatbegehung angewiesen. Sein Willenseinfluss erreicht nicht den Grad der Willensherrschaft, so dass er Anstifter bleibt. Es besteht auch kein kriminalpolitisches Bedürfnis zur Annahme einer mittelbaren Täterschaft, weil die Bestrafung wegen Anstiftung in Idealkonkurrenz mit Nötigung allen Bestrafungsbedürfnissen vollauf genügt. „Umgekehrt lässt sich dadurch, dass auch … Fälle einer gravierenden Einflussnahme noch unter § 26 fallen, die andernfalls zweifelhafte Gleichstellung im Strafrahmen zwischen Anstiftung und Täterschaft rechtfertigen.“[18]
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Es kommt zweierlei hinzu. Zunächst ist es doch ein erheblicher Unterschied, ob jemand einer „gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit“ ausgesetzt ist (§ 35 Abs. 1, S. 1 StGB) oder mit der Offenbarung ehrenrühriger Tatsachen oder der Untreue eines Geliebten[19] bedroht wird. Einfache Nötigungen sind keine Gefahr für die Körperintegrität oder die Freiheit; das angedrohte Übel ist meist noch nicht gegenwärtig und oft auch anders abwendbar. Es bestehen also sehr gute Gründe, sich der gesetzlichen Wertung anzuschließen und zwischen Willensherrschaft und Willenseinfluss nach dem Maßstab des § 35 zu unterscheiden.
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Auch die von Frister gezogene Parallele zu den Irrtumsfällen rechtfertigt keine andere Abgrenzung. Zwar kann nach der hier vertretenen Lehre von der mittelbaren Täterschaft als „Verwirklichungsherrschaft“ ein Irrtum des Ausführenden den Hintermann u.U. auch dann zum mittelbaren „Täter hinter dem Täter“ machen, wenn der Irrende für sein Tun als Vorsatztäter verantwortlich bleibt. Aber das ist nur dann der Fall, wenn wesentliche Dimensionen des konkreten Tatunrechts vom Ausführenden nicht erkannt und allein vom Hintermann beherrscht werden. Bei der hier behandelten Konstellation aber übersieht der Genötigte den Sachverhalt und die Unrechtsdimension genauso gut wie der Hintermann.
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Es bleibt also dabei: In den Nötigungsfällen erfolgt die Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung nach dem Verantwortungsprinzip.
II. Die Schaffung und Ausnutzung von Notlagen
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Die hier in Betracht kommenden Konstellationen sind theoretisch interessant, aber von geringer praktischer Bedeutung.[20] Es kommen drei Fälle in Betracht.
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Die eindeutigste Situation ist die, dass ein Hintermann einen anderen nicht durch eine Nötigung, sondern durch Schaffung einer Gefahrenlage i.S.d. § 35 StGB in eine Situation bringt, die diesen dazu veranlasst, sich auf Kosten anderer zu retten. Wenn also A den B bei einer Bergtour in eine Gefahrenlage manövriert, aus der B sich, wie von A geplant, nur durch ein Zerschneiden des Seils und die damit verbundene Tötung des C retten kann, ist A für die Tötung des C als mittelbarer Täter verantwortlich. Denn er hat die Gefahrensituation geschaffen, die zur Entschuldigung des unmittelbar Handelnden führt, so dass die Herrschaftslage derjenigen des Nötigungsnotstandes entspricht.[21] Demgegenüber will Schumann[22] eine mittelbare Täterschaft nur beim Nötigungsnotstand bejahen. Es kann aber keinen Unterschied machen, ob der Hintermann den Ausführenden durch eine Drohung oder durch andere Mittel in eine dem § 35 unterfallende Situation bringt; der verantwortungsausschließende Nötigungsdruck ist in beiden Fällen derselbe.
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Eine zweite Sachverhaltsgruppe ist die, dass ein Hintermann dem ohne sein Zutun in Not Geratenen die Möglichkeit verschafft, sich auf Kosten anderer zu retten. Er gibt z.B. dem Schiffbrüchigen einen Revolver, mit dem dieser sich einen sonst nicht erlangbaren Platz im Rettungsboot „freischießt“. Auch hier verursacht der Hintermann den Tod anderer durch eine nach § 35 StGB entschuldigte Mittelsperson.[23]
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Demgegenüber will Frister[24] den Hintermann nur wegen Beihilfe bestrafen. Er habe „– weil er die Zwangslage nicht beseitigen kann – gegenüber dem Ausführenden keine überlegene Position“. Er kann jedoch als einziger den Tod Dritter durch eine nicht verantwortliche Mittelperson bewirken, und das verschafft ihm die Tatherrschaft.
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Ein dritter Fall mittelbarer Täterschaft liegt vor, wenn jemand die Rettung aus einer ohne sein Zutun entstandenen Gefahr i.S.d. § 35 StGB von einer Straftatbegehung abhängig macht. Jemand erklärt sich z.B. nur unter der Bedingung bereit, einen Schwerverletzten ins Krankenhaus zu fahren, dass dieser seine Unterschrift für eine Urkundenfälschung hergibt. Auch hier liegt die Tatherrschaft beim Hintermann, der eine exkulpierende Notlage zur Tatbegehung „durch einen anderen“ benutzt.[25]
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Das bestreitet Joecks,[26] der das Argument, das Delikt beruhe allein auf dem Verhalten des Hintermannes, nicht gelten lassen will: „Auch ohne den Anstifter würde die Haupttat nicht begangen. Wer lediglich eine Situation ausnutzt, die er nicht selbst herbeigeführt hat, ist kein mittelbarer Täter.“[27] Aber dabei wird außer Acht gelassen, dass der Anstifter auf einen verantwortlichen Täter einwirkt und nicht, wie es der Hintermann in unserem Fall tut, ein exkulpiertes „Werkzeug“ als Mittelsmann zur Tatbegehung einsetzt.
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Dagegen liegt eine bloße Teilnahme vor, wenn jemand auf die entschuldigende Notstandstat eines anderen einwirkt, ohne die Notstandslage geschaffen zu haben oder dem in Not Geratenen eine Rettungsmöglichkeit um den Preis einer Deliktsverwirklichung überhaupt erst zu bieten. Wer also dem in Not Befindlichen rät, sich auf Kosten eines anderen zu retten, ohne ihm die Mittel dazu an die Hand zu geben, ist nur Teilnehmer, weil er die Situation des in Not Geratenen nicht herrschaftsbegründend beeinflusst. Eine Belehrung über die Rechtslage, also einen Hinweis auf die Regelung des § 35 StGB, wird man sogar als straflos ansehen müssen.
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Anders entscheidet hier M. Heinrich,[28] der schon eine mittelbare Täterschaft annimmt, wenn jemand einen in Not Geratenen auffordert, sich auf Kosten eines anderen aus seiner Lage zu befreien oder ihn sogar nur auf die Straflosigkeit eines solchen Verhaltens hinweist. Denn dadurch werde „das vorgegebene Entscheidungsdefizit des Vordermannes instrumentalisiert“ und „die Hemmschwellenüberschreitung durch den Vordermann initiiert“. Aber die Initiierung einer Hemmschwellenüberschreitung ist der typische Fall einer Anstiftung. Es liegt nur eine psychische Beeinflussung vor, die für eine Tatherrschaft nicht ausreicht. Denn was der Hintermann dem in Not Geratenen sagt, könnte dieser sich auch selber sagen. Herrschaft setzt voraus, dass der Hintermann auf die Entstehung der Notsituation oder die Rettungsmöglichkeit des in Not Geratenen bestimmend einwirkt.
III. Die Nötigung zur Selbstschädigung
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Es gibt