Teil III Die gewillkürte Erbfolge › § 11 Die Auslegung von Verfügungen von Todes wegen › II. Die Auslegung von Testamenten
1. Erforschung des wirklichen Willens des Erblassers (§ 133)
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Ziel der Auslegung eines Testaments ist die Ermittlung des wirklichen Willens des Erblassers (§ 133).[1] Der sog. „objektive Empfängerhorizont“ ist hingegen nicht zu berücksichtigen, da das Testament keine empfangsbedürftige Willenserklärung ist; daher ist auch § 157 auf die Auslegung eines Testaments nicht anwendbar.[2] Irrelevant ist auch ein etwaiger „Horizont des von der Verfügung Betroffenen“, da es beim Testament aufgrund der freien Widerruflichkeit (→ Rn. 186 ff.) keinen Vertrauensschutz gibt.[3]
2. Verhältnis von Auslegung und Anfechtung
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Die Auslegung hat Vorrang vor der Anfechtung, weil sie dem Willen des Erblassers zur Wirksamkeit verhilft, während die Anfechtung die Verfügung von Todes wegen vernichtet[4] (die Anfechtung kassiert nur, aber sie reformiert nicht[5]). Dieses Ergebnis wird durch die Anforderungen, die § 2078 an die Anfechtbarkeit stellt (→ Rn. 390 ff.), bestätigt: Denn ob Wille und Erklärung auseinanderfallen oder ob ein Motivirrtum vorliegt, kann erst festgestellt werden, wenn durch Auslegung der rechtliche Inhalt der Erklärung ermittelt wurde.[6]
a) Die sog. Andeutungstheorie
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Nach ständiger Rechtsprechung findet die Auslegung darin ihre Grenze, dass der Wille des Erblassers im Testament selbst eine hinreichende Stütze gefunden haben muss (sog. Andeutungstheorie).[7]
In der Literatur stößt die Andeutungstheorie allerdings teilweise auf Kritik.[8] Ihr wird entgegengehalten, dass sie die gesetzlichen Formvorschriften überspanne.[9] Der Schutz vor Übereilung werde schon dadurch erreicht, dass der Erblasser das Testament niedergeschrieben und in dem Sinne verstanden hat, den er ihm beilegen wollte.[10] Die Andeutungstheorie führe außerdem zu Zufälligkeiten und Rechtsunsicherheit, weil sie von der unkalkulierbaren Entscheidungen des Richters abhängt, ob die geforderte Andeutung im Testament zu finden ist.[11] Der weitschweifende Erblasser wird daher zu Unrecht gegenüber dem knapp formulierenden bevorzugt.[12]
Trotz dieser Kritik ist im Grundsatz an der Andeutungstheorie festzuhalten. Nur der erklärte Wille ist hinreichend verfestigt und so aus dem Stadium der Willensbildung herausgetreten, dass er Rechtsfolgen herbeizuführen vermag. Außerdem würde eine Auslegung, die den Erblasserwillen zum alleinigen Maßstab nehmen würde, die gesetzlichen Formerfordernisse für Testamente außer Acht lassen. Die Form soll insb. den Erblasser dazu veranlassen, sich selbst darüber klar zu werden, welchen Inhalt seine Verfügung von Todes wegen haben soll.[13] Für die angeblichen Rechtsunsicherheiten und Wortklaubereien haben die Kritiker keine wirklich treffenden Beispiele aus der Rechtspraxis vorweisen können. Zudem lassen sich auch die Fälle der sog. falsa demonstratio mit der Andeutungstheorie angemessen lösen (→ Rn. 329 f.).
Schließlich besteht auch kein wirklicher Widerspruch zwischen der Andeutungstheorie und der Zulässigkeit der sog. ergänzenden Auslegung (→ Rn. 335 ff.): Bei der ergänzenden Auslegung muss eben gerade nicht das Ergebnis der Lückenschließung selbst in der Urkunde enthalten sein, sondern die Anknüpfungspunkte für die vorzunehmende Auslegung in Bezug auf den „hypothetischen Willen“ der Erblassers.[14]
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In der Praxis spielt die Andeutungstheorie eine wichtige Rolle.[15] Ohne sie müsste über jede Parteibehauptung bezüglich eines angeblichen Erblasserwillens Beweis erhoben werden. Da die Beweiswürdigung nicht in jedem Fall verfälschende Behauptungen als solche entlarven wird, bietet nur die Andeutungstheorie einen ausreichenden Schutz des erklärten Erblasserwillens. Für sie sprechen außerdem prozessökonomische Gründe: Der Richter muss nicht zunächst umfänglich bezüglich des Erblasserwillens Beweis erheben und sodann prüfen, ob dieser formgültig erklärt wurde.
b) Konsequenzen der Andeutungstheorie
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Bei Falschbezeichnungen ist zwischen bewussten und unbewussten Falschbezeichnungen zu unterscheiden. Die bewusste Falschbezeichnung ist aus der Sicht des Erblassers der zutreffende Ausdruck des Gemeinten (falsa demonstratio non nocet).[16]
Schulbeispiel
ist der Erblasser, der seinen Weinvorrat als „Bibliothek“ zu bezeichnen pflegt und ihn unter dieser Bezeichnung auch vermacht. Aufgrund des besonderen Sprachgebrauchs des Erblassers – und nicht nur, weil er innerlich den Weinvorrat vermachen wollte – ist der Weinvorrat zumindest im Testament angedeutet.[17]
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Die unbewusste Falschbezeichnung, die auf einem Erklärungs- oder Inhaltsirrtum beruht, kann auch dem Problemkreis der irrtümlichen Verfügungen zugeordnet werden. Die Verfügung gilt dann mit ihrem objektiv eindeutigen Gehalt und kann nicht durch Auslegung dem eigentlichen Willen des Erblassers angepasst werden; hier hilft ggf. nur die Anfechtung (→ Rn. 384 ff.).[18]
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Unterbliebene Verfügungen – sei es aufgrund der Zerstreutheit des Erblassers oder aufgrund eines Motivirrtums – können nicht durch Auslegung ersetzt werden. Vermacht der Erblasser lediglich die Flurstücke 31 und 32 gesondert und vergisst das Flurstück 30, so kann das Vermächtnis nicht im Wege der Auslegung auf das letztere Flurstück erstreckt werden. Zwar hat der BGH einen ähnlichen, sich jedoch auf einen Vertragsschluss beziehenden Fall als unschädliche Falschbezeichnung gewertet.[19] Dieses Ergebnis lässt sich zwar mit den Anforderungen aus Treu und Glauben (§ 157) begründen; § 157 ist jedoch auf die Auslegung von Testamenten gerade nicht anwendbar (→ Rn. 325). Das Ziel des Erblassers kann auch hier allenfalls durch eine Anfechtung erreicht werden.[20]
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Der Auslegung zugänglich sind auch scheinbar eindeutige Erklärungen.[21] Ein eindeutiger Wortlaut ist nicht die Grenze, sondern das Ergebnis der Auslegung. Der Wortlaut hat jedoch die Vermutung, den Willen des Erblassers wiederzugeben, für sich, sodass an eine abweichende Auslegung strenge Beweisanforderungen zu stellen sind. Häufig sind