342
§ 2084 ist allerdings analog anwendbar, wenn es um die Frage geht, ob eine Verfügung von Todes wegen oder ein Rechtsgeschäft unter Lebenden vorliegt; wenn die Erklärung nur bei einer dieser Deutungen rechtlichen Erfolg haben kann, ist dieser der Vorzug zu geben.[66]
8. Umdeutung (§ 140)
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Nach heute allgemeiner Meinung können auch Verfügungen von Todes wegen gem. § 140 umgedeutet werden.[67] Im Gegensatz zur Auslegung wird hier der Wille des Erblassers nicht gedeutet oder ergänzt, sondern korrigiert.[68] Voraussetzung für die Umdeutung einer nichtigen Verfügung von Todes wegen in ein anderes Rechtsgeschäft ist, dass dessen Wirksamkeitsvoraussetzungen gegeben sind und ein entsprechender hypothetischer Wille des Erblassers angenommen werden kann. Relevanz hat die Umdeutung vor allem bei formunwirksamen letztwilligen Verfügungen.
Beispiele:
Eine als gemeinschaftliches Testament gedachte letztwillige Verfügung, die mangels Unterschrift[69] oder Testierfähigkeit[70] eines Ehegattens unwirksam ist, kann in ein Einzeltestament des anderen umgedeutet werden (dies gilt richtiger Ansicht nach auch im Falle wechselbezüglicher Verfügungen, → Rn. 223). Eine in einem zweiseitigen Erbvertrag aufgrund der Geschäftsunfähigkeit des einen Teils unwirksame Verfügung kann in eine testamentarische Verfügung umgedeutet werden[71]. Die (wegen § 2302) unwirksame Verpflichtung, ein Testament zu errichten, die in einem notariellen Vertrag enthalten ist, kann in einen (bedingten) Erbvertrag umgedeutet werden[72]. Ein formungültiges Schenkungsversprechen unter Lebenden kann in ein Vermächtnis in Form eines eigenhändigen Testaments umgedeutet werden[73].
9. Wichtige Auslegungs- und Ergänzungsregeln
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Die gesetzlichen Auslegungsregeln sollen eine Hilfestellung bei der Ermittlung der wirklichen Bedeutung einer in einem Testament enthaltenen Erklärung des Erblassers geben. Die Regeln entsprechen allgemein anerkannten Erfahrungssätzen und sind nur dann anzuwenden, wenn der Wille des Erblassers durch Auslegung nicht ermittelt werden kann. Von den Auslegungsregeln sind die Ergänzungsregeln zu unterscheiden. Letztere greifen bei einer fehlenden oder lückenhaften Regelung durch den Erblasser ein, die auch nicht durch ergänzende Auslegung geschlossen werden kann. Ihre Anwendung führt für den Fall des Versagens einer Auslegungsregel zu einer vom Erblasserwillen weitgehend autonomen Gestaltungsentscheidung des Gesetzgebers. Von den zahlreichen über das gesamte 5. Buch des BGB verstreuten Regeln können hier nur die wichtigsten erläutert werden. Im konkreten Anwendungsfall müssen die Regelungen im Einzelnen geprüft werden.
a) Zweifel über das Vorliegen einer Erbeinsetzung, § 2087
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Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Ausdrücke „vererben“ und „vermachen“ häufig nicht im juristisch-technischen Sinne verwandt. Entscheidend für die Frage, ob eine Erbeinsetzung (→ Rn. 728 ff.) oder ein Vermächtnis (→ Rn. 900 ff.) vorliegt, ist jedoch nach allgemeinen Grundsätzen nicht der Wortlaut, sondern der im Wege der Auslegung zu ermittelnde wirkliche Wille des Erblassers (§ 133, → Rn. 325, 334). Für den Fall, dass die Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis führt[74], stellt § 2087 zwei Auslegungsregeln auf: Nach Abs. 1 ist im Falle der Zuwendung des gesamten Vermögens oder eines Bruchteils davon im Zweifel eine Erbeinsetzung anzunehmen; wenn dem Bedachten hingegen nur einzelne Gegenstände zugewendet werden, so ist gem. Abs. 2 im Zweifel von einem Vermächtnis (→ Rn. 900 ff.) auszugehen.
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Speziell im Falle der Zuwendung einzelner Vermögensgegenstände kann es aber durchaus sein, dass sich bereits im Wege der Auslegung ergibt, dass der Erblasser gleichwohl eine Erbeinsetzung wollte (und somit § 2087 Abs. 2 erst gar nicht zur Anwendung gelangt). Dies ist insb. in folgenden Konstellationen der Fall:[75]
• | wenn der Erblasser sein Vermögen vollständig den einzelnen Vermögensgegenständen nach verteilt hat; |
• | wenn er dem Bedachten einen Gegenstand oder Gegenstände zugewendet hat, die nach seiner Vorstellung das Hauptvermögen bilden (z.B. ein Hausgrundstück); |
• | wenn nur Vermächtnisnehmer vorhanden wären und nicht anzunehmen ist, dass der Erblasser überhaupt keine Erben berufen und seine Verwandten oder seinen Ehegatten als gesetzliche Erben ausschließen wollte. |
b) Zweifel über die Person des Bedachten
aa) Allgemeines
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Die §§ 2066–2073 enthalten Auslegungs- und Ergänzungsregeln für den Fall, dass Zweifel hinsichtlich der Person des Bedachten bestehen. Ihr gemeinsamer Grundgedanke ist, dass die Auslegung letztwilliger Verfügungen sich im Zweifel an der gesetzlichen Erbfolge orientieren soll.[76]
bb) Gesetzliche Erben
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Setzt der Erblasser nur seine „gesetzlichen Erben“ ein, so sind gem. § 2066 S. 1 diejenigen im Verhältnis der gesetzlichen Erbteile bedacht, die im Zeitpunkt des Erbfalls die gesetzlichen Erben wären. Entsprechendes gilt bei ähnlichen Formulierungen, wie z.B. „rechtmäßige Erben“ oder schlicht „Erben“.[77]
cc) Verwandte
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Nach § 2067 S. 1 sind bei einer Einsetzung der „(nächsten) Verwandten“ im Zweifel diejenigen Verwandten bedacht, die zur Zeit des Erbfalls gesetzliche Erben wären; auch hier im Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbteile. „Verwandte“ bezieht sich insoweit grundsätzlich nur auf Verwandte i.S.d. Gesetzes (§ 1589), d.h. nicht auf Ehegatten.[78] Anders hingegen,