Sofern im Zusammenhang mit der Erbvertrag ein schuldrechtlicher Vertrag geschlossen wurde, in dem sich der Vertragspartner z.B. zu einer Gegenleistung für die vertragsmäßige Zuwendung verpflichtet, so gelten insoweit die allgemeinen schuldrechtlichen Rücktrittsvorschriften; insb. kann darin ggf. auch ein vertragliches Rücktrittsrecht des Vertragspartners für den Fall des Rücktritts des Erblassers vom Erbvertrag vorgesehen werden.[92]
aa) Rücktrittserklärung
304
Der Rücktritt muss gem. § 2296 persönlich durch Erklärung gegenüber dem/den anderen Vertragsschließenden erfolgen und bedarf der notariellen Beurkundung. Dem/den Vertragspartner(n) muss die Urschrift oder eine Ausfertigung der notariellen Urkunde zugehen; eine beglaubigte Abschrift genügt nicht.[93] Aufgrund des Erfordernisses der höchstpersönlichen Erklärung (§ 2296 Abs. 1) kann ein geschäftsunfähig gewordener Erblasser nicht vom Erbvertrag zurücktreten.[94]
305
Wenn der andere Vertragsschließende vorverstorben ist, kann der Erblasser eine vertragsmäßige Verfügung – sofern er zum Rücktritt (noch) berechtigt ist (vgl. § 2298 Abs. 2 S. 2, → Rn. 308) – gem. § 2297 S. 1 durch Testament aufheben. Im Falle eines Rücktritts gem. § 2294 wegen Verfehlung des Bedachten (→ Rn. 309) gelten gem. § 2297 S. 2 die § 2336 Abs. 2 und 3, d.h. der Grund für die Entziehung muss zur Zeit der Testamentserrichtung bestehen und im Testament angegeben werden.
bb) Rücktrittsrecht
306
Ein Rücktrittsrecht des Erblassers kann sich aus dem Erbvertrag ergeben (→ Rn. 307 f.) oder kraft Gesetzes bestehen (→ Rn. 309 ff.).
(1) Vertragliches Rücktrittsrecht, § 2293
307
§ 2293 stellt klar, dass sich jeder Vertragserblasser im Erbvertrag ein (vertragliches) Rücktrittsrecht vorbehalten kann. Der Rücktrittsvorbehalt ist streng zu trennen vom sog. Änderungsvorbehalt, der es erlaubt, vom Erbvertrag abweichende letztwillige Verfügungen zu errichten und damit im Umfang des Vorbehalts von vornherein keine Bindung erzeugt (→ Rn. 291). Ein Rücktrittsvorbehalt kann sich auf alle oder auch nur auf einzelne vertragsmäßige Verfügungen beziehen; er kann zudem auch bedingt oder befristet ausgestaltet sein.[95] Im Einzelfall kann die Abgrenzung zum auflösend bedingt geschlossenen Erbvertrag (§ 158 Abs. 2) schwierig sein, so z.B. bei Wiederverheiratungsklauseln.[96]
308
Bei zwei- und mehrseitigen[97] Erbverträgen erlischt der Rücktrittsvorbehalt gem. § 2298 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 im Zweifel mit dem Tode des anderen Vertragsschließenden. Sofern sich kein gegenteiliger Wille der Vertragsparteien anzunehmen ist[98], können die vertragsmäßigen Verfügungen dann aber gem. § 2298 Abs. 2 S. 3 trotzdem noch durch Testament aufgehoben werden, wenn der Überlebende das ihm durch Vertrag Zugewendete ausschlägt (denn dann setzt er sich nicht mehr dem Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens aus). Erforderlich ist nach dem Telos der Norm die Ausschlagung aller ihm zugedachten vertragsmäßigen Verfügung (Zuwendungen aus einseitigen Verfügungen brauchen hingegen nicht ausgeschlagen zu werden).[99]
(2) Gesetzliches Rücktrittsrecht bei Verfehlungen des Bedachten gem. § 2294
309
Gem. § 2294 kann der Erblasser von einer vertragsmäßigen Verfügung zurücktreten, wenn sich der Bedachte einer Verfehlung schuldig macht, die den Erblasser zur Entziehung des Pflichtteils berechtigt oder zu der Entziehung berechtigen würde, wenn der Bedachte ein Abkömmling des Erblassers wäre. Der zur Pflichtteilsentziehung berechtigende Tatbestand (→ Rn. 715 ff.) muss nach Vertragsschluss erfüllt worden sein.[100] Frühere tatbestandsmäßige Verfehlungen, die dem Erblasser unbekannt waren, können aber ggf. ein Anfechtungsrecht gem. § 2281 i.V.m. § 2078 begründen.[101]
(3) Gesetzliches Rücktrittsrecht bei Aufhebung einer Gegenverpflichtung gem. § 2295
310
Aus § 2295 ergibt sich ein Rücktrittsrecht, wenn die vertragsmäßige Verfügung mit Rücksicht auf eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Bedachten, dem Erblasser für dessen Lebenszeit wiederkehrende Leistungen zu entrichten, insb. Unterhalt zu gewähren (sog. Verpfründungsvertrag) getroffen ist und die Verpflichtung vor dem Tode des Erblassers aufgehoben wird.
311
Zwischen der erbvertraglichen Zuwendung des Erblassers und der schuldrechtlichen Verpflichtung des Bedachten muss ein innerer Zusammenhang bestehen; die Verpflichtung des Bedachten muss den oder zumindest einen Beweggrund für die vertragsmäßige Verfügung des Erblassers darstellen und die Vertragsteile müssen sich über die Zweckgebundenheit einig sein.[102]
312
„Aufhebung“ der Verpflichtung i.S.d. § 2295 ist jede (auch einseitige) Beendigung gleich aus welchem Rechtsgrund.[103] Erfasst sind z.B.: Ausübung eines Rücktrittsrechts, Kündigung[104], Eintritt einer auflösenden Bedingungen, Aufhebungsvertrag oder nachträgliche Unmöglichkeit[105].[106] Nicht anwendbar ist § 2295 hingegen, wenn das Rechtsgeschäft, durch das die Verpflichtung begründet werden sollte, von vornherein nichtig gewesen ist oder durch Anfechtung rückwirkend (ex tunc) nichtig wird (§ 142 Abs. 1).[107]
cc) Wirkungen des Rücktritts
313
Durch den Rücktritt werden die von ihm erfassten vertragsmäßigen Verfügungen unwirksam. Hinsichtlich der weiteren Wirkungen des Rücktritts ist zu differenzieren:
• | Beim zwei- oder mehrseitigen Erbvertrag wird der Erbvertrag insgesamt aufgehoben, wenn der Erblasser von einem vertraglich vorbehaltenen Rücktrittsrecht (§ 2293, → Rn. 307)[108] Gebrauch macht, sofern kein anderer Wille der Vertragsschließenden anzunehmen ist (§ 2298 Abs. 2 S. 1, Abs. 3, → Rn. 308). |
• | Im Übrigen bestimmt sich das Schicksal nicht unmittelbar vom Rücktritt erfasster vertragsmäßiger Verfügungen gem. § 2279 Abs. 1 nach § 2085 (→ Rn. 477).[109] |
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Einseitige Verfügungen treten im Falle der Aufhebung des gesamten Erbvertrags außer Kraft, sofern nicht ein anderer Wille der Vertragsschließenden anzunehmen ist (§ 2299 Abs. 3, → Rn. 317). Im Übrigen gilt auch
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